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Fairness contra Eigennutz  
  Das in Dilemma-Experimenten beobachtete Verhalten von Menschen weicht systematisch von der Prognose herkömmlicher ökonomischer Modelle ab. Die ökonomische Politikberatung muss daher soziale Motive wie Fairness oder bedingte Kooperation ernst nehmen. Sonst läuft sie Gefahr, wesentliche Determinanten menschlichen Verhaltens zu vernachlässigen und falsche Schlüsse zu ziehen.  
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Europäische Wissenschaftstage Steyr
"Geld, Glück und Ungeduld" ist das Thema der Europäischen Wissenschaftstage Steyr 2001 von 2. bis 5. Juli 2001, die sich mit den sozialen und psychologischen Grundlagen des Wirtschaftslebens befassen werden.

In Kooperation mit den Wissenschaftstagen Steyr und der Neuen Zürcher Zeitung bringt "science.orf.at" in gekürzter Form einen Originalbeitrag von Armin Falk, der als Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Zürich tätig ist.
->   Europäische Wissenschaftstage Steyr
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Fairness contra Eigennutz
Ein Originalbeitrag von Armin Falk

Im Mittelpunkt des traditionellen ökonomischen Denkansatzes steht die Annahme, dass Menschen allein auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Diese Eigennutzhypothese erlaubt eine relativ einfache Modellierung menschlichen Verhaltens und ist deshalb ein über die Wirtschaftswissenschaften hinaus erfolgreich angewendetes analytisches Werkzeug.

Sie bildet den verhaltenstheoretischen Kern nahezu sämtlicher ökonomischer Modelle und fließt direkt in die ökonomische Politikberatung ein.
Systematische Untersuchung der Eigennutzhypothese
Doch wie sieht es mit dem empirischen Gehalt dieser Hypothese aus? Orientieren sich die meisten Menschen tatsächlich am Eigennutz oder spielen auch soziale Motive wie Altruismus, Fairness, Reziprozität oder Neid eine Rolle?

Durch die Entwicklung der experimentellen Wirtschaftsforschung ist es heute möglich, diese Frage systematisch zu untersuchen.
Bedingte Kooperation in Dilemma-Situationen
Fairnessüberlegungen spielen in sozialen Dilemma-Situationen eine große Rolle. In solchen Situationen führt die Befolgung individueller Interessen zu einem insgesamt schlechten Ergebnis für alle.
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Beispiel: Umweltgerechtes Verhalten
Ein Beispiel für solch ein Dilemma bildet die Frage umweltfreundlichen Verhaltens. Für jeden einzelnen ist es bequemer oder kostengünstiger mit dem Auto statt dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, den Müll nicht zu trennen und keine speziellen Rußfilter in die Heizungsanlage einzubauen. Doch insgesamt wäre es besser, wenn sich alle umweltgerechter verhielten, da dadurch Energie eingespart und die Umwelt vor belastenden Schadstoffen geschützt werden könnte.
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Da soziale Dilemma-Situationen extrem häufig auftreten und von großer ökonomischer Bedeutung sind, wurden sie in Hunderten von Experimenten studiert. Entgegen der Eigennutzhypothese verhalten sich die meisten Teilnehmer bedingt kooperativ. Sie handeln zugunsten des Allgemeinwohls, wenn auch die anderen dies tun.

Bedingte Kooperation ist jedem vertraut. Wer kommt in einer Wohngemeinschaft schon gerne seinen Haushaltspflichten nach, wenn die Mitbewohner nicht oder nur "oberflächlich" putzen? Wer engagiert sich schon gerne für ein Vereinsfest, wenn die anderen nicht bereit sind, Zeit und Geld dafür zu investieren? Niemand will schließlich der Dumme sein.
Steuerhinterziehung, ein Problem ...
Steuerhinterziehung ist ein zentrales wirtschaftspolitisches Problem. Laut Schätzungen entgehen dem US-Fiskus hierdurch jährlich Einnahmen in der Höhe von ca. 130 Mrd. Dollar.

Die traditionelle Analyse unterstellt, dass Steuern immer dann gezahlt werden, wenn die Kosten der Steuerzahlung geringer sind als die erwarteten Kosten bei einer Steuerhinterziehung. Um die Steuerhinterziehung einzudämmen, wird deshalb vorgeschlagen, sowohl die Strafe als auch das Risiko ertappt zu werden, zu erhöhen.
... geringer als Eigennutz-Modell nahe legt
Diese Argumentationslinie der traditionellen Politikberatung hat indes einen Haken. Denn es gilt als unumstritten, dass weitaus weniger Steuern hinterzogen werden, als mit dem Eigennutz-Modell vereinbar wäre.

