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Erdrutsch unter Kontrolle  
  Die alpinen Regionen sind mit der zunehmenden Erschließung zu einer Problemzone geworden: es häufen sich Lawinenkatastrophen, Felsstürze, Murenabgänge und Erdrutsche. Nun wurde ein Überwachungssystem entwickelt, das die ständige Kontrolle der Rutschung ermöglicht - via Internet und bequem vom Büro aus.  
Besonders dramatisch ist die Situation im Vorarlberger Sibratsgfäll, wo das neue System erstmals angewandt wird. Denn hier ist ein ganzer Berghang in Bewegung geraten, ein halbes Dorf ist bereits - im wahrsten Sinn des Wortes - den Bach hinunter gegangen.

Mit technischen Mitteln ist der Berg nicht mehr zu stoppen, die letzten intakten Häuser wurden aufgegeben, der Hang gehört jetzt der Wissenschaft.
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Ein Berg auf Talfahrt
In Sibratsgfäll ist seit 1999 ein Berghang von 1,5 Quadratkilometern in ständiger Bewegung. Das entspricht einer Fläche von immerhin 250 Fußballfeldern. Hangbewegungen dieser Größenordung sind in Mitteleuropa überaus selten. Für die Abschätzung des Gefahrenpotentials fehlen verlässliche Vergleichswerte. Dazu kommt die hohe Geschwindigkeit, mit der sich Berghang bewegt. Bei starken Niederschlägen und bei Tauwetter kam es zu Verschiebungen von mehren Metern pro Tag. Dabei klaffen tiefe Risse im Erdreich auf. Die betroffenen Flächen sind auch landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar, selbst die Waldflächen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Eine Zusätzliche Gefahr: der Bach am Fuß der Rutschung könnte durch Muren verlegt werden. Überschwemmungen und eine unkontrollierbare Flutwellen wären die Folge.
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Die Ursachen liegen tief
Konventionelle Geo - Monitoring - Systeme, auch wenn sie sich auf Lasermessungen und Satellitenbeobachtung stützen, liefern allerdings nur Daten von der Oberfläche. Die Ursachen liegen aber in der Tiefe.

Denn der Hang rutscht auf einem regelrechten Gleitlager aus Lockergesteinen talwärts. Wenn diese tiefliegende Gesteinschicht noch dazu mit Wasser angereichert wird, gibt es kein Halten mehr: es läuft wie geschmiert.

Die Geologen sprechen von einem Erdstrom. Wenn allerdings das Erdreich an der Oberfläche in Bewegung gerät, dann ist es für einen Alarm bereits zu spät.
Je mehr Wasser, desto größer die Leitfähigkeit
Aufschlüsse über die komplizierte Untergrundstruktur liefern vor allem geoelektrische Methoden. Dabei wird die Leitfähigkeit von Erdreich und Gesteinen gemessen.

Das komplizierte Verfahren lässt sich im Fall Sibratsgfäll auf einen Nenner bringen: je mehr Wasser im Untergrund desto höher die Leitfähigkeit für elektrische Impulse. Diese Messungen liefern allerdings nur Momentaufnahmen. Längerfristige Prognosen sind noch nicht möglich.
->   Geophysikalische Messverfahren
Dauer - EKG für einen schwierigen Patienten
Diese Untersuchungsmethode erinnert irgendwie an das EKG der Humanmedizin. Und wie bei Akutfällen die Herzfrequenz über 24 Stunden oder länger gemessen wird, so wurde nun auch dem schwierigen Hang in Sibratsgfäll ein auf Dauer ausgelegtes geoelektrisches Mess-System installiert.

Dazu wurde der Berg mit tiefgelegten Sonden regelrecht gespickt. Im Stundentakt werden hochgespannte elektrische Impulse ins Erdreich gejagt.

Die Messergebnisse werden gebündelt über ein konventionelles GSM Modul, also über ein Mobilfunknetz nach Wien übertragen.
Erdrutsch an der langen Leine
Ausgewertet werden die Messergebnisse in der Geologischen Bundesanstalt in Wien, mehr als 500 Kilometer von Sibratsgfäll entfernt. Ein aufwendiges Programm errechnet aus den einzelnen Signalen ein geologisches Profil.

Aus der Summe dieser Momentaufnahmen entsteht ein bewegtes Bild des Erdstroms im Untergrund. In Verbindung mit Niederschlagsdaten können nun die Geologen längerfristige Prognosen erstellen.
Zukunftsvision: Bundesweites Warnsystem
Wenn sich das Geomonitoring - unter den extremen Bedingungen von Sibratsgfäll über eine längere Testphase bewährt, sollen auch andere unsichere Berghänge verkabelt werden.

Vor allem dort, wo Siedlungen gefährdet sind. Die Geologen denken an ein bundesweites Warnsystem. Und an Einsatzgebieten ist mit der forcierten Erschließung der Alpen sicher kein Mangel.

Gerhard Roth, Modern Times
->   Geologische Bundesanstalt
->   Modern Times
 
 
 
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01.01.2010