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Physik als Motor der Lebenswissenschaften?  
  Arzneimittel, die nicht mehr an Tieren, sondern mit Hilfe von Mikrochips getestet werden, oder Bäume, die in die Magnetresonanzröhre müssen - so wie unsereiner im Krankenhaus. Was jetzt noch wie Zukunftsmusik klingt, könnte in einigen Jahren dank der Biophysik möglich werden.  
Aus diesem Grund diskutierten vorige Woche bei der 51. Nobelpreisträger-Tagung in Lindau am Bodensee Laureaten über die Bedeutung der Physik für die Lebenswissenschaften.
Kooperation als Erfolgsfaktor
Es geht um Geld, und es geht um Renommee. War das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Physik, ist jetzt die Biologie die Königswissenschaft. Das heißt auch, dass ein Großteil der Forschungsgelder dorthin fließt, insbesondere in die so genannten "Lebenswissenschaften".

Ivar Giaever erhielt 1973 noch den Physik-Nobelpreis für Arbeiten zur Supraleitung. Die großen Entdeckungen im Bereich der Molekularbiologie, die mit Namen wie James Watson oder Francis Crick verbunden sind, wären ohne Kooperation von Physikern und Biologen nicht möglich gewesen, meint er.
Bio-Chips
Giaever selbst hat seine Lektion gelernt - er baut mittlerweile "Biochips" - das sind quasi Cross-Over-Produkte aus Nanotechnologie und Mikrobiologie mit winzigen Sensoren für Proteine oder Gen-Produkte. Auf einem Gen-Chip, so groß wie ein Stück von einer Schokoladerippe, haben zum Beispiel 64.000 Hefe-Gene Platz.

Möchten Biologen nun studieren, welche Gene in ihrem Hefepräparat aktiv sind, injizieren sie ihre Hefe in den Chip. Dort leuchten die aktiven Gene unter Laserlicht auf. Eine einfache Methode, die kostspielige und zeitintensive Untersuchungen spart.
Dienerin "Physik"
Die Physik hat zweifellos viele Hilfsmittel erfunden, mit denen die Biologen dem Abenteuer Leben nun Geheimnisse abtrotzen möchten: etwa das Elektronenmikroskop oder die Kristallographie, die man zur Entschlüsselung von lebenswichtigen Proteinstrukturen braucht.

Die Forschungen von William Phillips, Physik-Nobelpreisträger von 1997, haben dazu beigetragen, dass man heute mit Laserlicht einzelne Atome bewegen kann - und zwar mit Hilfe von so genannten "optischen Pinzetten".
Laserstrahlen als Mikro-Pinzetten
Mit optischen Pinzetten kann man einzelne Teile in einer mikroskopisch kleinen Zelle verschieben, schneiden oder exakt ausrichten. Dadurch lässt sich zum Beispiel der Weg einzelner Viren bis zu dem Punkt verfolgen, wo sie in Zellen eindringen und dadurch Krankheiten auslösen.
Donner "sehen"
Steve Chu, der mit Phillips zusammen die Laser-Pinzetten vorbereitet hat, versucht hingegen an biologischen Systemen für die Physik zu lernen. Interessant wird es für ihn dort, wo das Gehirn an seine Grenzen stößt und damit unter Umständen auch allgemeine physikalische Grenzen aufzeigt. Zuletzt hat einer seiner Kollegen untersucht, wie anpassungsfähig das Gehirn ist. Die Fragestellung: Kann das Gehirn Donner auch sehen?

Bei einem neugeborenen Frettchen wurde ein Sehnerv durchtrennt und mit dem Hörzentrum im Gehirn verbunden. Der Effekt: das Frettchen sah auch mit jenem Auge, das seine Bilder ins Hörzentrum lieferte. Ein Beweis dafür, dass es keine vordefinierten Bereiche im Gehirn gibt, dass man unsere grauen Zellen sozusagen auch neu programmieren kann.
Janusköpfige Proteine
Robert Huber, Biochemiker im Max-Planck-Institut in München-Martinsried, fühlt sich als Chemie-Nobelpreisträger mehr der Physik zugehörig. Er versucht aufzuklären, warum sich große Proteine, obwohl sie dasselbe genetische Bauprogramm haben, unterschiedlich falten können.

Das ist insofern wichtig, als auch die Wirkweise dieser Makro-Moleküle von ihrer räumlichen Struktur abhängt. Berühmtes Beispiel: die BSE-Prionen - sie sind das Ergebnis einer Faltung in die falsche Richtung. Aber bislang verstehen die Forscher weder, warum es zu diesen Fehlbildungen kommt, noch wie.
Wasser mit Gedächtnis
Leben ist vielleicht ein Informationsgefüge, dessen Tiefe und Komplexität uns noch weitgehend unbekannt ist. Eine derartige These präsentierte der Physik-Nobelpreisträger von 1973 Brian Josephson in Lindau.

Er berichtete von Versuchen u.a. aus Princeton, die zeigen, dass das Lebensmolekül Wasser ein Gedächtnis haben könnte. Demnach wäre Wasser kein homogenes Medium mehr, weil sich einzelne Moleküle in fixe Positionen bringen, die als eine Art Informationskonservierung gedeutet werden können.
Leben - ein Quantenphänomen?
Auch Nils Bohr, der jeder Esoterik unverdächtig ist, argumentierte lange Zeit, Quanteneffekte könnten nicht nur im Atom eine Rolle spielen, sondern auch bei biologischen Abläufen. Wenn diese Annahme stimmt, müsste ein Studium des Lebens quasi aufgrund von Naturgesetzen an Grenzen stoßen.
Zuwenig Theorie
Was den Lebenswissenschaften fehle, sei der theoretische Überbau. Das meint der Teilchenphysiker Robert Laughlin, Nobelpreisträger für Physik 1998. Man mache zwar viele Experimente, habe aber häufig keine klaren Fragestellungen oder nur sehr diffuse Vorstellungen, wie Leben funktioniere.

Und so sei zum Beispiel der Forschungsstand in Sachen Gen-Sequenzierung geradezu schauerlich. Auch wenn zum Beispiel der Mensch, die Hefe oder die Ackerschmalwand voll durchsequenziert sei, gäbe es darin unglaublich viele Fehler.
Sinnliche Biologie - abstrakte Physik
Die Physik hat gegenüber der Biologie einen unübersehbaren Start-Nachteil - sie ist sehr abstrakt; Neutrinos und Quanteneffekte sind eben nicht jedermanns Sache.

Die Biologie ist viel sinnlicher, wie der Schweizer Medizin-Nobelpreisträger Werner Arber anmerkt. Denn die Biologie träumt vom ewigen Leben, davon, Krankheiten zu bezwingen, also die natürliche Uhr des Körpers zu überlisten. Und deswegen ist auch die Öffentlichkeit für die "Lebenswissenschaften" viel eher zu begeistern als für die Physik.

Einig sind sich die Nobelpreisträger zumindest über eines: dass die interessantesten Forschungsergebnisse in den nächsten Jahren von den Grenzflächen zwischen Physik, Chemie und Biologie kommen werden.

Franz Zeller, Ö1-Dimensionen
->   Radio Österreich 1
->   Tagung der Nobelpreisträger in Lindau
 
 
 
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01.01.2010