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Digitalisierung von Wittgensteins Nachlass  
  Rechtzeitig zum 50. Todestages von Ludwig Wittgenstein (1889 -1951) hat es sich die Innsbrucker Germanistin und Philosophin Monika Seekircher zum Ziel gesetzt, seinen philosophischen Gesamtnachlass in digitaler Form zu erfassen und auf Basis seines regen Briefwechsels zu kommentieren. Der Wissenschaftsfonds (FWF) unterstützt das Projekt mit einer mit 662.000 Schilling dotierten Hertha-Firnberg-Nachwuchsstelle.  
Brücke zwischen Leben und Werk
"Die einen erforschen sein Werk abgelöst von seinem Leben, die anderen finden sein Leben faszinierend, sein Werk aber unverständlich", beschreibt der amerikanische Philosoph Ray Monk in seinem bibliografischen Buch über "Wittgenstein" das polarisierte Interesse an Ludwig Wittgenstein.

Die 36-jährige Germanistin und Philosophin Monika Seekircher will nun eine Brücke des Verständnisses zwischen Leben und Werk des bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts schlagen: Rechtzeitig zum 50. Todestag von Ludwig Wittgenstein hat es sich die Wissenschaftlerin vom Forschungsinstitut "Brenner-Archiv" der Uni Innsbruck zum Ziel gesetzt, seinen philosophischen
Gesamtnachlass in digitaler Form auf der Basis seines Briefwechsels zu kommentieren.
Unterstützt vom FWF
Ihr Engagement in ihrem Forschungsbereich und herausragende Kreativität soll nun vom Wissenschaftsfonds (FWF) unterstützt werden: Am 1. Oktober wird Monika Seekircher - gemeinsam mit acht weiteren österreichischen Forscherinnen - von Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer eine "Hertha-Firnberg-Nachwuchsstelle" verliehen.
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Hertha-Firnberg-Nachwuchsstellen
Hertha-Firnberg-Nachwuchsstellen sind eine Initiative zur Frauenförderung in der Wissenschaft, die 1998 vom FWF im Auftrag des Wissenschaftsministerium eingeführt wurde. Sie richtet sich an Universitätsabsolventinnen mit abgeschlossenem Doktorat, die im Regelfall nicht älter als 40 Jahre sind. Inhaberinnen von Hertha-Firnberg-Nachwuchsstellen erhalten pro Jahr einen Betrag von 662.000,- ATS für ihr dreijähriges Forschungsvorhaben. Diese Summe beinhaltet die vollen Lohnkosten sowie allfällige projektspezifische Ausgaben.
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Dokumentation und Kommentar
"Ziel meiner Arbeit ist es, den philosophischen Nachlass von Ludwig Wittgenstein in elektronischer Form zu dokumentieren und zu kommentieren", erläutert die Germanistin und Philosophin Seekircher ihr Forschungsvorhaben.

"Als Grundlage dient mir neben philosophischen Texten und Tagebüchern vor allem der von meinen Kollegen und mir bereits erfasste und kommentierte Briefnachlass Wittgensteins."

Die Ergebnisse sollen künftig mit jenen des Wittgenstein-Archivs in Bergen (Norwegen) verknüpft und über die bereits existierende Online-Datenbank einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Internet-Publikation des philosophischen Nachlasses wird durch die kanadische Firma InteLex, die auch den Brief-Nachlass Wittgensteins elektronisch publiziert, erfolgen.
2.280 Briefe von und an Wittgenstein ...
Als Bindeglied zwischen Leben und Werk erweisen sich seine Briefe, die von der Germanistin gemeinsam mit ihren Kollegen in den letzten Jahren erfasst und für eine Online-Datenbank erschlossen worden sind.

Unter der Leitung des Institutsvorstands Walter Methlagl hat die Wissenschaftlerin seit 1996 mithilfe des so genannten "Folio-Views"-Programms eine Datenbank mit 2.280 Briefen von und an Ludwig Wittgenstein erstellt und ist derzeit noch mit der Kommentierung der Briefe beschäftigt.
... wichtig für Verständnis des Werks
"Viele Gedanken, die der Logiker in seinem philosophischen Gesamtwerk nicht ausgesprochen hat, die für das Verständnis allerdings von großer Bedeutung sind, spiegeln sich in seiner brieflichen Korrespondenz mit Kollegen wie Ludwig von Ficker, dem Publizisten und Herausgeber der kulturpolitischen Zeitschrift ¿Der Brenner¿, wider", erläutert Seekircher das vom FWF geförderte Forschungsprojekt.

"Besonders jene Zerrissenheit zwischen seinen strikten Vorstellungen von Ethik - aus Sicht des Philosophen einer der vordringlichsten Bereiche seines Faches - und der erdrückenden Realität, den eigenen Axiomen nicht gerecht zu werden, zeigt sich in den Briefen."
Persönliche Eindrücke und Ratschläge
In Wittgensteins Korrespondenzen kann man nicht nur einen Blick auf die verborgenen Motive des Philosophen Wittgenstein werfen, sondern auch einen persönlichen Eindruck von seinem Privatleben mit seinen alltäglichen Problemen und Freuden gewinnen: Es geht um Magenbeschwerden und Verdauungsprobleme, um Familienstreitereien und ständige Stimmungsschwankungen.

In seinen Briefen gibt der Philosoph immer wieder unangenehme Ratschläge. Einem Freund rät er zum Beispiel, auf eine Universitätslaufbahn zu verzichten und lieber Automechaniker zu werden.
140 Briefadressaten
Auch Identitätsprobleme werden deutlich. So schreibt er in einem Brief an Ludwig Hänsel: "Ich habe Dich und mehrere Andere einmal in der italienischen Gefangenschaft damit angelogen, dass ich sagte, ich stamme zu einem Viertel von Juden ab und zu drei Viertel von Ariern, obwohl es sich gerade umgekehrt verhält."

Von den über 140 Briefadressaten waren nicht alle nur beruflich oder familiär bedingt: Er schrieb dem Postmeister einer kleinen Gemeinde an einem norwegischen Fjord ebenso wie einem Marmeladefabrikanten oder einem Gärtner.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Forschungsinstitut "Brenner-Archiv"
 
 
 
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01.01.2010