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Gen-Au: Genomforschung im Zeichen der Biomedizin  
  Die ersten 16,5 Millionen Euro des Genomforschungsprogramms Gen-Au sind vergeben. Vier Projekte werden in den kommenden drei Jahre im Rahmen des bisher größten nationalen österreichischen Forschungsprogramms arbeiten. Allen gemeinsam ist ihre Ausrichtung auf biomedizinische Anwendungen.  
Aus ursprünglich 31 Vorschlägen wurden durch internationale Gutachten und einen wissenschaftlichen Beirat schlussendlich vier Projekte ausgewählt. Beteiligt sind 27 Arbeitsgruppen. Rund die Hälfte davon stammt aus Universitätsinstituten, die andere Hälfte teilt sich auf außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Krankenhäuser, Klein- und Mittelbetriebe und die Industrie auf.
->   Genomforschungsprogramm Gen-Au
Epigenetische Karte
Vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) wird das erste Verbundprojekt koordiniert. Knapp 3,5 Millionen Euro stehen Projektleiter Thomas Jenuwein zur Verfügung, um in den kommenden drei Jahren eine epigenetische Karte des Säugergenoms zu erstellen. Es geht darum, festzustellen, warum welche DNA-Abschnitte in der Zelle aktiv sind, andere aber nicht.
->   IMP
Verpackung der DNA
Ein Grund dafür ist die Organisation der DNA in der Zelle. Der beim Menschen fast zwei Meter lange DNA-Faden füllt den Zellkern jeder Zelle nicht einfach in Form eines chaotischen Knäuels. Er wird um kleine Proteinkügelchen, Histone, gewickelt und so eng verpackt.
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Histon-Code
Histone bestehen aus einem Kern und einem Anhang, einer Art Antenne, die, je nach äußeren Einflüssen, chemisch verändert werden kann. Bekannte Modifizierungen sind Acetylierungen, Phosphorylierungen und Methylierungen. Das Anhängen dieser kleinen chemischen Gruppen bewirkt ein festeres Zusammenzurren oder aber ein Auflockern der DNA.
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Ist die DNA eng verpackt, kann der Leseapparat der Zelle nicht dazu, die Gene können nicht in funktionelle Einheiten übersetzt werden. In dem Verbundprojekt sollen nun die ersten Schritte untersucht werden, die in einer embryonalen Zelle bestimmen, welche DNA-Abschnitte fest zusammengepackt und welche offen gelassen werden.
Anwendungen in Krebs- und Stammzellforschung
Könnte man den Apparat kontrollieren, mit dem die Zelle die Zugänglichkeit ihres Erbguts steuert, sind zweierlei Anwendungen denkbar:

Einerseits ließen sich Tumorzellen so anfälliger für die Behandlung mit Chemotherapeutika machen. Andererseits könnten (Stamm-)Zellen aus dem Gewebe Erwachsener wieder in einen pluripotenten Zustand zurückversetzt werden.
Fett- und Energiestoffwechsel
Der Fett- und Energiestoffwechsel steht im Mittelpunkt des zweiten Forschungsschwerpunkts, den Gen-Au mit vier Millionen Euro großteils in der Steiermark finanziert. Koordiniert von Rudolf Zechner von der Universität Graz sollen vor allem die Lipase-Enzyme und ihre Gene untersucht und charakterisiert werden.
->   Universität Graz
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Lipasen
Lipasen sind fettspaltende Enzyme, die dafür sorgen, dass Fettsäuren einerseits in Zellen hineingelangen und dort abgelagert, andererseits bei Bedarf aber auch wieder aus der Zelle herauskommen können. Störungen in der Aktivität des Fettstoffwechsels können unter anderem zur Fettleibigkeit oder Arteriosklerose führen.
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Die einzelnen Enzyme und die dazugehörigen Gene sollen nicht nur aufgefunden, sondern auch ihre Funktion beschrieben werden.
Patientenuntersuchung
Wichtig ist in dem Verbundprojekt auch eine begleitende epidemiologische Untersuchung. An Patientengruppen wird untersucht, inwieweit sich Variationen der einzelnen Gene mit bestimmten Krankheitsbildern in Zusammenhang bringen lassen.
Regulierung der Lipase-Aktivität
Mögliche künftige Anwendungen könnten eine gezielte Regulierung bestimmter Lipasen durch Medikamente sein, sobald sicher festgestellt ist, dass die Funktion dieses Enzyms für eine bestimmte Krankheit wie zum Beispiel Fettleibigkeit oder Arteriosklerose verantwortlich ist.
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Begleitendes Forschungsprogramm ELSA
Auch eine Behandlung gesellschaftlicher Fragen der Genomforschung ist im Gesamtprogramm vorgesehen. Unter dem Namen ELSA - ethical, legal, social aspects - soll noch bis zum Sommer eine entsprechende Ausschreibung für Projekte mit vorerst ein bis zwei Jahren Laufzeit erfolgen.

