News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Albtraum Reisethrombose: Viele Fragen ungeklärt  
  Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es immer wieder Berichte über die gesundheitsschädigende Wirkung von Reisethrombosen und mögliche Behandlungsmethoden. Demnach sind vor allem Langstrecken-Flieger betroffen. Allerdings ist es selten, dass Betroffene tatsächlich während oder nach dem Flug an den gefährlichen Blutgerinnseln sterben. Trotz intensiver Forschung bleiben nach wie vor grundlegende Fragen bezüglich Risikofaktoren und Auslöser ungeklärt. Ebenso sind bisher bekannte Prophylaxe-Maßnahmen kaum wissenschaftlich abgesichert.  
"Tiefe Beinvenenthrombosen sind seltene, aber ernste Komplikationen von Langstrecken-Flügen. Bis zu fünf von einer Million Flugreisenden sterben daran", erklärte Univ.-Prof. Dr. Colin Prentice von der Universität Leeds, auf dem Europäischen Reisemedizin-Kongress in Florenz.

Allerdings weiß niemand so genau, wie häufig solche Thrombosen insgesamt auftreten und in welchem Ausmaß Flugreisen als Ursache in Frage kommen etc. Auch die Angaben über den Kreis der wirklich Gefährdeten sind widersprüchlich.
...
Thrombose und Lungeninfarkt
Unter einer Thrombose versteht man die Bildung eines Blutgerinnsels an der Wand eines Blutgefäßes. Löst sich das Blutgerinnsel von der Wand ab, so wird es vom Blutstrom fortgerissen bis es irgendwo in einem engeren Blutgefäß wieder stecken bleibt und dieses verstopft. Lösen sich Thromben aus den Venen der Beine, werden sie in die Lunge eingespült und können dort Lungeninfarkte auslösen.

Von einer mittelweiten tiefen Unterschenkelvene aus wird ein Blutpfropf vermutlich in der Lunge auch nur eine mittelstarke Schlagader verstopfen. Der Patient überlebt. Ein Blutpfropf aus einer dicken Oberschenkel- oder Beckenvene hingegen wird möglicherweise schon an der Teilung des Hauptstamms der Lungenschlagader hängen bleiben. Damit kann schlagartig mehr als die Hälfte der gesamten Lungendurchblutung ausfallen. Der Patient stirbt innerhalb weniger Minuten.
...
Widersprüchliche Studienergebnisse
"Die erste direkte Verbindung zwischen Flugreisen und solchen Todesfällen wurde bei einer Studie am Flughafen Heathrow mit 104 Todesfällen zwischen 1979 und 1982 hergestellt. 18 Prozent der Opfer starben an Lungenembolien nach solchen Thrombosen. Damit sind solche Zwischenfälle die zweithäufigste Todesursache bei Flugreisen nach den Herzattacken. 90 Prozent der tödlichen Thrombosen traten nach Flügen von mehr als zwölf Stunden auf", sagt Farrol Kahn, Direktor des Aviation Health Institute in Oxford.

Andererseits gibt es Studien, die wiederum davon sprechen, dass immerhin auch 17 Prozent der tödlichen Reisethrombosen nach Kurzstreckenflügen vorkommen, die meisten allerdings erst nach einer Flugdauer von mindestens fünf Stunden.

Zwei Drittel bis drei Viertel der Opfer dürften Frauen sein. Während ein Alter ab 40 bzw. 50 bereits als Gefährdungsmoment gilt, werden in seltenen Fällen schwere Zwischenfälle auch bei Flugreisenden ab 20 registriert.
...
Die wahrscheinlich wichtigsten Risikofaktoren
Flugdauer von mehr als vier Stunden
Alter über 40 (mit den Jahren zunehmend)
Bereits überstandene Thrombosen
Schwere Krampfadern, Herzkrankheiten oder Krebsleiden
Kurz zurück liegende Operationen oder Beinverletzungen (Brüche)
Einnahme der Pille oder einer Hormonsubstitution Schwangerschaft bzw. die Zeit unmittelbar nach der Entbindung.
Erbliche Veranlagung
...
Geringes, mittleres und hohes Thrombosenrisiko
Auf Grund der angenommenen Ursachen der Reisethrombose werden international mehr oder weniger hart wissenschaftlich abgesicherte Präventionsmaßnahmen für Reisethrombosen abgeleitet.

