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Babys haben besseren Blick für Affengesichter  
  Sechs Monate alte Babys haben einen besseren Blick für Gesichter als Erwachsene - zumindest wenn es um Affen geht. Während Babys mit Leichtigkeit sowohl die Züge verschiedener Menschen als auch Affen unterscheiden können, hat sich das Gehirn von erwachsenen Menschen auf die Unterscheidung von Gesichtern der eigenen Art spezialisiert.  
Der Blick für die fremde (Affen-)Art ist ihnen verloren gegangen, stellt ein britisch-amerikanisches Forscherteam um Olivier Pascalis von der Universität Sheffield in Großbritannien im US-Wissenschaftsjournal "Science" vom Freitag fest.
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Der Artikel "Is Face Processing Species-Specific During the First Year of Life?" ist erschienen in der aktuellen Ausgabe von "Science", Band 296, Nr. 5571, 17. Mai 2002.
->   Der Artikel (kostenpflichtig)
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Frühe Spezialisierung
Lange Zeit glaubte man, dass ein Säugling bis zum Alter von etwa drei bis sechs Monaten lediglich von Reflexen beherrscht werde und dass seine Wahrnehmung chaotisch sei.

Mittlerweile jedoch haben neue Forschungen diese Mythen widerlegt: Tatsächlich besitzen Babys zum Teil erstaunliche Fähigkeiten - die bei der Entwicklung zum Erwachsenen verloren gehen. Dazu gehört offenbar auch die Fähigkeit, artfremde Gesichter unterscheiden zu können.

Pascalis und Kollegen glauben, dass diese Spezialisierung des Gehirns bereits im ersten Lebensjahr stattfindet. Denn neun Monate alte Babys reagierten in ihren Versuchen bereits wie die Erwachsenen.
Bekannt oder unbekannt?
Beide musterten im direkten Vergleich ein unbekanntes Menschengesicht länger als ein bekanntes. Ihre Blicke blieben aber jeweils gleich lang an einem bekannten und einem unbekannten Affenantlitz hängen.

Die sechs Monate alten Babys dagegen studierten neue Gesichter beider Arten länger. Die Forscher werten dies als eine Vorliebe der jungen Babys für neue Gesichter jeder Art, während sich ältere Babys und Erwachsene lediglich für neue menschliche Gesichter besonders interessierten.
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Details der Versuche
Neue Untersuchungsverfahren haben dazu beigetragen, das Vorurteil vom reflexbeherrschten Säugling zu widerlegen. Wissenschaftler machen sich mittlerweile die Tatsache zunutze, dass sich Kinder schon von Geburt an für ihre Umwelt interessieren und ihre Aufmerksamkeit aktiv auf Gegenstände und Personen lenken können - sowie abschweifen, wenn sie gelangweilt sind.

So auch in diesem Fall: Bei den Versuchen waren 11 Erwachsenen und je 30 Babys im Alter von sechs und neun Monaten Farbfotos von Gesichtern mehrerer ähnlich aussehender Menschen und Affen gezeigt worden. Dabei wurde die Zeit gemessen, die die Teilnehmer zur Erkennung der Gesichtszüge brauchten, bevor ihr Blick abschweifte.
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Artfremde Eindrücke ausgeblendet
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass sich das menschliche Gehirn, ganz speziell ein als Gyrus fusiformis bekannter Bereich in der Hirnrinde, bereits im ersten Lebensjahr auf bekannte Gesichtszüge einstimmt und artfremde ausblendet.
Ähnliche Ergebnisse beim Sprachlernen
Diese Entdeckung kommt nicht überraschend, sondern bestätigt frühere Funde. Danach verlieren Babys zwischen sechs und zehn Monaten die Fähigkeit zur Unterscheidung fremder Sprachlaute, vertiefen dafür aber die Wahrnehmung von Lauten ihrer eigenen Sprache.

Tatsächlich deuten ältere Untersuchungen von Psychologen der University of Wisconsin-Madison darauf hin, dass Babys mit dem absoluten Gehör - die Fähigkeit, musikalische Töne genau zu erkennen - zur Welt kommen.

Nach Ansicht der Forscher ist dies notwendig, um das Sprechen zu erlernen. Haben Babys dies einmal vollbracht, verlieren sie ihr absolutes Gehör - außer es wird vorsätzlich weiter gepflegt. Der Grund für diesen späteren "Verlust" könnte darin liegen, dass die Fähigkeit nicht besonders nützlich sei, spekulierten die Wissenschaftler.
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Die komplexe Wahrnehmung der Babys
Die Wahrnehmungsfähigkeiten von Babys sind - wie man heute weiß - bereits äußerst komplex: Wenige Stunden alte Neugeborene können das Gesicht ihrer Mutter wiedererkennen und blicken es lieber an als das Gesicht einer fremden Person. Neugeborene können zudem Farben unterscheiden und verfügen schon über Gedächtnis - wenn auch dessen Zeitdauer noch sehr begrenzt ist.

Weitere Wahrnehmungsleistungen bei Babys: die Fähigkeit zu erkennen, dass ein Objekt dieselbe Größe besitzt, egal, in welcher Entfernung es sich befindet. Und US-Psychologen konnten zeigen, dass bereits fünf Monate alte Kinder einfache Additions - und Subtraktionsaufgaben lösen können.
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"Bemerkenswerte Veränderungen"
"Im ersten Lebensjahr gehen wirklich bemerkenswerte Veränderungen am Prozess der Gesichtsverarbeitung vor sich", erläutert Ko-Autorin Michelle de Haan vom University College in London die Ergebnisse der neuen Studie.
Konzentration auf das Nützliche
"Wir stellen uns Entwicklung immer als einen Prozess des Hinzulernens vor. Deshalb ist es so ungewöhnlich zu sehen, dass Babys mit zunehmendem Alter eine Fähigkeit verlieren". Ein Grund dafür sei, dass sich das Hirn im Laufe der Zeit auf das nützliche Wahrnehmungsvermögen konzentriere.
->   University of Sheffield Department of Psychology
Mehr über die Entwicklung bei Babys in science.ORF.at:
->   Babys lernen schon im Schlaf
->   Babys "lallen" auch mit den Händen
->   Das absolute Gehör hilft Babys beim Sprechen lernen
 
 
 
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01.01.2010