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'Intelligente Mobilität' gegen Verkehrschaos  
  "Panta rhei", alles fließt - zumindest nach den Wunschvorstellungen von Politikern, Stadtplanern und Verkehrsteilnehmern. Auf überlasteten Straßenverbindungen wie etwa der Wiener Südosttangente heißt es aber nur zu oft "rien ne va plus".  
Wie Konzepte für eine intelligente Mobilität aussehen könnten, darüber haben Fachleute im Rahmen einer von der Ö1-Wissenschaftsredaktion und den Austrian Research Centers (ARCS) gemeinsam veranstalteten Enquete diskutiert.

 


Die Teilnehmer der Enquete von links nach rechts: Dr. Robert Hastings, AEU GmbH, Wallisellen, Schweiz - Infrastrukturexperte; Boris Palmer, MdL Baden-Württemberg, Die Grünen/B 90; Dipl.-Ing. Anton Plimon, arsenal research; Dr. Margit Czöppan, Moderatorin (ORF); Dipl.-Ing. Bernhard Engleder, Vorstandsdirektor der Autobahnen- und Schnellstraßen Finanzierungs AG (ASFINAG); Dipl.-Ing. Wolfgang Rauh, Verkehrsclub Österreich.
Jeder ist betroffen
"Verkehr ist ein komplexes Thema, das sehr individuell und subjektiv erlebt wird. Jeder ist betroffen", sagte Professor Günter Koch vom ARCS bei der Begrüßung.

Die Wissenschaftler müssten nun versuchen, diesen Bereich gesamtheitlich zu betrachten: "Bei Verkehr gibt es keinen Königsweg. Diskussionen wie die heutige sind der probateste Weg, sich diesem Thema zu nähern."
Zu wenig Kapazität für Spitzenzeiten
Verkehrsinfrastruktur-Beitreiber wie sein Unternehmen hätten mit dem Problem zu kämpfen, nicht zu jeder Zeit ausreichend Kapazitäten anbieten zu können, sagte Bernhard Engleder. Man müsse sich aus finanziellen Gründen ausschließlich an der durchschnittlichen Verkehrsbelastung orientieren, Staus zu Spitzenzeiten seien daher oftmals unvermeidlich.

Der Vorstandsdirektor der ASFINAG betonte jedoch, dass Verkehrsspitzen durch neue Technologien im Bereich von Verkehrsleit- und -beeinflussungssystemen abgeschwächt werden können. 2003 werde ein entsprechendes Pilotprojekt im Großraum Wien gestartet, auch für Linz, Salzburg, Graz und die Brenner-Strecke sei ähnliches geplant.
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Vorrang für die Öffis
Allheilmittel sei die neue Technologie aber keines. Man müsse sich vielmehr darüber klar werden, welchen Verkehr man wolle und welchen nicht, sagte Engleder. Gerade in Ballungsräumen spielten die öffentlichen Verkehrsmittel eine große Rolle, die forciert und ausgebaut werden sollten.
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Verkehr zu teuer
Jeder vierte Schilling wird laut einer Studie des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) für den Transport von Personen oder Gütern ausgegeben. Der Verkehr sei damit viel zu teuer, sagte Wolfgang Rauh. Er forderte daher, auch in diesem Bereich faire und effiziente Marktmechanismen einzuführen.

Die Deregulierung (Wettbewerb im öffentlichen Verkehr) und der Abbau von Subventionen (Pendlerförderung, PKW-Kilometergeld) sind für Rauh zwei wünschenswerte Maßnahmen. Er tritt aber auch für die Vergabe knapper Verkehrsflächen zu Marktpreisen (stauabhängige Bemautung, teurere Parkplätze) und die Internalisierung externer Kosten (Umweltbelastung, Verkehrsunfälle) ein.
Auto als rollende Meßstation
Für Anton Plimon vom arsenal research ist die von Bernhard Engleder vorgeschlagene Verkehrstelematik ein guter Ansatzpunkt. Als optimal betrachtet er das so genannte "Floating Car Data-System".

