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Ein kleines Wunder: Das Conrad Observatorium  
  Ende Mai wurde ein kleines österreichisches Wunder von Bundesministerin Elisabeth Gehrer eröffnet: das Conrad Observatorium der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, gelegen in 1.000 Meter Höhe in der Nähe Gutensteins in Niederösterreich und das modernste Zentrum für Erdbeben- und Gezeitenforschung in Österreich.  
Untersuchungen zur Physik der Erde
Während Astrophysik und ganz allgemein der Kosmos sich blendend verkaufen, bleibt die Physik unseres eigenen Planeten der Öffentlichkeit meist verborgen. Nur Erdbebenmeldungen erinnern daran, dass die Erde kein starrer Körper, sondern sehr lebendig und in ständiger Bewegung ist.

Und so wird Geophysik bestenfalls mit der Seismologie vermengt - andere, ebenso bedeutsame Disziplinen bleiben unbeachtet. Neben Seismologie wird auf dem Trafelberg in Niederösterreich noch Gravimetrie betrieben, sowie das Magnetfeld überwacht.
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Benannt nach Victor Conrad
Das Conrad Observatorium ist benannt nach dem großen österreichischen Geophysiker Victor Conrad, der seinen wissenschaftlicher Zenith infolge Emigration in Harvard erreichte. Möglich wurde die Errichtung durch ein Legat der Witwe Victor Conrads sowie durch Mittel von Bund und Land Niederösterreich. Auch Landeshauptmann Pröll war beim Festakt dabei.
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Seismometer messen Bewegung der Erde
In einem 150 Meter langen Stollen, der auf natürliche Weise eine konstante Temperatur von 6,5 Grad garantiert, sind vor allem hochempfindliche Seismometer untergebracht - kleine, völlig unscheinbare elektronische Instrumente, deren unterbrechnugslose Stromversorgung samt übrigem Kabelbündel mehr Raum beanspruchen als das Seismometer selbst.

Fast jede Bewegung unserer Erde kann auf dem Bildschirm verfolgt werden: in fast ruhigen Linien, hie und da mit symmetrischen Ausschlägen nach oben und unten. Der Vergleich mit den Zeiten, zu denen diese Signale bei anderen Stationen registriert wurden, und in welchem Intervall mehrere Wellen ankommen, lässt auf Entfernung und Magnitude schließen.
Der Tunnel am Trafelberg
 
Bild: APA/FALLER/SCHILLER - BIG

Computer-Animation vom Inneren des 150 Meter langen Tunnels am Trafelberg bei Muggendorf
Nur beschränkt für Erdbebenvorhersage
Aber all das nur bis zum gegenwärtigen Augenblick. Die Bedeutung verlässlicher Erdbebenvorhersagen läge auf der Hand, doch kann die Seismologie vorerst nur sehr beschränkte Hilfe bieten: Eine spezielle Ö-NORM enthält Bauvorschriften je nach Bebenhäufigkeit des Gebietes.

Es gibt allerdings Korrelationen zu Magnetfeldvariationen, und da tut sich ein hoffnungsreiches Forschungsgebiet auf. Tonnenschwere Seismographen, deren Schwingungen mechanisch auf Papierstreifen übertragen werden, sind mittlerweile reif fürs Museum.
Tunnellage: Abschirmung gegen Störfaktoren
Außerdem sind zivilisatorische Einflüsse - etwa ein ständiges Hintergrundrauschen, ein besonders tagsüber nicht zur Ruhe kommender Erschütterungspegel - heute so stark, dass Messungen innerhalb der alteingesessenen Institute - wie etwa auf der Hohe Warte in Wien - zunehmend sinnlos werden. Daher der von allen Störfaktoren abgeschirmte Standort unter Tag, tief im Berg.
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Messskalen
Zur Erinnerung: die im Erdinneren freigesetzte Energie wird nach der Richter-Skala gemessen, die physikalische Einheit wird als Magnitude oder Stärke nach Richter bezeichnet. Die andere, 12-teilige Skala beschreibt die Bebenfolgen auf der Erdoberfläche.
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Gravimetrie - Untersuchung der Schwerkraft
Eine weitere Disziplin ist die Gravimetrie, die Untersuchung des Schwerefeldes der Erde. Newtons Apfel folgt der natürlichen Schwerebeschleunigung und fällt zu Boden. Diese Kraft ist aber keinesfalls immer und überall auf der Erdoberfläche gleich.

Alle sechs Stunden dreht sich die Erde unter einem Wellenberg oder -tal der natürlichen Gezeiten hinweg. Die Anziehung des Mondes und auch der Sonne deformieren sowohl die Oberfläche der Ozeane als auch des Festlandes, und jede noch so kleine Änderung der Distanz des Gravimeters vom Erdmittelpunkt ist als Schwankung der Schwere messbar.
Störfaktoren irritieren Instrumente
Diesen einigermaßen periodischen Änderungen sind andere überlagert, die auf reichlich verschlüsselte Art Informationen über das Erdinnere und die Ozeane liefern. Kämpfen müssen die Wissenschafter mit durchaus natürlichen Störfaktoren, die die unvorstellbar empfindlichen Instrumente bisweilen irritieren.
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Beispiel Kaltluftmasse
So bewirkt z.B. eine Kaltluftmasse, die über die Station hinwegziehet, also etwa mit einer Kaltfront, Erstaunliches: Die kalte Luft hat mehr Masse als wärmere und bewirkt einen gravitativen Effekt nach oben, das Gravimeter registriert eine Abnahme der Schwerebeschleunigung.

