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Sprechende überschätzen ihre Fähigkeiten  
  Wenn Menschen miteinander sprechen, ist der Grat zwischen Verständnis und Missverständnis oft sehr schmal. Was von den Sprechenden "gesendet" wird, kommt bei den Zuhörenden oft ganz anders oder gar nicht an. Mit ein Grund für diese Irrtümer in beinahe der Hälfte aller Sprachhandlungen ist die Überschätzung der eigenen Ausdrucksfähigkeiten - wie US-Forscher nun bestätigen.  
Missverständnisse in der Hälfte aller Fälle
Boaz Keysar und Anne S. Henly, Psychologen an der University of Chicago, haben herausgefunden, dass die meisten Menschen ihre Fähigkeiten zu effizienter Kommunikation überschätzen - und zwar auch dann, wenn sie wissen, dass es sich um mehrdeutige Aussagen handelt.

Die beiden haben 40 Paare von Sprechenden und Zuhörerenden untersucht. Obwohl die Sprecher fast immer davon überzeugt waren, dass sie verstanden werden, war dies tatsächlich nur bei etwa der Hälfte aller Sprachhandlungen der Fall.

"Das zeigt, wie groß das Potenzial für alltägliche Missverständnisse ist", meinte Keysar, dessen Studie in der Mai-Ausgabe des Journals "Psychological Science" erscheint.
->   Psychological Science
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Versuchsreihe mit mehrdeutigen Sätzen
Die Studie wurde anhand von ambivalenten Sätzen durchgeführt, mittels syntaktisch zweideutiger Sätze wie "Angela erschoss den Mann mit der Pistole" bzw. lexikalisch zweideutiger wie "Martin steht vor einer Bank". Im ersten Fall ist nicht klar, ob Angela oder der Mann die erwähnte Pistole besaß, im zweiten Fall, ob es sich um eine Sparkassa oder eine Sitzgelegenheit handelt.
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Überschätzung trotz Wissen um Ambivalenz
In 46 Prozent aller Fälle haben sich die Sprechenden hinsichtlich ihrer Verständlichkeit überschätzt, nur in 12 Prozent unterschätzten sie ihre Kommunikationsleistung.

Besonders überraschend war für die Studienleiter, dass dieses Missverhältnis auftrat, obwohl die Sprechenden vor der Zweideutigkeit ihrer Sätze gewarnt wurden. "Sie haben dennoch geglaubt, dass sie durch die richtige Betonung ihre Intention transportieren können."
"Illusion der Kontrolle" über das Resultat
Keysar glaubt, dass die Überschätzung der Sprech-Effektivität die "Illusion der Kontrolle" darstellt - ein Phänomen, das von anderen Handlungen bekannt ist.

Ein von den Psychologen zitiertes Beispiel: Wenn Menschen ein Lotterielos kaufen und sich die Zahlen aussuchen, verspüren sie das "falsche Gefühl", höhere Gewinnchancen zu haben, als wenn die Zahlen per Zufall ausgesucht werden.

Ähnliches, so Keysar, geschehe auch bei Sprechakten - die Personen fühlen sich als Handelnde, die die "Illusion der Kontrolle über das Resultat" haben.
Erfolgreiches Sprechen: Missverständnisse antizipieren
Der Psychologe glaubt, dass in seinen Forschungsresultaten auch Schlüssel für erfolgreiche Kommunikation liegen könnten: "Wer sicher sein will, verstanden zu werden, sollte Missverständnisse antizipieren, davon ausgehen, dass das Gesagte weit weniger klar ist als angenommen."
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Syntax schwieriger als Begriffe
Die Überschätzung der Inhaltsvermittlung war bei syntaktisch zweideutigen Sätzen größer als bei lexikalischen. "Das legt den Schluss nahe, dass es die Sprechenden eher für unmöglich hielten, mit Hilfe der Betonung die Bedeutung eines zweideutigen Wortes zu klären", meinte Henly.
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Auch die Zuhörenden irrten
Auch die Zuhörer waren im Übrigen nicht sehr "präzise" in ihrer Tätigkeit: In 39 Prozent aller Fälle entsprach die Annahme, richtig verstanden zu haben, einem Irrtum - wobei dies bei syntaktisch zweideutigen Sätzen weniger oft vorkam als bei lexikalischen.
Zweites Experiment mit Beobachtern ...
In einem zweiten Experiment untersuchten die Forscher die Fähigkeit von Beobachtern, das Verständnis von Zuhörern zu beurteilen. Diese Beobachter wussten, was die Sprechenden ausdrücken wollten, nahmen aber nicht an dem sozialen Prozess des Sprechens teil, sondern hörten Tonaufnahmen. Danach mussten sie einschätzen, was die Zuhörenden ihrer Meinung nach verstanden hatten.
... diese irren sich nicht systematisch
Im Gegensatz zu den Sprechern überschätzten diese Beobachter die tatsächliche Verständnisleistung nicht systematisch. Keysar glaubt, dass diese Resultate auf einen ganz allgemeinen Punkt menschlicher Kommunikation verweisen.

"Wenn wir Menschen beobachten, wie sie reden, glauben wir nicht automatisch, dass alles Gesagte klar ist, selbst wenn wir wissen, was ausgedrückt werden soll. Wegen der geistigen Anstrengung, die Sprechen für uns bedeutet, ist es schwieriger, diesen Fehler zu vermeiden, sobald wir selbst sprechen. Wir tendieren eben dazu, das von uns selbst Gesagte als verständlich für alle anderen anzunehmen."
->   The Psychology Department, University of Chicago
 
 
 
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01.01.2010