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Werkstatt für gestresste Proteine  
  Stehen Proteine unter Stress - etwa bei starker Hitzeeinwirkung -, verlieren sie ihre Form und werden arbeitsunfähig. Für diese Fälle besitzt jede Zelle eine Art Hilfsmaschinerie, zu der unter anderem auch das Protein "DegP" gehört. Wissenschaftlern ist es nun gelungen, die dreidimensionale Struktur dieses Proteins zu identifizieren und Einblicke in die molekulare Maschine zu gewinnen, die andere Proteine "repariert oder verschrottet".  
Die Forscher der von Nobelpreisträger Robert Huber geleiteten Abteilung "Strukturforschung" am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried hoffen, dadurch ein besseres Verständnis der zellulären Vorgänge bei neurodegenerativen Erkrankungen zu bekommen.

Die Ergebnisse ihrer Studien werden in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" vorgestellt.
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Original-Artikel in Nature (kostenpflichtig):
->   Crystal structure of DegP (HtrA) reveals a new protease-chaperone machine
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Nur gefaltet sind Proteine arbeitsfähig
Im "Urzustand" sind Proteine kettenförmige Stränge aus Aminosäuren. Um ihre "Arbeitsform" anzunehmen, müssen sie durch Faltung in eine dreidimensionale Struktur umgewandelt werden.

Falsch gefaltete oder durch Stress (etwa Hitze) deformierte Proteine können ihre normale Funktion nicht mehr erfüllen und werden unwirksam. Sie neigen dazu, mit anderen Eiweiß-Fäden zu verklumpen. Viele chronisch-unheilbare Krankheiten wie Alzheimer, Chorea-Huntington ("Veitstanz") oder das Kreuzfeld-Jakob-Syndrom beruhen auf solchen Fehlfaltungsreaktionen.
Hitzeschockproteine gegen Deformationen
Um dieses negative Szenario zu verhindern, produziert die Zelle in extremen Situationen eine Reihe so genannter "Hitzeschockproteine". Diese sorgen dafür, dass der Anteil an verformten Proteinen möglichst gering ist.

Sie werden in zwei Gruppen gegliedert: In die Chaperone, die eine Rückfaltung in den funktionellen Zustand bewirken, und in die Proteasen, die für die Vernichtung "unheilbar" gestresster Proteine zuständig sind, bevor diese die Zellen schädigen.
DegP: Funktion abhängig von Temperatur
Das Hitzeschockprotein DegP, das nun von den Martinsrieder Biowissenschaftlern untersucht wurde, besitzt erstaunlicherweise die konträren Fähigkeiten von Chaperonen und Proteasen - und "schaltet" zwischen den beiden Funktionen abhängig von der Temperatur "um".

Bereits vor drei Jahren konnte die Arbeitsgruppe um Michael Ehrmann (Cardiff University) anhand des bakteriellen Proteins nachweisen, dass es bei Temperaturen unter 30°C verformte Proteine repariert, bei höheren Temperaturen hingegen vernichtet.
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Kühlung für Strukturbestimmung
Um die Funktionsweise des Proteins zu verstehen, muss seine (Röntgen)Struktur bekannt sein. Entscheidende Voraussetzung zu seiner Bestimmung ist das Vorhandensein von Proteinkristallen in höchster Qualität. Im Fall von DegP konnten bislang jedoch nur Kristalle minderer Qualität gezüchtet werden, die kaum in der Lage waren, Röntgenstrahlen zu beugen.

Den Wissenschaftlern des Max Planck-Instituts gelang es nun, die Streueigenschaften der Kristalle durch die längerfristige Lagerung bei vier Grad Celsius entscheidend zu verbessern. Zudem konnte durch diese Kühlung der kälteliebende Chaperon-Zustand von DegP im Kristall eingefangen werden.
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DegP-Moleküle bilden einen Käfig
DegP-Moleküle, die aus vier Komponenten bestehen (N-terminaler Haken, Protease-Domäne, zwei PDZ-Domänen), lagern sich zu großen Komplexen zusammen, die eine Art molekularen Käfig bilden. Im Inneren dieses Käfigs befindet sich die proteinspaltende "Werkstatt" des Proteins.
Der Käfig kann offen oder geschlossen sein
Der DegP-Komplex kann zwei Zustände annehmen. Einen geschlossenen, bei dem der Eingang zur Werkstatt verschlossen wird, oder einen offenen, bei dem die PDZ-Domänen nach oben schwingen, den Eingang frei geben und als quasi bewegliche, molekulare Tentakel gestresste Proteine einfangen und in den Käfig des DegP Proteins befördern.

Die PDZ-Domänen fungieren als Öffner und Schließer des Käfigs und gleichzeitig als erste Anlaufstelle für die Proteine, die repariert werden sollen.
Die Temperatur entscheidet
Im Käfig gefangen, hängt das Schicksal der Proteine von einem fein abgestimmten Zusammenspiel verschiedener molekularer Schalter ab. Diese Schalter arbeiten wie Temperaturfühler, die den Zugang zur Proteindemontage regeln.
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Der untenstehende Link führt zu einer Animation, die zeigt, wie die PDZ-Domänen, sozusagen die "Türsteher" des DegP-Komplexes, umherschwingen, um gestresste Proteine einzufangen und diese anschließend in den DegP-Käfig abzuliefern.
->   Animation (avi-Datei)
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DegP als Reparateur
In der im Kristall eingefrorenen Struktur konnten die Max-Planck-Wissenschaftler den "heilenden" Chaperon-Zustand beobachten. Chaperone besitzen einige typische Eigenschaften, die mit ihrer Funktion zusammenhängen, ungefaltete, meist wasserabweisende Segmente von Proteinen zu erkennen. Diese charakteristischen Merkmale lassen sich auch in der DegP-Struktur erkennen.

Die Innenwände des DegP-Käfigs entsprechen flexiblen, hydrophoben Bindungsplattformen, die ähnlich wie Kondensatorplatten angeordnet sind. Der Abstand zwischen diesen Platten schränkt die Größe der gebundenen Substrate stark ein und verhindert auf diese Weise, dass korrekt gefaltete Proteine in die Werkstatt von DegP gelangen.
Therapieansätze für neurodegenerative Krankheiten
Besonderes Augenmerk wird auf die menschlichen DegP (HtrA) Proteine gerichtet, die bei vielen neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer eine wichtige Rolle spielen. Die Struktur soll als Vorlage für das Design spezieller Pharmaka dienen.

Tim Clausen, Leiter des Martinsrieder Forschungsteams meint: "Solche Pharmaka könnten gezielt die reparierende oder verschrottende Funktion von DegP beeinflussen und auf diese Weise sowohl einem unkontrollierten Proteinabbau als auch einer übermäßigen Proteinaggregation entgegenwirken."
->   Max-Planck-Institut für Biochemie, Abteilung Strukturforschung
->   Max-Planck-Gesellschaft
 
 
 
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01.01.2010