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Historiker: Kein Schlussstrich unter Holocaust  
  Einen Schlussstrich unter das Kapitel der Judenverfolgung darf es nach Auffassung des Genfer Historikers Philippe Burrin nie geben. Der Wiener Philosoph Rudolf Burger hatte zuletzt Vergessen als "Akt der Redlichkeit" bezeichnet und eine heftige Diskussion ausgelöst.  
"Der Holocaust wird als Gedächtniskultur künftig sogar noch wichtiger werden", betonte Burrin in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Burrin ist Inhaber der ersten Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaust-Forschung an der Universität Frankfurt am Main.
Bleibt negativer Fixpunkt der Geschichte
Der Massenmord an den Juden werde für die gesamte Europäische Union "ein ähnlich negativer Fixpunkt der Geschichte werden, wie es die Dreyfus-Affäre für das Frankreich des 19. Jahrhunderts war", betonte Burrin.

Seine Aufgabe sehe er unter anderem darin, die Lücke zwischen den wenigen noch lebenden Zeitzeugen und den
Nachkriegsgenerationen zu schließen. Besonders wichtig sei es, die Holocaust-Forschung nicht auf Deutschland einzuengen.

"Wir müssen den Holocaust in globaler Perspektive diskutieren". Auch in der Schweiz werde es bald einen ähnlichen Streit um ein Holocaust-Mahnmal geben, wie er in Deutschland lange geführt wurde, meinte der Historiker.
Burger: Vergessen ist klug und redlich
In Österreich hatte der Philosoph Rudolf Burger zuletzt mit seiner Kritik an der "Gedenkpolitik" eine lebhafte Diskussion in Gang gesetzt. In einem Beitrag für die "Europäische Rundschau" hat der frühere Rektor der Universität für angewandte Kunst gegen das "mumifizierende Gedenken" polemisiert, das die Nazi-Zeit "zum Mythos verzaubert"; das Unheil erbe sich fort als "Kleingeld der Politik und schamloses Geschäft".

Nach einem halben Jahrhundert sei Trauer als echtes Gefühl nicht mehr möglich. Vergessen wäre daher "nicht nur ein Akt der Klugheit, sondern auch der Redlichkeit", so Burger.
Mattl: Aufrichtiges Schuldeingeständnis nötig
Aktives Vergessen bedeute Verzeihen und sei das absolute Gegenteil des Übereinkommens, nicht mehr von der Vergangenheit zu reden.

Es erfordere, dass das Schuldeingeständnis des Aggressors als aufrichtig empfunden wird - als Ausdruck seines grundlegenden Wandels und als Garantie gegen die Wiederholung der Aggression, erwiderte Siegfried Mattl, Professor am Institut für Zeitgeschichte, in einem Beitrag für science.orf.at.
->   Siegfried Mattl: 'Schwamm drüber' läuft nicht
Stimulierung und Zurückweisung der Geschichte
Mattl kritisierte, wie von der regierenden "konservativ-populistischen Koalition zwar ein Schuldeingeständnis
gemacht, die Verhandlung dieser Schuld aber als autonome innere Angelegenheit stilisiert wird - 'wir' gegen die 'Ostküste'.

Dieser unzeitgemäße offizielle Neo-Nationalismus ist keine Reaktion auf die Weigerung (von wem auch immer) zu vergessen, sondern er nährt sich parasitär am Spiel mit der Stimulierung und Zurückweisung der
Geschichte."

(APA/dpa/red)
->   Fritz Bauer Institut, Frankfurt Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust
 
 
 
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01.01.2010