Gleichzeitig aber drückt die schwerere Luft auf die Erdoberfläche und deformiert sie minimal; dadurch verringert sich die Distanz Gravimeter/Erdmittelpunkt, was wiederum eine positive Schwerebeschleunigung bedeutet - aber die nach oben gerichtete Anziehung der Luft überwiegt.
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Einmalige Bedingungen im Stollen
Weltweit gibt es nur etwa 20 Stationsgravimeter wie jenes, das gerade von Wien ins Conrad Observatorium übersiedelt. Das Messnetz ist zudem sehr auf Europa zentriert, die wünschenswerte globale Verteilung also keineswegs verwirklicht.

Aber die einmaligen Bedingungen im Stollen, im Gravimeterraum mit seinem 85 Tonnen schweren Sockel, und in den bis zu 100 Meter tiefen Bohrlöchern lassen auf Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit hoffen, denn hier können Geräte kalibriert und verglichen werden.

Über mangelndes internationales Interesse kann der Leiter der Abteilung für Geophysik an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik jedenfalls nicht klagen.
Geomagnetik: Das Magnetfeld der Erde
Bleibt das Gebiet der Geomagnetik, die der Baustufe 2 des Observatoriums vorbehalten ist. Sie wird demnächst in Angriff genommen. Dass die Erde ein Magnetfeld besitzt, wissen zumindest alle Benützer eines Kompasses, dass es jegliches Leben erst möglich macht, ist weitaus weniger geläufig.

Kosmische und Teilchenstrahlung des Fusionsreaktors Sonne wären tödliche Waffen gegen alles Leben. Das Magnetfeld aber lenkt Strahlung und Partikel ab - den Feldlinien folgend zu den Polen hin, wo die Abschirmung daher schwächer ist. Augenfälliger Beweis sind die Polarlichterscheinungen als Reaktion der kosmischen Einflüsse mit der höheren Atmosphäre.
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Mehr zum Magnetfeld der Erde in science.ORF.at
Anzeichen für Umpolung des Erdmagnetfeldes
Magnetfeld warnt Zugvögel vor Hunger-Strecken
Schildkröten mit Sensor für Erdmagnetismus
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Erste Messung im 19. Jahrhundert
Der erste Direktor der Centralanstalt für meteorologische und magnetische Beobachtungen, Karl Kreil, hat Mitte des 19. Jahrhunderts die Länder der Monarchie im Zuge einer noch nie da gewesenen Messkampagne magnetisch vermessen.

Nahezu jedes Land vermisst die Lage des Magnetfeldes in Abständen von einigen Jahrzehnten. Unter anderem werden die Feldlinien in Beziehung zu geographisch Nord gesetzt, woraus sich unter anderem die so genannte Missweisung ergibt, die Abweichung oder Deklination der Magnetnadel vom Meridian.
Hilfe für die Paläontologie
Gemessen wird das Magnetfeld ferner in der Richtung Ost-West und vertikal. Das ergibt dann einen Gesamtvektor des Magnetfeldes. Gesteine speichern das Magnetfeld "ewig", sodass die Geomagnetik der Paläontologie wertvolle Hilfe leisten kann.

Überdies wissen wir, dass das Magnetfeld in der langen Erdgeschichte mindestens drei oder vier mal gekippt ist, was enorme Auswirkungen auf das Leben hatte.
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Praktische Anwendung
Praktisch angewandt führen Magnetfeldmessungen zu Lagerstätten, oder sie sind im Bauwesen wichtig. Schließlich bedient sich die Archäologie mittels so genannter Prospektionen der Magnetik, um zu untersuchen, ob und wo es etwas zu graben gibt, ohne dass auch nur ein kleines Schauferl eingesetzt werden müsste. Das sind zwar Feldmessungen, deren Parameter dennoch im Observatorium (Baustufe 2) kalibriert werden müssen.
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Ein ständiger Datenfluss ...
Eine Satellitenantenne verbindet das einsame Observatorium, das die meiste Zeit völlig autark arbeitet, mit der Welt, wohin ständig Daten fließen, und umgekehrt.

Dass man sogar genügend Platz und Potential für künftige, heute vielleicht noch gar nicht bekannte, Forschungsaufgaben vorgesehen hat, ist ein weiteres Zeichen für die weitblickende Planung dieses Labors - in das man sich die ganze Erde holt, um ihr den Puls zu fühlen und ihren Atmen zu messen.

Peter Sterzinger, ORF-Wetter
 
 
 
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01.01.2010