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Mit Fairness zu höherer Produktivität  
  Psychologische Studien zeigen, dass Geldanreize nur einen relativ geringen Teil der Unterschiede im Engagement von Arbeitnehmern erklären. Besser schneiden Faktoren wie die Identifikation der Arbeitnehmer mit den Entscheidungen des Unternehmens und die Einschätzung der Gerechtigkeit im Umgang mit den Mitarbeitern ab.  
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Psychologische Grundlagen der Ökonomie
"Geld, Glück und Ungeduld" ist das Thema der Europäischen Wissenschaftstage Steyr 2001 von 2. bis 5. Juli 2001, die sich mit den sozialen und psychologischen Grundlagen des Wirtschaftslebens befassen werden.

In Kooperation mit den Wissenschaftstagen Steyr und der Neuen Zürcher Zeitung bringt science.orf.at als Fortsetzung einer Serie einen Originalbeitrag von Tom Tyler, Professor für Psychologie an der New York University.
->   Europäische Wissenschaftstage Steyr
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Soziale Motive fördern die Kreativität
Ein Originalbeitrag von Tom Tyler

Es ist eine Binsenwahrheit, dass der Erfolg der Firmen entscheidend vom Engagement der Mitarbeiter abhängig ist. Diese Abhängigkeit gilt in ausgeprägtem Masse für Firmen der «New Economy», da in technologieintensiven Branchen von den Arbeitnehmern vermehrt unabhängiges Denken und Kreativität gefordert wird.

Im folgenden sollen daher Faktoren untersucht werden, die das Verhalten von Individuen am Arbeitsplatz bestimmen. Im herkömmlichen ökonomischen Ansatz, aber auch in den in der Realität zum Einsatz gelangenden Lohnmodellen, wird das Gewicht einseitig auf monetäre Anreize wie Lohnhöhe und Boni gelegt. Dies führt zu einem Managementmodell, das auf «Befehl und Kontrolle» basiert.
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Firmen, die dieses Modell favorisieren, legen typischerweise die gewünschten, beobachtbaren Arbeitsleistungen im einzelnen fest und belohnen die Leistungen des Arbeitnehmers relativ zu diesem Benchmark.
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Tatsächlich lässt sich feststellen, dass Individuen oft härter arbeiten, wenn sie besser bezahlt werden. Doch zusammen mit Steven Blader konnte ich in einer Untersuchung nachweisen, dass monetäre Anreize lediglich rund 10% der Variation im Verhalten von Arbeitnehmern zu erklären vermögen.
Die innere Einstellung entscheidet
Monetäre Anreize eignen sich besonders gut, wenn die Anforderungen im voraus klar spezifiziert werden können. Kreativität und Initiative lassen sich dagegen mit Belohnungen weniger gut fördern. Aus diesem Grund haben sich Organisationspsychologen über andere Leistungsanreize, die unter dem Stichwort «soziale Motive» zusammengefasst werden können, Gedanken gemacht.
Soziale Motive
Soziale Motive gehen über den Wunsch nach einer guten Bezahlung oder nach besseren Karrierechancen hinaus. Den sozialen Motiven kann die innere Einstellung des Arbeitnehmers gegenüber seiner Arbeit und seiner Firma zugerechnet werden _ beispielsweise arbeiten Beschäftigte härter, wenn sie gegenüber ihrem Arbeitgeber loyal eingestellt sind.
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Arbeitnehmer mit einer positiven inneren Einstellung engagieren sich häufiger in kreativer und innovativer Arbeit, die in ihrer Jobbeschreibung nicht explizit festgelegt ist.
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Werthaltungen und andere 'weiche Faktoren'
Die Werthaltungen des Arbeitnehmers bilden den zweiten wichtigen Typus sozialer Motivation. Dazu gehören seine Ansichten über die Legitimität von Regeln innerhalb der Firma sowie seine Beurteilung der moralischen Qualität unternehmerischer Entscheide.

Arbeitnehmer, die die Regeln und Taktiken ihrer Firma als legitim erachten, übernehmen mehr Verantwortung und werden den Regeln auch folgen, wenn ihr Verhalten nicht überwacht wird. Unsere Forschung zeigt, dass sich 20% der Variation im Verhalten der Arbeitnehmer mit diesen «weichen» Faktoren erklären lassen.
Prozedurale Gerechtigkeit
Die Untersuchungen der Organisationspsychologie zeigen, welche Aspekte der Firmenkultur die Einstellungen und das Verhalten der Arbeitnehmer besonders prägen. Vor allem drei Aspekte stehen im Zentrum der Diskussion.

Erstens arbeiten Individuen härter, wenn sie merken, dass die Regeln und die Arbeitsplatzkultur sich für sie vorteilhaft auswirken. Zweitens ziehen Menschen es vor, dort zu arbeiten, wo sie das Gefühl haben, «fair» entschädigt zu werden. Schliesslich lässt sich drittens das Verhalten der Arbeitnehmer durch die Einschätzung der prozeduralen Gerechtigkeit beeinflussen.
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Unter prozeduraler Gerechtigkeit sind Verfahren zu verstehen, mit welchen firmeninterne Entscheidungen gefällt, Ressourcen verteilt und Chancen eröffnet werden. Tatsächlich zeigen die Forschungsergebnisse, dass die positive Einstellung am meisten dadurch beeinflusst wird, wie fair die Arbeitnehmer die Verfahren einschätzen, die in ihrer Firma zur Organisation der Arbeit verwendet werden.
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Faire Entscheidungen
Ob ein Individuum die Situation am Arbeitsplatz als fair einschätzt, hängt wiederum von zwei Faktoren ab. Erstens kommt es darauf an, dass die Entscheidungen selbst als fair beurteilt werden. Hierbei spielt es eine Rolle, ob Entscheidungen unparteiisch oder voreingenommen gefällt werden, ob sie auf Fakten oder auf persönlichen Meinungen sowie Stereotypen beruhen, und ob die Mitarbeiter einen Einfluss auf die Entscheidungen ausüben können.

Der zweite Aspekt, der die Einschätzung der prozeduralen Gerechtigkeit prägt, ist die Art und Weise, wie Arbeitnehmer behandelt werden, ob ihnen Respekt entgegengebracht wird und ob das Management ihren Bedürfnissen und ihrer persönlichen Situation Rechnung trägt.
Die Kreativität fördern
Viele Leute mögen überrascht sein, dass die prozedurale Gerechtigkeit eine so prominente Rolle spielt, denn die Überzeugung, dass vor allem monetäre Anreize zur Arbeit motivieren, ist tief in unserer Kultur verwurzelt.

Doch die empirischen Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. «Soziale Motive» stellen ein Schlüsselelement dar, um die Kreativität der Mitarbeiter zu fördern. Arbeitnehmer wollen unter fairen Bedingungen arbeiten, in denen die prozedurale Gerechtigkeit gewährleistet ist.

Tom Tyler, Professor für Psychologie, New York University
->   Neue Zürcher Zeitung
Lesen Sie mehr in der Serie über die psychologischen Grundlagen der Ökonomie in science.orf.at:
->   Geldillusion und Geldpolitik
->   Spiegeln Marktpreise wahre Werte?
->   Neue Lerntheorien in der Ökonomie
 
 
 
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01.01.2010