Eine Förderung in der Höhe von ein bis zwei Millionen Euro könne man sich dafür vorstellen, heißt es vom Ministerium.
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Ultrasensitive DNA- und Proteinuntersuchung
Das dritte Verbundprojekt widmet sich der Entwicklung einer neuen Methode, mit der die Genom- und Proteomforschung im Zeitalter nach der Entzifferung der menschlichen DNA verfeinert und beschleunigt werden kann. Mit 5,4 Millionen Euro unterstützt Gen-Au die kommenden drei Jahre das Projekt "Ultra-sensitive Proteomics and Genomics", das Gerhard Schütz von der Universität Linz koordiniert.

Die Linzer arbeiten dafür schon seit einiger Zeit an einer speziellen Methode, die es erlaubt, Proteine auch in der Menge von nur einigen wenigen Proteinen zu messen.
->   Universität Linz
Parallele Validierung
Entscheidend für das Projekt ist, dass parallel zur Entwicklung des Geräts auch gleich damit gearbeitet wird. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig und werden so schon frühzeitig getestet.
DNA-Nachweis
Die DNA-Diagnostik, wo Verfahren zur Vervielfältigung zeitaufwendig und auch störanfällig sind, könnte mit der neuen Methode beschleunigt werden. Das Gerät könnte damit, zumindest in manchen Fällen, die Standardmethode zur DNA-Vervielfältigung, die Polymerase-Kettenreaktion, überflüssig machen.
Protein-Charakterisierung
Als zweiten wichtigen Anwendungsbereich nennt Gerhard Schütz die Untersuchung und Charakterisierung von Proteinen, die an die DNA binden und so steuern, welche Gene in einer Zelle jeweils gerade gelesen werden.
Proteinzusammensetzung in kranken Zellen
Eine Untersuchung der unterschiedlichen Proteinzusammensetzung in kranken und gesunden Zellen mit Hilfe des Geräts könnte Wege weisen, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln.
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Öffentlichkeitsarbeit mit Bürgerkonferenz
Die Gen-AU-Projektverantwortlichen haben sich auch Transparenz an die Fahnen geheftet. Gen-Au will "zum öffentlichen Dialog" einladen und wird diesen, organisiert von der Plattform Gentechnik und Wir, im Oktober mit der Bürgerkonferenz "Diskurstag Genomforschung" initiieren.
->   Plattform Gentechnik & Wir
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Genetische Ursachen der Metastasierung
Das vierte Verbundprojekt schließlich widmet sich der Krebsforschung. Etwas über 3,6 Millionen Euro wurden Projektkoordinator Peter Swetly von Boehringer Ingelheim Österreich dafür zugesprochen, die genetischen Ursachen für die Metastasenbildung zu untersuchen.

Arbeitsgruppenleiter Wolfgang Sommergruber bedient sich dafür des Vergleichs mit einem Kriminalfall. Tatbestand: Metastasen-Bildung.
->   Boehringer Ingelheim
Täterprofil
Als erstes muss das Täterprofil, in Form eines Expressionsprofils erstellt werden. Ein Expressionsprofil, das zeigt, welche Gene in einer Zelle gerade aktiv sind, also in funktionelle Einheiten wie Proteine übersetzt werden. Wenn klar ist, welche Gene in Tumorzellen gelesen werden, welche als überhaupt als Täter in Frage kommen - dann ist der nächste Schritt eine Art "Lokalaugenschein".
Patientenuntersuchungen
Dazu wird das Tumorgewebe von Patienten dahingehend untersucht, ob die gefundenen Gene dort auch wirklich in statistisch relevanter Häufigkeit aktiv sind. Damit lässt sich die Zahl der möglichen "Täter", der Gene, die für die Tumorbildung eine Rolle spielen, deutlich einschränken.
Modellsysteme
Nun stellt sich die Frage, ob diese Gene auch wirklich eine ursächliche Rolle in der Tumorentwicklung spielen. Dafür sind Versuche mit Modellsystemen nötig - zum einen Experimente mit Tumorzell-Kulturen, zum anderen Tierversuche, vor allem mit der Maus.
Abschließende Verhandlung
Nach Expressionsprofil, Patientenuntersuchung und Experimenten mit Modellsystemen kommt es schließlich, um noch einmal auf die Kriminalfall-Analogie zurückzugreifen, zur "Gerichtsverhandlung". Anhand aller Daten sollen dabei die für die Metastasenbildung relevanten Gene eindeutig bestimmt werden.
Individuellere Krebsbehandlung
Damit erhofft man sich auch Möglichkeiten, Medikamente zu entwickeln, die diese Gene - oder deren Genprodukte, die Proteine - ganz gezielt beeinflussen können.

Auch die Voraussage, welchen Erfolg bestimmte Behandlungsstrategien haben werden, könnte anhand der genetischen Untersuchungen vielleicht dereinst Gen-Au er werden.

Ein Beitrag von Birgit Dalheimer für die Ö1-Dimensionen vom 6.5.2002, 19 Uhr.
->   Radio Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010