Damit wäre jedes Auto ein Sensor, der Geschwindigkeit und Position an eine Kontrollstelle übermittelt. In Verbindung mit Online-Simulationen könnten dann Verkehrsprognosen erstellt werden, die bis eine Stunde in die Zukunft reichen, betonte Plimon.
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Kombinierter Verkehr
Aber auch ausgeklügelte Leitsysteme können irgendwann nicht mehr einen Verkehrsinfarkt verhindern. Aus diesem Grund wünscht sich Plimon eine verstärkte Kombination von Individual- und öffentlichem Verkehr. Das große Problem sei, dass dies zwar bei täglich gleichen Routen - etwa dem Weg ins Büro - gut funktioniere, nicht jedoch "on demand" - also anlassbezogen.
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Das Auto als Stehzeug
"Im Schnitt wird ein Auto am Tag 55 Minuten bewegt und 23 Stunden und fünf Minuten steht es still". Boris Palmer von den Grünen/Bündnis 90 wünscht sich daher eine bessere Nutzung des Autos. Bei "intelligenter Koordination" könnten 18 bis 20 Personen einen PKW teilen. Verbesserungswürdig sei aber auch die Fahrzeugtechnik - gerade hinsichtlich alternativer Treibstoffe wie Wasserstoff.

Priorität hat für den Grünen auch die Verlagerung des Verkehrs. Neben mehr Radfahr-Möglichkeiten wünscht er sich auch die Stärkung der öffentlichen Verkehrsmittel. Dafür sei es aber unabdingbar die "aus dem 19. Jahrhundert stammende Schienen-Infrastruktur in das 21. Jahrhundert zu heben". Außerdem müsse sich die Politik dazu bekennen, den Autoverkehr zu verteuern.
Großes Dilemma
Der Infrastrukturexperte Robert Hastings sieht ein Dilemma: Wird Mobilität billiger, werden Verkehr und Energiebedarf mit allen negativen Auswirkungen weiter wachsen. Wird Mobilität hingegen teurer, wird dies die Lebensqualität verschlechtern.

Aus diesem Grund hat Hastings einen anderen Ansatz: Seiner Meinung nach sollte vorrangig der Mobilitätsbedarf gesenkt werden. In diesem Zusammenhang sollten die Stadtplaner dazu übergehen, Wohn-, Arbeits- und Erholungsorte wieder zusammenzulegen.
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Radikales Projekt in Deutschland
Unterstützung erhielt Hastings vom Grünen Palmer: In Tübingen ist man dabei, eine neue "Stadt der kurzen Wege" zu bauen. Auf einem ehemaligen Kasernengelände entstehen Wohnungen für 6.000 Menschen sowie 2.000 Arbeitsplätze (Verkaufs- und Büroräume). Garagen oder Parkplätze sind nur außerhalb dieses Areals vorgesehen. In der Folge dürften auch die öffentlichen Verkehrsmittel stärker genutzt werden, hofft Palmer.
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Mobilität ist in Ballungsräumen anders zu sehen
Bei bestehenden Siedlungsstrukturen stößt man rasch an Grenzen, betonte hingegen Bernhard Engleder. Aus diesem Grund könne für Wien nicht das selbe gelten wie für Tübingen. Man müsse vielmehr bestehende Möglichkeiten optimal nutzen. Gerade bei den öffentlichen Verkehrsmitteln gäbe es im Großraum Wien noch viel Spielraum, sagte der Vorstandsdirektor der ASFINAG.

Als großes Problem sieht er jedoch den Güterverkehr auf der Straße mit Zuwachsraten von bis zu 10 Prozent pro Jahr. Es müsse gelingen, zumindest einen Teil auf die Bahn zu verlagern. In diesem Zusammenhang fordert er verkehrspolitische Maßnahmen wie eine LKW-Maut in "ausreichender Höhe".
Straße immer noch bevorzugt
Wolfgang Rauh vom VCÖ bemängelte, dass die Bahn beim Gütertransport nur wenig Chancen gegen den LKW hätte. Im Gegensatz zur Infrastruktur der Autobahnnetze sei jene der Bahn veraltet. Während der Straßentunnel durch den Semmering gebaut werde, müsse sich die Bahn über eine "150 Jahre alte Strecke mit Kurvenradien, die auf Anschlussbahnen heute nicht mehr zugelassen sind" quälen.
Irrationale Politiker
Rauh glaubt, dass sich die Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Rahmenbedingungen durchaus vernünftig verhalten: "Wer sich irrational verhält, sind die Politiker."

Er kritisierte in diesem Zusammenhang, dass mehrere Milliarden Schilling in Prestigeprojekte wie die Karawanken-Autobahn investiert worden sind - hier sind nach seinen Angaben nicht mehr als 7.000 Autos pro Tag unterwegs ("das haben wir auf jeder zweiten Dorfstraße"). Gleichzeitig fehle damit aber auch das Geld für dringend notwendige Bauarbeiten - etwa für zusätzliche Fahrstreifen in Ballungsräumen.

Johannes Stuhlpfarrer
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01.01.2010