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Blutzellen liefern Krebsmedikamente  
  Lebensnotwendige Krebsmedikamente werden bald schon mit punktgenauer Präzision zu den erkrankten Organen transportiert werden können. Wie das geht? Die roten Blutkörperchen des Patienten selbst dienen als medikamententragende Torpedos.  
Das Krebsmedikament wird durch die neue Methode punktgenau an dem Ort im Körper, wo es benötigt wird, platziert. Durch eine Ultraschallbehandlung des erkrankten Gewebes platzen die roten Blutkörperchen auf, und das freigesetzte Medikament kann direkt am krebserkrankten Gewebe seine Wirkung entfalten, wie der "New Scientist" in seiner neusten Ausgabe berichtet.
Freisetzung war bisher größtes Problem
"Was könnte besser für den punktgenauen Einsatz von Medikamenten sein, als die roten Blutkörperchen des Patienten?", fragt Les Russell, Leiter von "Gendel" in Coleraine, Nordirland, und treibende Kraft hinter der neuen Technologie.

Laut Russel haben schon mehrere Wissenschaftler mit geringem Erfolg versucht, Medikamente "an Bord" von roten Blutkörperchen zu transportieren. "Medikamente in rote Blutkörperchen zu verfrachten, war nie das Problem. Schwierig war bisher nur, sie wieder frei zu setzen", erklärt Russel.
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Rote Blutkörperchen
Die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), sind scheibenförmige Zellen. Sie enthalten ein von einer Membran umhülltes Eiweißgerüst, in dessen Maschen sich das Hämoglobin befindet. Dieses bindet den Sauerstoff der Luft und erhält dadurch eine hellrote Farbe. Die Erythrozyten transportieren den Sauerstoff zum Gewebe, wo er abgegeben wird und Kohlendioxid aufgenommen wird. Hierdurch erhält das Hämoglobin eine dunkelblaurote Färbung. Das Kohlendioxid wird zu den Lungen transportiert und dort gegen Sauerstoff ausgetauscht. Die im Blutserum enthaltenen Agglutinine können fremde Erythrozyten verklumpen und dienen zur Unterscheidung von Blutgruppen.
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'Sensibilisierte' Blutkörperchen
Die neue Technologie benutzt einen Effekt, den Tony McHale von der University of Ulster entdeckte. Er fand heraus, dass ein elektrisches Feld die roten Blutkörperchen "sensibilisiert", und zwar in der Weise, dass diese aufplatzten, wenn sie Ultraschall-Impulsen ausgesetzt werden.

Nun entwickeln die Wissenschaftler eine automatisierte Vorrichtung, die 20 Milliliter Patientenblut aufnimmt, die Blutkörperchen "sensibilisiert" und mit dem jeweiligen Medikament 'belädt'.

Nach zwei bis drei Stunden wird die so behandelte Blutprobe dem Patienten re-injiziert und mittels Ultraschall werden die in den Blutkörperchen gespeicherten Medikamente freigesetzt. Je nach Intensität des Ultraschall-Impulses, kann das Medikament dosiert oder auf einmal abgegeben werden.
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Die Details der Prozedur
In einem ersten Schritt werden die Zellen einem gepulsten elektrischen Feld ausgesetzt. Dies bewirkt die "Sensibilisierung" für die Ultraschall-Impulse. Im nächsten Schritt werden winzige Poren in die roten Blutkörperchen gebohrt, um dem Medikament zu ermöglichen, in die Blutzelle zu diffundieren. Dann werden die Poren der Zelle wieder verschlossen, um das Medikament in sich einzuschließen - bis zu dem Zeitpunkt, wo die Blutzellen dem Ultraschall ausgesetzt werden, um das Medikament frei zu geben.
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Farbige Darstellung der einzelnen Behandlungsschritte der roten Blutzellen.
Bis zu vier Monate im Kreislauf
"Wenn die Zellen fertig präpariert sind, kann man sie problemlos wieder in den Körper das Patienten re-injizieren", erklärt Russel. Laut dem Wissenschaftler sollen die wieder eingeimpften und behandelten Blutzellen bis zu vier Monate im Kreislauf zirkulieren.

In der klinischen Verwendung öffnen sich die behandelten roten Blutzellen tief im Körper. Dies geschieht durch Anwendung wenig intensiver Ultraschall-Impulse auf der Haut des Patienten mit Frequenzen von circa einem Megahertz.

Der Clou an der Sache: Nur die vorab behandelten Blutzellen nehmen durch die "Sensibilisierung" genügend Energie auf, um schließlich zu zerplatzen. An unbehandelten Blutzellen geht die Ultraschall-Behandlung spurlos vorüber.
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Was ist Ultraschall?
Unhörbare Schallwellen sehr hoher Frequenz (größer als
20.000 Hertz). Ultraschall wird mit Schwingquarzen und anderen Geräten hergestellt. Man erhält scharf begrenzte Schallstrahlen, die gespiegelt und gebrochen werden können. Sehr energiereicher Ultraschall erzeugt in Flüssigkeiten große Schalldrücke. Dadurch können einerseits große Moleküle oder Molekülketten zerrissen oder Geschwüre zerstört werden, andererseits kann die Energie dazu dienen, Hohlräume für gelöste Gase zu schaffen. Der Ultraschall wird in der Technik vielfach verwendet (z. B. Werkstoffuntersuchung, Schweißen; künstliche Alterung von Spirituosen); in der Medizin (Untersuchung von schwangeren Frauen, Nierensteinzertrümmerung). Ultraschall findet auch zur Peilung im Fischerei- und Schifffahrtswesen Verwendung.
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Tests an Mäusen und Schweinen erfolgreich
Bei ersten Tests an Mäusen und Schweinen konnten keinerlei nachteilige Effekte festgestellt werden. Anstelle von Medikamenten injizierte man den roten Blutzellen fluoreszierende Proteine.

Diese Methode sollte zeigen, dass die Blutzellen die von ihnen transportierten Stoffe und Medikamente zielgenau in jenen Organen abgeben, die dem Ultraschall ausgesetzt werden. Schweine wurden auch deshalb als Versuchstiere ausgewählt, da ihre roten Blutzellen und ihr Kreislaufsystem dem des Menschen ähnlich ist.

Die nordirischen Wissenschaftler hoffen mit ihrer Methode bald Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen behandeln zu können, indem sie Blutzellen mit Antikörpern und diversen Designerproteinen beladen.
Erstmalige Kontrolle des Vorgangs
Für Alfred Stracher, Chefredakteur der Zeitschrift
"Drug Delivery" lag die Schwierigkeit in der Vergangenheit vor allem daran , dass Ort und Zeitpunkt der Medikamentenabgabe durch die Blutzellen nicht zu kontrollieren war. "Jetzt scheint es erstmals möglich, diese Probleme erfolgreich zu umgehen", so Stracher.

(red)
->   School of Biomedical Sciences, University of Ulster
->   Cancer Research Campaign
->   New Scientist
 
 
 
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01.01.2010