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Cyber-Rüstungskontrolle gefordert  
  Die USA haben bereits eine Eingreiftruppe für Computerattacken gegründet. Andere Staaten wie Russland oder China ziehen nach. Auch die deutsche Bundeswehr arbeitet an einer Doktrin für Informationsoperationen. Ein elektronischer Rüstungswettlauf droht. Wissenschafter fordern nun eine Cyber-Rüstungskontrolle.  
Die militärische Nutzung des Cyberspace und die Verteidigung der zivilen Datennetze gegen Hackerangriffe sind zwei Seiten einer Entwicklung, die zu einer Militarisierung der weltweiten Datennetze führen kann. In Berlin beginnt morgen eine internationale Konferenz über "Rüstungskontrolle im Cyberspace", die auch von österreichischen Wissenschaftlern vorbereitet wurde. Dabei sollen die Perspektiven einer Cyber-Friedenspolitik erörtert werden.
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Rüstungskontrolle im Cyperspace
Internationale Konferenz
29., 30. Juni 2001
Heinrich Böll Stiftung Berlin.

Die Konferenz wird in Kooperation mit der Forschungsgruppe Informationsgesellschaft durchgeführt. Der Linzer Rüstungsforscher Georg Schöfbänker vom Österreichischen Informationsbüro für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle hat bei der Konzeption mitgewirkt und für science.orf.at den folgenden Originalbeitrag zur Verfügung gestellt.
->   Information: Heinrich Böll Stiftung
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->   Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik
Ansätzmöglichkeiten der Cyber-Rüstungskontrolle
Originalbeitrag von Georg Schöfbänker

Mit dem Amtsantritt der neuen US-Administration ist die so genannte "Bedrohung" durch Info War-artige Akte sprunghaft angestiegen.

Nicht dass sich die Welt seitdem radikal verändert hätte, aber wenn man den Präsidenten der stärksten Militärmacht der Welt beim Wort nimm, dann scheint diese vorwiegend aus Osama Bin Ladins mit Langstreckenraketen, Massenvernichtungswaffen und IW-Kapazitäten zu bestehen.

Mehrmals in letzter Zeit wurde eine solche Gleichsetzung behauptet.
Bedrohungspotentiale...
Was seit den frühen 90er Jahren zunächst in den von Arbeitslosigkeit bedrohten Denkfabriken des Kalten Krieges entstanden ist, Informationskrieg als strategisches und taktisches Konzept, wurde seit Bush Junior "geadelt" und von seinem Bedrohungspotential auf die gleiche Stufe wie Massenvernichtungswaffen gestellt.

Das Resultat dieser Kampagne ist, dass es zunehmend schwieriger wird, gegen diesen Unsinn einer theoretischen Nivellierung von Massenvernichtungswaffen und Info War-Kapazitäten zu argumentieren, auch wenn es Aspekte dieses Diskurses gibt, die eindeutig in diese Richtung weisen, aber als solche bislang nicht erkannt werden.
...und neuer Bedrohungsdiskurs
Dieser neue Bedrohungsdiskurs in den USA brachte es zustande, den enormen und objektiv nicht bestreitbaren Sicherheitsgewinn für Europa und Nordamerika durch das Ende des Kalten Krieges und die Blockkonfrontation klein zu reden und durch die Trias Raketenproliferation, Biowaffen und Informationskrieg zu ersetzen.
Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle
Für Raketenproliferation und biologische Waffen gibt es Rüstungskontrollvereinbarungen. Für den Informationskrieg oder Informationsoperationen bislang nicht. Es wird Zeit, dies in Angriff zu nehmen.
Drei Annäherungen
Erstens kann nach einer genauen Durchsicht aller US-Definitionen hierzu versucht werden, Klarheit in das babylonische Sprachgewirr zu bringen und zu identifizieren, welche Formen von Cyberattacken überhaupt reguliert werden könnten.

Zweitens können Analogien zu bestehenden Rüstungskontrollvereinbarungen gebildet werden.
Drittens schließlich geben nationales Strafrecht und internationales Völkerrecht auch einen existierenden Normenbestand vor.
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Mögliche Einwände
Fragen der Verifizierbarkeit und die Proliferation von IT-Systemen und Software sind der gewichtigste Einwand gegen die Möglichkeit der Anwendbarkeit von Rüstungskontrollmaßnahmen im klassischen Sinn. Ein "Erbsenzählen" von Waffensystemen scheidet somit aus. Das Kriterium der Verifizierbarkeit kann zunächst weit zurückgestellt werden.

Im Kalten Krieg haben sich zahlreiche höchst technisch komplizierte Rüstungskontrollbereiche, die zuvor als nicht verifizierbar galten, schließlich doch regulieren lassen.
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Zivilgesellschaftliche Nutzung des Cyberspace
Wenn staatliche Akteure übereinkommen könnten, ihre zivilgesellschaftlichen IT-Systeme wechselseitig nicht zum Kriegsschauplatz ihrer Militärs zu erklären und darüber hinaus ein Konsens erzielt werden könnte, dass kritische Infrastrukturen auch in militärischen Auseinandersetzungen nicht zum IW-Schlachtfeld werden - wozu es durchaus ja Analogien im Kriegsvölkerrecht gibt - wäre man der Realisierung einer zivilgesellschaftlichen Nutzung des Cyberspace einen Schritt näher gekommen.
Anhaltspunkt im Völkerrecht
Letztendlich könnte dies auf die Errichtung einer Norm hinauslaufen. Und gerade zur Etablierung einer solchen bietet das Völkerrecht schon jetzt einen konkreten Anhaltspunkt:

Im Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte , heißt es unter Art. 36 Neue Waffen:
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'Jede Hohe Vertragspartei ist verpflichtet, bei der Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel oder Methoden der Kriegsführung festzustellen, ob ihre Verwendung stets oder unter bestimmten Umständen durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die Hohe Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre.'
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So betrachtet liegt der Handlungsbedarf bei den nationalen Akteuren selbst.

Dr. Georg Schöfbänker
e-mail: oisr@aon.at
->   Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit
->   Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung
->   Institut für Friedenforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg
->   Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
->   Netzwerk Neue Medien
 
 
 
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01.01.2010