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Die populären Mythen über die grüne Gentechnik  
  Wie denkt die europäische Bevölkerung über Gentechnik in der Landwirtschaft? Wenn man einer nun veröffentlichten Studie glaubt, beantworten Politiker und Wirtschaftsvertreter diese Frage selten richtig. Die meisten Vorstellungen über die Haltung der Bevölkerung gegenüber der grünen Gentechnik sind falsch. Um diesen "populären Mythen" zu entgehen, sollten sich die Entscheidungsträger einem offenen Dialog stellen, meinen die Forscher.  
Im Rahmen des EU-Projektes "Public Perceptions of Agricultural Biotechnology in Europe (PABE)" untersuchten die beteiligten Institute, darunter die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (TA-Akademie) sowie vier weitere Forschungsteams in Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien, zunächst, wie Politiker und Vertreter der Wirtschaft die Einstellung der Bevölkerung einschätzen.
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"Public Perceptions of Agricultural Biotechnologies"
Das Projekt PABE war Teil des EU-Forschungsthemas ELSA (Ethical, Legal and Social Aspects of the Life Sciences) und wurde vom Fischerei- und Landwirtschaftsforschungsprogramm der EU (FAIR) gefördert. Die Ergebnisse der Studie "Public Perceptions of Agricultural Biotechnologies in Europe" wurden nun im Internet veröffentlicht:
Eine Zusammenfassung der Studie auf Deutsch (pdf)
Die gesamte Studie auf Englisch (pdf)
->   ELSA-Homepage
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Zehn populäre Vorstellungen
Mit Hilfe von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen von Entscheidungsträgern der Politik und Gentechnik-Industrie erarbeiteten die Forschungsteams eine Liste von insgesamt zehn populären Vorstellungen über die Einstellung zur Gentechnik in der Bevölkerung.
Fehlendes Fachwissen und Schwarz-Weiß-Denken?
Darunter findet sich beispielsweise die Ansicht, dass fehlende Informationen hauptverantwortlich für die ablehnende Haltung der Öffentlichkeit sind.

So mancher der Befragten ist zudem laut Studie der Meinung, dass die Bevölkerung keine kritisch-abwägende Haltung gegenüber der Biotechnologie hat - man sei also entweder für oder gegen Gentechnik.

Nicht zuletzt spielen nach Ansicht der Befragten auch die Medien eine Rolle: Zu den Stereotypen, denen die Experten anhängen, gehört auch, dass die Bevölkerung durch die Medien schlecht informiert und manipuliert wird.
Als Mythen entlarvt
Anschließend prüften die Wissenschaftler diese Vorstellungen in insgesamt 55 moderierten Gruppendiskussionen mit zufällig ausgewählten Bürgern (Fokusgruppen) auf ihren Wahrheitsgehalt.

Dabei entpuppten sich die meisten der Vorstellungen als Mythen - mit nur unwesentlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern.
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Die komplette Liste
1. Das Hauptproblem ist, dass Laien das notwendige Fachwissen fehlt.
2. Man ist entweder für oder gegen die Gentechnik.
3. Die Verbraucher akzeptieren die Gentechnik in der Medizin, lehnen sie in der Nahrungsmittelindustrie und in der Landwirtschaft aber ab.
4. Konsumenten in Europa verhalten sich egoistisch gegenüber den Armen in der Dritten Welt.
5. Konsumenten wünschen eine Kennzeichnung, um ihr Recht auf freie Auswahl auszuüben.
6. Die Öffentlichkeit denkt fälschlicherweise, dass genetisch veränderte Organismen unnatürlich sind.
7. Die ganze Misere rührt von der BSE-Krise her: Seitdem vertrauen die Konsumenten nicht mehr den für die Regulierung zuständigen Institutionen.
8. Die Öffentlichkeit fordert das Nullrisiko, was nicht realistisch sein kann.
9. Die öffentliche Ablehnung von Gentechnik liegt in anderen, ethischen oder politischen, Faktoren begründet.
10. Die Öffentlichkeit ist ein leicht zu beeinflussendes Opfer angesichts verzerrter und überzeichneter Darstellung in den Medien.
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Was die Bevölkerung wirklich denkt ...
Laut Studie ist es keineswegs so, dass der Widerstand gegen gentechnisch veränderte Pflanzen mit einer Mischung aus Ignoranz und Risikoscheu in der europäischen Bevölkerung zu erklären ist, wie das ein Großteil der Entscheidungsträger offenbar annimmt.

"Die Gegner der Gentechnik sind sich sehr wohl darüber bewusst, dass das normale Leben eine Fülle von Risiken in sich birgt, die gegeneinander abgewogen werden müssen", so Ortwin Renn, Leitender Direktor der TA-Akademie, die den deutschen Part des Projektes übernommen hat.
Niemals alle Folgen vorhersagbar
Den allermeisten sei klar, dass die Wissenschaft niemals alle Folgen einer neuen Technologie vorhersehen könne. Allerdings sei die Mehrheit der Befragten der Meinung, dass Risiken, die wissenschaftlich noch nicht genau erfasst sind, von den Behörden zur Risikoregulierung im politischen Prozess berücksichtigt werden sollten.
Die Wurzeln des Konflikts
"Die Wurzel des Konflikts liegt nicht in der Technologie an sich, sondern in der Art und Weise, wie die Behörden mit ihr umgehen", so Renn. Entscheidungsträger sollten deshalb eher die sozialen Vorteile der neuen Technologie in den Vordergrund stellen.

