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US-Wissenschaftler Stephen Jay Gould gestorben  
  Der amerikanische Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould ist am Montag im Alter von 60 Jahren gestorben. Der Harvard-Professor und Autor von Sachbuch-Bestsellern starb in seinem Haus in New York an Krebs. Gould war ein brillianter Popularisierer komplexer wissenschaftlicher Zusammenhänge und kämpfte in seinen Schriften gegen jede Form eines wissenschaftlich verbrämten Rassismus an.  
Profunder Popularisierer
Gould hat versucht, mit seinen Büchern die Wunder der Evolution einem breiten Publikum nahe zu bringen. In "Der falsch vermessene Mensch" beschäftigte er sich mit Intelligenztests, "Der Daumen des Panda" und "Illusion Fortschritt. Die vielfältigen Wege der Evolution" waren weitere auch in deutscher Sprache erschienene Titel.

Als einer der bekanntesten Wissenschaftler der USA wollte Gould mit seinen Büchern komplexe Debatten über Geologie, Paläontologie und Evolutionsbiologie der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Theorie des "unterbrochenen Gleichgewichts"
Steven Jay Gould war seit 1973 ordentlicher Professor für Geologie an der Harvard University. Im englischen Sprachraum war er vor allem durch seine seit 1974 in der Zeitschrift "Natural History" erscheinende Kolumne "This View of Life" bekannt.

Gemeinsam mit dem amerikanischen Paläontologen Nils Eldredge entwickelte er die Theorie des "Punktualismus" oder "unterbrochenen Gleichgewichts" ("punctuated equilibrium"), die besagt, dass die Evolution durch Phasen rascher evolutionärer Abänderungen in kleinen Populationen gekennzeichnet ist.

Damit opponierte er gegen das neodarwinistische Dogma der graduellen Evolution, demzufolge die Stammesgeschichte der Organismen durch stetige kleine Erbänderungen in langen Zeiträumen erfolgt.
"Ontogeny and Phylogeny"
Neben zahlreichen paläontologischen Fachpublikationen gilt das Buch "Ontogeny and Phylogeny" als sein wissenschaftliches Hauptwerk , das vom Vergleich der Embryonalentwicklung (Ontogenie) mit dem Evolutionsverlauf (Phylogenie) handelt.

Eine von dem deutschen Darwinisten Ernst Häckel vertretene Hypothese besagt, dass die Ontogenie eine kurze Replikation der Phylogenie sei, die in Lehrbüchern auch heute noch als so genannte "Häckelsche Regel" erwähnt wird.

Gould konnte unter anderem nachweisen, dass Häckel zur Stützung seiner Theorie auf lamarckistische Annahmen, d.h. die Vererbung erworbener Eigenschaften, zurückgreifen musste. Anstatt dessen entwarf Gould eine Theorie der so genannten "Heterochronie", die ohne solch obsolete Annahmen erklären konnte, dass zwischen der Embryonalentwicklung und der Evolution gewisse Ähnlichkeiten bestehen.
"Der falsch vermessene Mensch"
Eines seiner bekanntesten Bücher, "Der falsch vermessene Mensch", beschreibt die Geschichte der Phrenologie (Schädelvermessung) und der Intelligenzmessung. Erstere beruht auf der Annahme, dass man aufgrund äußerlicher Schädelformen auf Persönlichkeit und Charakter eines Menschen schließen könne.

Gould konnte aufgrund historischer Analysen nachweisen, dass diese (grundfalsche) Annahme nur durch die Voreingenommenheit der Experimentatoren überleben konnte.

An der Intelligenzmessung kritisierte er unsere Tendenz, abstrakten Mess-Konzepten (wie dem IQ) eine gegenständliche Existenz zuzuschreiben. Außerdem widerlegte er die von dem Psychologen Hans Jürgen Eysenck vertretene Meinung, dass der IQ mit ethnischer Zugehörigkeit in Verbindung gebracht werden könne.
Zufall Mensch
Stephen Jay Gould wandte sich in seinen Essays und Artikeln gegen die Auffassung, dass die Evolution ein geradlinig fortschreitender, deterministischer Prozess sei. Statt dessen betonte er das Element des Zufalls und sah mithin den Menschen als Zufallsprodukt der Stammesgeschichte.

Er kritisierte auch die Annahme, dass sämtliche Eigenschaften von Organismen als Anpassungen zu deuten seien und verglich diese naive Idee ironisch mit der Auffassung von Voltaires Dr. Pangloss, der in der "besten aller Welten" zu leben glaubte: "Alle Dinge sind für einen bestimmten Zweck geschaffen. Unsere Nasen wurden gemacht, um Brillen zu tragen - also tragen wir Brillen. Unsere Beine wurden für Hosen geschaffen - also tragen wir solche."
Wissenschaftlicher Humanist
In seinen Schriften hat Gould versucht, wissenschaftliche Klischees zu enttarnen und dem Unternehmen "Wissenschaft" seine Unverständlichkeit zu nehmen. Als brillianter Popularisierer komplexer Zusammenhänge gewährte er immer wieder überraschende Blicke hinter die Kulissen der Forschung.

Seine Schriften waren von einem umfassenden Humanismus getragen, der gegen jede Form von wissenschaftlich verbrämten Rassismus ankämpfte.
Links zu Stephen Jay Gould
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01.01.2010