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Das Spiel um die Studiengebühren  
  Den Aufruf zum Boykott der Studiengebühren durch die Österreichische Hochschülerschaft schlägt im Augenblick hohe Wellen. Ob es funktioniert, wird man erst Mitte Oktober wissen. Doch Interessierte können sich derweil dem Thema auch spielerisch nähern: Die Spieltheorie gibt Aufschluss über "Risiken und Nebenwirkungen".  
Die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) hat mit dem Spiel "Gebühren Studenten Studiengebühren?¿ einen gewieften Zug gespielt. Ob er zum Tragen kommt, wird man allerdings erst sehen.

Viele Situationen die uns im Alltag begegnen, kann man als Spiel mit verteilten Rollen begreifen. Spieltheoretiker versuchen herauszufinden, wie sich die einzelnen Mitspieler am besten verhalten können.
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Das Boykott-Modell
Das Boykott-Modell sieht die Einrichtung eines Treuhandkontos vor, auf das die Studenten - statt an die vom Ministerium eingerichteten Konten - die Studiengebühren in der Höhe von 5.000 Schilling einzahlen sollen. Sind bis zum 12. Oktober die Gebühren von mindestens 30.000 Studenten auf dem Konto eingelangt, will man die Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) auffordern, die Einführung der Studienbeiträge rückgängig zu machen. Sollte das Quorum verfehlt werden, wird der Gesamtbetrag ans Ministerium überwiesen.
->   Mehr dazu in science.orf.at
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Entweder alle, oder keiner...
Das Problem kennt jeder aus der eigenen Schulzeit. Etwas ist zu Bruch gegangenen und die Bestrafung des Schuldigen bleibt nur dann aus, wenn alle dicht halten.

Die Idee ist einfach, funktioniert aber nur, wenn keiner schwach wird. Und die Schülergemeinschaft wird natürlich durch Verlockungen und Drohungen von Lehrerseite auf die Probe gestellt.
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Problemstellung nach Rousseau
Ein ähnliches Problem hat schon Jean-Jacques Rousseau entworfen, die so genannte Hirschjagdparabel:
Im Verlauf einer Jagd gelingt es einer Gruppe von Jägern einen Hirsch und mehrere Hasen einzukreisen. Die Tiere versuchen auszubrechen und die Jäger stehen vor der Wahl. Den Hirsch können nur alle gemeinsam fangen, einen Hasen jeder alleine. Gibt es nur einen einzigen Jäger, dem der Sinn nach Hasenbraten steht, so gehen alle anderen, die das gemeinsame Wohl achten, leer aus.
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Spiel und Theorie
Das "Spiel" um die Studiengebühren hat eine ähnliche Struktur. Weigern sich nur Wenige zu zahlen, ist man als Verweigerer der Dumme.

Beteiligt sich aber eine großer Anteil der Studierenden an der Aktion, wird die Ministerin wohl kaum alle Nicht-Zahler vom Studium ausschließen. Denn ein Land ohne Studierende macht sich nicht gut.
Wo liegt der größere Nutzen?
Für die Überlegungen wird die Situation in einzelne Schritte zerlegt, die Spieler "ziehen" nacheinander. Die Frage ist nun, bei welchem Spielzug der höhere Nutzen für den Einzelnen herausspringt.

Der Erfolg hängt von den Handlungen des "Gegners" ab, die man aufgrund der Vorteile und Nachteile, die (aus seiner Sicht) für ihn entstehen, zu erahnen versucht.

Möglich wird das durch eine Bewertung aller Spielausgänge, die von jedem Spieler durchgeführt wird. Für die Studenten steht in diesem Spiel der Verlust der Familienbeihilfe und anderer Vergünstigungen gegen 5.000 zu zahlende Schillinge.

Oft sind die Bewertungen allerdings nicht eindeutig und hängen von ideellen Einschätzungen oder Imagefragen ab.
Belohnung oder Strafe
Man muss sich an die Spielregeln halten, kann mit Belohnungen oder Bestrafungen rechnen, selbst (leere) Drohungen ausstoßen, (hoffentlich leere) Drohungen missachten, und eine möglichst erfolgreiche Taktik verfolgen.

Wenn kein Mitspieler seine Situation durch eigene Handlungen verbessern kann, hat man ein Gleichgewicht und damit eine Lösung erreicht.
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Wer gewinnt das Spiel?
Wer sich genauer für die Spieletheorie interessiert, dem sei ein 1997 erschienenes Buch anempfohlen: Alexander Mehlmann, "Wer gewinnt das Spiel?", erschienen 1997 im Vieweg-Verlag, ISBN: 3-528-06897-3; 380,-ATS
->   Kurzinformation zum Buch
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Eine neue Taktik...
Die Idee der ÖH die Studiengebühren auf einem Treuhandkonto zu sammeln, hat für die Studentenvertretung auf jeden Fall einen Vorteil: Sie verbessert ihre Verhandlungsposition gegenüber der Ministerin.
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Neue ÖH-Führung tritt Montag ihr Amt an
Erst zum zweiten Mal seit 1945 tritt am kommenden Montag eine linke Exekutive in der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) ihr Amt an.
->   Mehr dazu in science.orf.at
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Spieltheoretisch profitieren die protestwilligen Studenten. Im taktischen Spiel Pro und Contra eines Studentenboykotts sind sie jetzt versichert, denn nur wenn genug Studenten mitspielen, d.h. nicht direkt einzahlen, tritt die Aktion in Kraft.
...die den Studenten Zeit verschafft
Statt den ersten Schritt jetzt blind zu setzen, gewinnt die Studentenseite einen Zeit- und Informationsvorteil. Während der Aktion bleibt der ÖH, wenn sie geschickt ist, genug Zeit für leere Drohungen und Bluffen - und die Medien werden das Ihre beitragen.
Kritikpunkt: Keine exakten Ergebnisse
Ein großer Kritikpunkt an der Spieltheorie ist allerdings, dass man trotz einfacher Struktur fast nie exakte Ergebnisse ausrechnen kann.

Aber man kann zumindest durch Überlegungen zur Struktur des Spieles Vorteile gegenüber dem Gegenspieler erlangen und die eigene Spielsituation verbessern.

Angewendet wird die Theorie eigentlich vor allem in den Wirtschaftswissenschaften. Insofern kann Ministerin Gehrer zufrieden sein: Die Studierenden haben das Gelernte praxisnahe eingesetzt.

Niki Popper, ZIB-Wissenschaft
Mehr Überlegungen zum Thema Spieltheorie
->   Artikel von Douglas R. Hofstaedter
->   Von Helden Feiglingen und anderen
Mehr zum Thema Studiengebühren in science.orf.at
->   Studiengebühren: Banken buhlen um Studierende
->   Studiengebühren: Unis beklagen Verwaltungskosten
 
 
 
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01.01.2010