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Zeithistoriker Gerhard Botz: Geschichte ist relativ  
  Geschichtsschreibung ist relativ und beruht auf Quellen, nicht auf Fakten. Auf diesen Punkt bringt der Wiener Professor für Zeitgeschichte Gerhard Botz die Grundausrichtung seiner Disziplin.  
Gerhard Botz, nach der Emeritierung von Gerhard Jagschitz letzter verbliebener Ordinarius am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien, sprach beim "Cafe Philosophique", einem monatlich stattfindenden, offenen Diskussionskreis im Wiener Cafe Prückl.

Der Zeitgeschichtler lässt keinen Platz für Illusionen: Nicht die Erschließung neuer Fakten zähle in der Zeitgeschichtsschreibung, sondern die Erweiterung des Sagbaren, also dessen, was gesagt werden darf und folglich auch kann.
"Kampf um die Wahrung der Vergangenheit"
Er selbst sei, so Botz wörtlich "auch schon mal von Wächtern der richtigen Erinnerung niedergemacht" worden. Denn, so der Zeithistoriker, der Kampf um die Wahrung der Vergangenheit gehe bis zur moralischen Vernichtung.
Beispiel Sudetendeutsche
Starke Worte für einen Zeitgeschichtler, der als einer der etabliertesten des Landes gilt. Mit der Aufdeckung einer Wahrheit könnte eine andere Wahrheit zugedeckt werden. Gerhard Botz bringt das Beispiel der Sudetendeutschen.

"Wenn ich das differenziert und in der menschlichen Tragödie ernst nehmend beschreibe, so wird die Gefahr sehr groß, dass es von jenen, die den Nationalsozialismus durch das Schicksal der Sudetendeutschen rechtfertigen wollen, missbraucht wird", so Botz.
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"Ein generelles Thema"
"Dieser Gefahr setzt sich kein Historiker, kein Journalist, einfach niemand sehr gerne aus. Das ist eigentlich ein generelles Thema: Unser Geschichtsbewusstsein produziert immer schwierige, tabuisierte Themen, die eben dann nicht mehr sagbar sind, nicht mehr zu einem bestimmten Zeitpunkt sagbar sind, oder noch nicht wieder sagbar sind."
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Montage von Thesen
Nicht Fakten sind demnach das Entscheidende, sondern die Montage bestimmter Thesen zu einem Geschichtsbild. Nicht zufällig hat also Botz¿ Kollege Gerhard Jagschitz früher einmal von der "Vergangenheit als Keule für die aktuelle Politik" gesprochen.

Gerhard Botz sieht nur einen Ausweg. "Eine Relativitätstheorie der Zeitgeschichte, oder der Geschichte überhaupt, wäre auf einen Punkt gebracht meine Schlussfolgerung aus diesem Dilemma. Womit wohl das Ende der Geschichte als - wie Botz sagt - "gutgemeinte naive Pädagogik" gekommen sein dürfte.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaftsredaktion
->   Informationen zum Cafe Philosophique im Cafe Prückl
 
 
 
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01.01.2010