Menschen mit einem geringen Risiko sollten viel Flüssigkeit (keinen Alkohol) während der Reise zu sich nehmen, Bewegung machen bzw. eventuell Stützstrümpfe tragen.

Bei mittlerem Risiko werden Kompressions-Strumpfhosen (statt der Strümpfe) sowie eventuell medikamentöse Prophylaxe-Maßnahmen empfohlen. Dafür sollte man sich mit dem Arzt beraten.

Bei Menschen mit hohem Thromboserisiko wurde noch zusätzlich die Selbstinjektion von Heparin, ein Blutverdünnungsmittel, empfohlen.
...
Vorraussetzungen für die Thrombosenentstehung
Auch die Einnahme der Antibabypille, Rauchen oder die Kombination von beiden kann zu einer Veränderung der Blutzusammensetzung führen, und so das Risiko einer Thrombosenbildung um das Achtfache steigern. Welche Ursache auch immer die Bildung eines Blutgerinnsels auslöst, für das entstehen einer Thrombose müssen drei Bedingungen erfüllt sein:

Ein Schaden an der Gefäßwand (Endothelläsion),
Eine verzögerte Blutströmung (Stase),
Eine gesteigerte Gerinnbarkeit des Blutes (Hyperkoagulabilität).
...
Wirkung der medikamentösen Prophylaxe nicht gesichert
"Einen direkten Beweis für die Wirkung der Medikamente zur Thromboseprophylaxe gibt es nicht, entsprechende Studien wird es auch nicht geben. Dazu treten diese Zwischenfälle nämlich viel zu selten auf - und man kann keine wissenschaftlichen Studien mit 500.000 oder noch mehr Probanden machen", sagt Prentice.

Daher ziehen Experten die Ergebenisse von Studien, die sich mit anderen Anwendungsgebieten blutverdünnender Medikamente befassen, heran und extrapolieren so eine mögliche Wirkung für Reisethrombosen.
Risiko bei Hüftgelenksoperationen als Vergleich
So wurde z. B. eine Studie mit 13.356 Patienten nach Hüftgelenksfrakturen bzw. dem Einsatz von künstlichen Hüftgelenken durchgeführt.

In der Studie konnte bewiesen werden, dass 160 Milligramm Aspirin pro Tag (35 Tage lang) die Häufigkeit tödlicher Lungenembolien bei diesen extrem gefährdeten Personen um 58 Prozent senkte. Die Thromboserate insgesamt sank um 43 Prozent.

Aus diesem Ergebnis zieht Prentice folgenden Schluss für Langstrecken-Flugreisende: "Für die meisten Reisenden könnte niedrig dosiertes Aspirin die Gefahr einer tödlichen Lungenembolie um mehr als die Hälfte reduzieren. Man könnte zum Beispiel 150 Milligramm am Tag vor der Reise, am Flugtag und an den zwei Tagen danach einnehmen."
Prophylaxemaßnahmen teilweise schwer durchführbar
Das Problem bei den Empfehlungen zur Verhinderung von Reisethrombosen bei Langsteckenflügen: Ein Teil davon ist kaum durchführbar, ein Teil wissenschaftlich in seinen Effekten kaum bewiesen.

"Man kann Flugreisenden natürlich Bewegung bzw. Übungen empfehlen. Die werden aber wahrscheinlich nur jene machen, die das sowieso getan hätten. Konzentriert man sich bei den Prophylaxemaßnahmen aber auf die Menschen mit dem höchsten Risiko, "vergisst" man den größten Teil der Betroffenen. 80 Prozent der Reisethrombosen treten nämlich bei Personen auf, die nicht als hoch Gefährdete gelten", erklärt Prentice.
->   Universität Leeds
->   Aviation Health Institute, Oxford
->   Mehr Informationen über die Reisethrombose in science.orf.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010