News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Historisches Gedächtnis und Restitution in Europa  
  Die Erinnerung an den Holocaust wird weltweit zu einer fixen Konstante des globalen Gedächtnisses. Das heutige Europa gilt als Antwort auf Nationalismus und den Kalten Krieg, und der historische Diskurs über Holocaust und Nationalsozialismus bestimmt auch die sich derzeit herausentwickelnde internationale Wertegemeinschaft.  
Eine Tagung in Wien unter dem Titel "Gedächtnis und Restitution. Über historische Erinnerung und materielle Wiederherstellung in Europa", veranstaltet vom IFK - Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, hat sich dem Thema Holocaust nun aus dieser Perspektive genähert.
Kalter Krieg und alte Wunden
"Je weiter wir uns vom Zweiten Weltkrieg und vom Holocaust entfernen, desto näher scheint dieses Ereignis an uns heranzurücken, und ich denke, dass das ein Zukunftsthema eines sich vereinigenden Europas ist." So Dan Diner, Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig.
->   Simon-Dubnow-Institut Leipzig
Restitutionsfragen im Mittelpunkt der Analysen
Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der historische Diskurs über den Holocaust intensiver denn je. Gerade die Fragen der Restitution, die Rückgabe von durch die Nazis geraubtem Eigentum, ist ins Zentrum der historischen Analysen gerückt.

Durch den Kalten Krieg und die politischen Gegensätze in Europa ist eine intensive Auseinandersetzung über den Holocaust bis in die 90er Jahre ausgeblieben. Erst durch den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundene Annäherung von Ost und West ist ein gesamteuropäischer Wertekanon mit Blick auf den Holocaust denkmöglich geworden.
Opferthese und der Fall Waldheim
Das österreichische Gedächtnis ist bis 1986 von der Opferthese dominiert worden, die besagte, dass Österreich als das erste Opfer Hitlerdeutschlands keine Verantwortung für die Nazigräuel habe.

Erst eine Aussage von Bundespräsident Kurt Waldheim ("Pflichterfüllung") brachte die Opferthese zu Fall. Eingeständnisse von Politikern zur Mitschuld am Nationalsozialismus folgten. Und damit war auch der historische Diskurs in seiner gesamten Breite eröffnet.
Mahnmale und Gedächtniskultur
Die politische Reaktion auf die Diskussionen über Rückgabe ehemals jüdischen Besitzes haben zur Einsetzung der Österreichischen Historikerkommission der Bundesregierung geführt, die bis 2002 ihren Endbericht abliefern wird. Ebenso sollten Gedenktage und Denkmäler die symbolische Ebene der Wiedergutmachung unterstreichen.
Künftige Regelungen in Europa
Können die in Österreich und Deutschland praktizierten Restitutionen für andere Bereiche vorbildhaft sein? Ernst Sucharipa, Sonderbotschafter für Restitutionsfragen, erwartet sich ähnliche Verfahren im Zusammenhang mit den ethnischen Konflikten am Balkan.

Ähnlich könnte in Zukunft auch die Frage der Vertreibung der Sudetendeutschen zu einem paradigmatischen Fall werden, wie Europa mit Restitution umgeht.
Geld oder Symbol?
Die Frage der Restitution ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine moralphilosophische. Der amerikanische Anthropologe John Bornemann warnt vor der Überbewertung von Geldzahlungen als Wiedergutmachung. "Wunden können nicht durch Geld geheilt werden." Viel mehr fordert er symbolische Akte wie Ausstellungen oder Denkmäler.
Mitschuld oder Verantwortung
Besonders für Jugendliche wäre es schwer, eine Mitschuld am Holocaust zu erkennen. So der Grün-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit. "Es ist eine zivilisatorische Frage, wie wir damit fertig werden, dass Menschen so etwas Menschen angetan haben."

Die Frage des Holocaust müsse von der persönlichen Schuldfrage auf eine Ebene gebracht werden, auf der moralische und zivilisatorische Standards diskutiert werden können.

Wolfgang Slapansky, Ö1 - Dimensionen
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
Lesen Sie mehr zu diesem Thema in science.orf.at:
->   Gedächtnis und Restitution
->   Wissenschaft, Politik und Holocaust
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010