Zudem sollten sie dem Dialog mit der Öffentlichkeit "über die Ausrichtung der wissenschaftlichen Forschung breiteren Raum geben, anstatt den Widerspruch zwischen Marktchancen und öffentlicher Irrationalität zu betonen", empfiehlt Renn.
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Umfrage: Österreicher schlecht über Gentechnik informiert
Die Ergebnisse der PEBA-Studie stehen teilweise im Gegensatz zu einer Umfrage, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde: Demnach fühlen sich die Österreicher über Gentechnik schlecht informiert. Die Umfrage des Instituts für Energiepolitik und Umweltverbesserung unter 1.300 Österreichern ergab, dass die Angst vor der Technik weiter verbreitet ist als der Glaube an den Nutzen.

Die Hälfte der Österreicher - vor allem Arbeiter, Angestellte und Hausfrauen - glauben laut dieser Befragung, Biotechnik und Gentechnik seien grundsätzlich schädlich. Ein Drittel ist für ein generelles Verbot. Weit verbreitet ist auch die Skepsis gegenüber biotechnisch veränderten Lebensmitteln.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
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Eine Frage des Vertrauens
"Um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, müssen die Behörden über einen längeren Zeitraum beweisen, dass sie frühere Fehler zugeben können", so Renn.

Zudem müssten sie "die Art und Weise, wie Entscheidungen gefällt werden, ebenso offen legen wie auch die Gewichtung der widerstreitenden Interessen, Risiken und Chancen", meint der Experte. "Institutionen genießen nur dann Vertrauen, wenn sie zeigen, dass sie die Meinung der Öffentlichkeit verstehen, respektieren und zu Rate ziehen".
Schlechte Werte für Politik und Industrie
Das zeigen auch andere Studien der TA-Akademie, nach denen in Deutschland nur ganze 15,6 Prozent der Bürger glauben, dass ihre Befürchtungen und Ängste beim Thema Genfood von den Politikern ernst genommen werden.

Gar nur 14 Prozent der Befragten glauben, dass sie von den verantwortlichen Politikern wirksam vor den durch gentechnisch veränderte Lebensmittel entstehenden Risiken geschützt werden.

Bei den Vertretern der Industrie sind die Werte sogar noch schlechter: Nur elf Prozent der Bürger nehmen ihnen ab, dass sie neben ihren wirtschaftlichen Interessen auch die Anliegen der Öffentlichkeit ernst nehmen, beim Thema BSE waren es immerhin noch 22 Prozent der Bürger.
Mangelnde Beteiligung an Entscheidungen
In einer weiteren Studie zeigte sich, dass sich die Bürger vor allem an einer mangelnden Beteiligung an Entscheidungen stören. 90 Prozent der Befragten waren demnach sogar bereit, an einem Volksentscheid über den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft teilzunehmen.
Die Reaktionen der Politik
Diese Problematiken hat mittlerweile auch die Politik erkannt. In einem Aktionsplan der Europäische Kommission vom Jänner 2002 heißt es dazu: "Der Beteiligung der Öffentlichkeit muss eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden."

Laut dem Aktionsplan - veröffentlicht unter dem Titel "Life Sciences and Biotechnology: A Strategy for Europe" - ist neben der Weiterentwicklung von Biowissenschaften und Biotechnologie vor allem auch eine breite öffentliche Diskussion vorgesehen.
"Debatte muss ausgeweitet werden"
"Die Debatte muss ausgeweitet werden über die derzeitigen Schwerpunkte - genetisch veränderte Lebensmittel und Stammzellen - hinaus", heißt es dort. "Die Entwicklung von Biowissenschaften und Biotechnologie sollte von gesellschaftlichem Dialog und Kontrolle begleitet und gelenkt werden."
->   Der EU-Aktionsplan (pdf)
->   TA-Akademie
->   Genfood - nein danke
In Österreich gibt es mit der Plattform Gentechnik & Wir eine unabhängige Informationsstelle zu Fragen der Gentechnik:
->   Plattform Gentechnik & Wir
->   Artikel zum Thema Gentechnik in science.ORF.at
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"Gentechnik pro & kontra": Ausstellung und Diskussion
Am 27. Mai wird im Wiener Südbahnhof um 16.30 Uhr die Wanderausstellung "Gentechnik pro & kontra" erneut eröffnet.
(27. 5. bis 20. 6., Ostbahnhofhalle, 1. Stock).

Vor der Ausstellungseröffnung findet eine Podiumsdiskussion im RadioCafe statt: "Ist die grüne Gentechnik wirklich grün?Auswirkungen der Gentechnik in der Landwirtschaft auf unsere Umwelt"
14.00 Uhr, RadioCafe
Argentinierstraße 30a, 1040 Wien

Veranstalter: Plattform Gentechnik & Wir und Stadt Wien/MA22 in Kooperation mit der Wissenschaftsredaktion der ORF-Radios
Rückfragen: Tel.: 01/ 4277 61680
E-Mail: gentech@bch.univie.ac.at
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01.01.2010