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Stammzellen: Die Diskussion im Überblick  
  Die medizinische und Grundlagen-Forschung hat seit einiger Zeit ein neues Liebkind: Stammzellen, von denen man sich eine wahre Revolution therapeutischer Möglichkeiten erwartet. Die Diskussion darum geht allerdings weit über die Grenzen der Medizin hinaus, grundsätzliche Fragen wie Embryonenschutz, Lebensbeginn oder Forschungsfreiheit scheinen neu gestellt werden zu müssen.  
Embryonale Stammzellen im Blickpunkt
Stammzellen sind Vorläuferzellen, aus denen sich die einzelnen Organe eines Menschen oder Tieres entwickeln. In den ersten paar Tagen nach der Befruchtung einer Eizelle sind es die embryonalen Stammzellen, die die Forscher besonders interessieren.

Aus ihnen kann noch jedes beliebige Organ oder Gewebe werden, je nachdem, welchen Umwelteinflüssen oder Signalen von Nachbarzellen sie ausgesetzt werden.
Zell-Züchtung für Transplantationen?
Wenn man die genauen Signale kennt, die dazu führen, dass sich Nervenzellen, Muskelzellen oder Herzzellen bilden, so könnte man diese Entwicklung im Labor gezielt steuern, und die so gezüchteten Zellen dann für Transplantationen verwenden.

Speziell in der Behandlung von Alzheimer oder Parkinson erhofft man sich durch diese Forschung wesentliche Fortschritte.
Eigenständige Lebewesen ...
Was diese Technik so heiß umstritten macht, ist der Ursprung der Stammzellen: Sie werden aus Embryonen in einem sehr frühen Entwicklungsstadium entnommen - die Embryonen selbst werden dadurch vernichtet, was dem österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz gemäß verboten ist.

In der bioethischen Debatte wird davon gesprochen, dass menschliches Leben so nur mehr als Mittel zum Zweck diene und keinen eigenen Wert mehr habe, schließlich könnte sich jeder der geopferten Embryonen noch zu einem eigenständigen Lebewesen entwickeln.
... oder "übrig gebliebene" Embryonen?
Befürworter argumentieren hingegen damit, dass es nur um Embryonen ginge, die ohnehin vernichtet würden. Bei jeder künstlichen Befruchtung nämlich, von denen alleine in Österreich jährlich mehrere Tausend durchgeführt würden, blieben einige Embryonen übrig, die der Mutter nicht eingepflanzt werden.

Diese überzähligen Embryonen, die dem Gesetz nach zwar gar nicht entstehen dürften, de facto aber beim derzeitigen Stand der Technik als unvermeidbar gelten, werden zur Zeit eingefroren und nach einem Jahr vernichtet. Statt sie zu vernichten, könnten sie nun der Forschung nutzbar gemacht werden, sagen die Befürworter.
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ORF-Symposion "Embryonenschutz"
Am 11. und 12. Oktober 2001 findet das ORF-Symposion "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin ?" im Radiokulturhaus in Wien statt. Veranstalter des Symposions sind die Wissenschaftsredaktion des ORF-Hörfunks und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, Kooperationspartner die Österreichische Ärztekammer und das Zentrum für Medizinrecht.
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Alternative: Adulte Stammzellen
Aber es gibt auch Alternativen. Nicht nur in Embryonen, auch in entwickelten Organismen finden sich Stammzellen. So konnten etwa schwedische Forscher zeigen, dass es im Hirn erwachsener Mäuse Stammzellen gibt, aus denen sich ebenfalls Zellen verschiedenster Organe züchten lassen. Hirn, Auge, Herz - die Stammzellen kommen für die Therapie fast aller wichtigen Organe in Frage.

Ähnliches gilt auch für die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut Neugeborener. Welche Methoden langfristig am geeignetsten ist könne aber nur vergleichende Forschung an beiden zeigen, meinen die Befürworter der Embryonenforschung. Dazu wäre in Österreich eine Gesetzesänderung notwendig.
Führt PID zu neuer Eugenik?
Bei einer solchen Gesetzesänderung ginge es allerdings nicht nur um embryonale Stammzellen. Ist Forschung an im Reagenzglas gezeugten Embryonen erlaubt, ist auch die Tür für genetische Untersuchungen geöffnet, nach denen sich dann entscheiden ließe, welche Embryonen überhaupt für eine Schwangerschaft in Frage kommen.

Diese so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID) wird von den einen als willkommene Erweiterung vorgeburtlicher Diagnostik gesehen - man erspart Mutter und Kind teilweise gefährliche und belastende Untersuchungen im Mutterleib.

Kritiker befürchten eine neue, private Form der Eugenik, wo nur mehr die Entwicklung aufgrund ihrer genetischen Ausstattung bevorzugter Embryonen zugelassen wird.
Zwischen Wirtschaft und Bioethik
Zwischen ethischen Bedenken und Plädoyers für Forschungsfreiheit spielen schließlich auch die wissenschaftliche Konkurrenzfähigkeit und wirtschaftliche Interessen der Beteiligten nicht ganz unwesentliche Rollen. In Österreich wird derzeit eine Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes diskutiert.

Entscheidungshilfen sollen eine von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eingesetzte Bioethik-Kommission unter dem Vorsitz des Gynäkologen Johannes Huber liefern, dessen persönliche Interessen an einer Freigabe der Embryonenforschung kein Geheimnis sind.

Eindeutige, wissenschaftlich begründete Richtlinien sind nicht zu erwarten, zuletzt geht es um eine politische Entscheidung. Die öffentliche Debatte über deren möglichen oder mehrheitlich erwünschten Ausgang beginnt eher zaghaft.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
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Die Stammzellen-Serie ist diese Woche im Ö1-Mittagsjournal zu hören, 9.-13. Juli, jeweils ab 12 Uhr.
->   Ö1
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Mehr über die Diskussion um die Stammzellen auf science.orf.at:
->   Patente auf Stammzellen?
->   Bioethik-Kommission hat sich konstituiert
->   Ulrich Körtner: Stammzellenforschung - Plädoyer für eine seriöse Debatte
->   Erich Loewy: Stammzellen und Bioethik
 
 
 
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01.01.2010