Offenbar spielen auch nicht-materielle Faktoren bei der Entscheidung eine wesentliche Rolle, ob die Steuern korrekt bezahlt werden. Eine alternative Politikempfehlung muss sich daher auch damit auseinandersetzen, wie die Steuermoral verbessert werden kann, d. h. wie freiwillige Formen der Steuerzahlung gefördert werden können.
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Steuermoral durch Fairness?
Alle Faktoren, die für die Fairness eines Steuersystems relevant sind, können sich auf die Steuermoral auswirken. Das gilt nicht nur für das extreme Beispiel der Kopfsteuer, sondern auch für die absolute Höhe der Steuerbelastung, die Ausgestaltung der Steuertarife, den Eingangssteuersatz, den Höchststeuersatz oder die konkreten Regeln wie etwa das Ehegattensplitting.
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Wer zurück gibt, darf auch nehmen
Der moderne Sozialstaat ist auf ein Mindestmaß an Akzeptanz und Zustimmung seiner Bevölkerung angewiesen. In der Ausgestaltung gilt es daher fundamentale Fairnessgrundsätze zu beachten.

Die Akzeptanz sozialpolitischer Maßnahmen kann beispielsweise erhöht werden, wenn Transferempfänger wie etwa Asyl- oder Sozialhilfeempfänger nicht nur etwas erhalten, sondern auch etwas zurückgeben müssen.

Da unter diesen Umständen die Geber das Gefühl haben, dass sie zumindest symbolisch etwas zurückerhalten, sind sie viel eher bereit, einen großzügigen Beitrag zu leisten.
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Beispiel Asylpolitik
Ein Anwendungsbeispiel solch bedingter Kooperation findet sich in der Asylpolitik. Wenn es ihr Ziel ist, die Akzeptanz gegenüber Fremden und Asylsuchenden zu stärken und Widerstände gegen das Grundrecht auf politisches Asyl zu verringern, dann ist es sinnvoll, Asylanten eine zumindest beschränkte Arbeitserlaubnis zu erteilen oder sie sogar zu geringfügigen Arbeiten zu verpflichten. Asylsuchende würden hierdurch wenigstens teilweise in die Lage versetzt, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten und könnten gleichzeitig signalisieren, dass sie der Gesellschaft "etwas zurückgeben".
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Gilt auch für andere Transferbezieher
Ähnliche Argumente gelten auch für andere Gruppen von Transferbeziehern. Um nicht missverstanden zu werden: es kann selbstverständlich niemals um "materiell gleichwertige" Gegenleistungen gehen, da es sich ja gerade um sozialpolitisch motivierte Transferleistungen handelt.

Wenn aber die Geber realisieren, dass auch die Empfänger ihren Beitrag leisten - und sei er auch gering - steigt ihre Bereitschaft zu teilen. Im übrigen verringern sich durch die Möglichkeit, etwas zurückgeben zu können, auch die Schamgefühle der Empfänger.
Erwartungsbildung und Kriminalität
Gemäß der ökonomischen Theorie der Kriminalität sind Menschen dann kriminell, wenn der materielle Nutzen einer kriminellen Handlung höher ist als die damit verbundenen Kosten.

Aus der Fairnessforschung kommt ein weiteres Motiv hinzu. Wenn sich andere in meiner Umgebung nicht regelkonform verhalten, sinkt auch meine Bereitschaft, die Regeln zu achten.

Kriminalität ist ein soziales Interaktionsphänomen: es gibt "gute" und "schlechte" Erwartungsgleichgewichte. Wenn man erwartet, dass sich die anderen an die Regeln halten, respektiert man diese auch. Erwartet man dies hingegen nicht, dann kümmert man sich ebenfalls nicht um die Einhaltung der Regeln.
Politik kann Erwartungen positiv beeinflussen
Durch geeignetes "Erwartungsmanagement" kann daher die Politik versuchen, die Erwartungen positiv zu beeinflussen und damit bedingt regelkonformes Verhalten zu unterstützen.
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Beispiel: Gepflegte öffentliche Plätze
Ein möglicher Ansatzpunkt ist etwa die Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes von öffentlichen Plätzen und Einrichtungen. Während ein intaktes Erscheinungsbild die Geltung sozialer Normen und Regeln unterstreicht, führt ein desolater Zustand öffentlicher Räume zur sich selbst erfüllenden Erwartung weiterer Verwahrlosung.
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In Feldexperimenten konnte gezeigt werden, dass Menschen in einer bereits verschmutzen Umgebung viel mehr wegwerfen als in einer sauberen. Eine andere Untersuchung in 40 US-Städten belegt den positiven Zusammenhang zwischen "public disorder" und der Kriminalitätsrate.

Es lohnt sich also, der Verwahrlosung öffentlicher Räume entgegenzuwirken, da sichtbare Formen von Regelverstößen zu weiteren kriminellen Handlungen ermuntern und anstiften.

Armin Falk, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Zürich
->   Neue Zürcher Zeitung
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01.01.2010