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Forscher machen Schmerzen sichtbar  
  Schmerzen sind für die Betroffenen eine Qual - und manchmal nur schwer lokalisierbar. Forscher der TU München können nun sichtbar machen, was im Gehirn eines Menschen vorgeht, wenn er Schmerzen hat.  
Mit Hilfe bildgebender Verfahren, wie der Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET, oder der Kernspintomografie können sie dem Gehirn dabei zuschauen, wie es Schmerz verarbeitet. Das Verfahren wurde bei einem internationalen Schmerzkongress in Wien präsentiert.
Schwierige Therapie
Bisher müssen sich Ärzte bei der Schmerztherapie ausschließlich auf die subjektive Beschreibung des Schmerzes durch den Patienten verlassen.

Entsprechend schwierig ist es, das richtige Medikament oder die richtige Therapie zu finden. Mehr als die Hälfte der 500.000 chronischen Schmerzpatienten in Österreich wird unzureichend oder gar nicht behandelt.
->   science.ORF.at: Chronischer Schmerz - kaum wirksam behandelt
Der Blick ins Gehirn
Bild: Modern Times
"Diese bildgebenden Verfahren haben begonnen, die Schmerzforschung zu revolutionieren", so der Neurologe Thomas Tölle vom Klinikum der Technischen Universität München.

Die Untersuchung ist für den Patienten schmerzfrei und dauert ungefähr eine halbe Stunde. Ihm wird eine radioaktive Substanz injiziert, die sich über die Blutbahn im Gehirn verteilt.

Der Arzt kann am Monitor erkennen, welche Stellen im Gehirn aktiviert sind. Bei schwachen Schmerzen leuchten diese am Bildschirm orange, bei sehr starken gelb.
Lernen, den Schmerz zu vergessen
Dennoch eignet sich diese Methode nicht, um Simulanten zu entlarven. Sie ist kein objektiver Gradmesser für Schmerzen, weil Menschen Schmerz individuell und auf sehr unterschiedliche Weise empfinden, so die Experten.

Die Münchner Forscher konnten jedoch erstmals zeigen, dass das Gehirn Schmerzen selbständig abschalten kann. Wird ein Patient zum Beispiel geistig abgelenkt, kann er den Schmerz regelrecht vergessen.

"Wir können Patienten zeigen, welche Teile seines Gehirns die Aufgabe übernehmen", so Tölle. Diesen Effekt wollen die Forscher für die Entwicklung neuer Schmerztherapien, nach dem Biofeedback-Prinzip nutzen.
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Der Weg des Schmerzes
Schmerzen beginnen dort, wo durch eine Verletzung oder eine Entzündung Gewebe geschädigt wird. Die Schmerzimpulse werden dann über das Rückenmark, entlang der Nervenbahnen im Wirbelkanal bis ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet.
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Das gesamte Gehirn ist beteiligt
Auch auf die Frage, was dann im Gehirn genau passiert, hat die Forschergruppe um Thomas Tölle mit Hilfe des neuen Verfahrens eine Antwort gefunden.

"Es zeigt, dass es kein Schmerzzentrum gibt", berichtet der Neurologe. "Es zeigt, dass verschiedene Hirnteile zusammengeschaltet werden müssen, um diesen Schmerz zu empfinden."

Gleichzeitig bedeute dies, dass es "keine Wunderpille gibt, die dieses eine Schmerzzentrum angehen kann", erläutert Tölle. "Es müssen verschiedene Medikamente sehr subtil für den einzelnen Patienten zusammengestellt werden."
Chronische Schmerzen - das ungelöste Problem
Ein bislang ungelöstes medizinisches Problem stellen die chronischen Schmerzen dar: "Dass wir die Chronifizierung in den Bildern ablesen können, wäre eine große Hoffnung¿, meint der Neurologe Tölle.

Risikopatienten könnten dann jedenfalls frühzeitig erkannt und mit allen Methoden der Schmerztherapie behandelt werden - lange bevor sich der Schmerz tatsächlich manifestiert.
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Gedächtnisspuren führen zu chronischen Schmerzen
Als chronische Schmerzpatienten bezeichnet man jene Patienten, die länger als drei Monate durchgehend Schmerzen haben. Werden diese Patienten nicht adäquat behandelt, so kann daraus eine eigene Krankheit entstehen.

Denn Dauerschmerzen hinterlassen im Rückenmark und im Gehirn Spuren. Die Nervenzellen verändern sich, und das Muster der Schmerzes läuft immer wieder ab, obwohl die eigentliche Ursache, wie zum Beispiel eine Entzündung, längst behoben ist.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
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Reale Phantomschmerzen
Auch beim Phantomschmerz laufen ähnliche Muster im Gehirn ab. Wurden einem Patienten zum Beispiel ein Arm oder ein Bein amputiert, können diese Gliedmaßen immer noch schmerzen.

"Wir wissen schlicht nicht, warum dieses Gehirn so dumm ist, sich zu merken, dass hier ein Schmerz existiert", beschreibt Tölle das Problem.

Die Bilder zeigen jedoch, dass der Phantomschmerz im Gehirn des Patienten im höchsten Maße real ist. Mit Hilfe bildgebender Verfahren konnten die Ärzte sogar nachweisen, dass sich Phantomschmerzen durch nichts von anderen Schmerzen unterscheiden.
Schmerztherapie in Österreich
¿Schmerztherapie war in Österreich bisher kein wirkliches Thema in der Forschung¿, bedauert Hans Georg Kress, Leiter der Schmerzambulanz an der Wiener Universitätsklinik.

Durch neue Methoden, wie sie beim Schmerzkongress in Wien vorgestellt wurden, soll Österreich aber schon bald internationalen Anschluss finden. Denn in fast jedem Spital seien die nötigen Geräte bereits vorhanden, es fehle aber an den Forschergruppen, so Kress.
Die Schmerz-Experten beim Fachgespräch
 
Bild: Modern Times

Hans Georg Kress (links) und Thomas Tölle mit dem Gehirnscan eines Schmerzpatienten.
Zusammenarbeit als Lösung
Nur durch die Zusammenarbeit von Neurologen, Anästhesisten, Nuklearmedizinern und Psychologen wird es möglich sein, neue Erkenntnisse in der Schmerzforschung zu erhalten, sind sich die Experten einig.

¿Wir können aufgrund dieser Erkenntnisse ganz neue Konzepte für die Behandlung chronischer Schmerzen entwickeln und wir können auch neue medikamentöse Prinzipien entwickeln", zeigt sich Schmerz-Experte Kress überzeugt.

Elke Weiss, ZIB-Wissenschaft
->   TU München
->   Österreichische Schmerzgesellschaft
->   Mehr zum Thema Schmerz in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010