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Forscher entdecken "Nussknacker-Werkstatt"  
  Archäologie wird im Allgemeinen mit der Erforschung der Ur- und Frühgeschichte des Homo sapiens assoziiert. Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat nun allerdings - mit archäologischen Methoden - westafrikanische Schimpansen untersucht: Die Tiere sind bekannt für ihre Fähigkeiten im Nussknacken. Dabei haben die Wissenschaftler eine mehr als 100 Jahre alte "Nussknacker-Werkstatt" entdeckt.  
Wie alt ist das Verhalten der Tiere und haben sich die Techniken des Nussknackens im Laufe der Zeit verändert? Diesen Fragen gehen Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie sowie Julio Mercader und Melissa Panger von der George Washington Universität nach. Über ihre neuesten Erkenntnisse berichten sie im Fachmagazin "Science".
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"Excavation of a Chimpanzee Stone Tool Site"
Die Wissenschafter aus Leipzig und Washington präsentieren ihre Funde im US-Fachjournal "Science": Der Artikel "Excavation of a Chimpanzee Stone Tool Site in the African Rainforest" ist erschienen in "Science", Bd. 296, Nr. 5572, Seiten 1452-1455 vom 24. Mai 2002.
->   Originalartikel (kostenpflichtig)
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Steine und Äste als Werkzeug
Die westafrikanischen Schimpansen benutzen Steine und Äste als Hämmer, um damit Nüsse zu knacken. Mit diesen bis zu 15 Kilogramm schweren Werkzeugen arbeiten die Tiere während der vier Monate dauernden Nussernte täglich bis zu zwei Stunden lang.

Die Technik erfordert allerdings einiges Können - so beherrschen Jungtiere das "perfekte" Nussknacken erst nach einigen Jahren; während dieser Lernphase teilen Mütter ihre Nüsse mit den Jungen, wie die Wissenschaftler aus früheren Studien wissen.
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Eine Art "kulturelles Verhalten"
Die Technik des Nussknackens scheint nur unter den Schimpansen der westlichen Elfenbeinküste, Liberias und des südlichen Guinea-Conakry verbreitet zu sein - ist also eine Art kulturelles Verhalten, die es erlaubt, eine Affen-Population von der anderen zu unterscheiden. Weibchen knacken den Forschern zufolge häufiger Nüsse als Männchen.
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Spurensuche in der Vergangenheit
In ihrem jüngsten Projekt begaben sich die Wissenschaftler auf Spurensuche in die Vergangenheit. Dabei wandten sie zum ersten Mal archäologische Methoden auf eine nicht-menschliche Spezies an.

Als "Grabungsstätte" wählten die Forscher einen Ort im Tai Nationalpark der westafrikanischen Republik Elfenbeinküste, an dem im Laufe vieler Jahre immer wieder Schimpansen gesehen wurden, die zum Knacken der sehr harten Nuss Panda oleosa Steine benutzten.
Steinsplitter als "Nebenprodukt"
Im Boden unter den dort stehenden Panda-Nussbäumen fanden die Wissenschaftler insgesamt etwa 40 Kilogramm Nussschalen und 479 Steinsplitter - manche lagen bis zu 21 Zentimeter tief im Boden vergraben.

Diese Splitter wurden von den Schimpansen "unabsichtlich" beim Nussknacken produziert, während sie mit Hammersteinen gegen hölzerne Ambosse schlugen. Die Verbreitung der Überreste war allerdings nicht willkürlich, sondern zeigte örtlich gehäufte Schalen und Steinreste.

Die Verteilung dieser Relikte entspricht dem, was Archäologen als "activity areas" bezeichnen. Besonders interessant war die Ausgrabung "Panda 100" nahe eines riesigen, abgestorbenen Baums: Nicht zuletzt wegen der dort angehäuften Müllberge, wie sie auch bei Grabungen menschlicher Kulturen immer wieder gefunden werden, sprechen die Archäologen von einer "Stätte".

Da "Panda 100" höchst wahrscheinlich älter als hundert Jahre ist, gehen die Wissenschaftler davon aus , dass Nussknacken in dieser Region des Regenwalds bereits seit Generationen gepflegt wird.
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Der "kleine" Unterschied - zwischen Mensch und Affe
Die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen liegen nicht in erster Linie in den Genen. Denn das Erbgut der beiden Arten gleicht sich zu 98,7 Prozent. Vielmehr sind starke Unterschiede in der Expression der Gene im Gehirn der beiden für die unterschiedliche Entwicklung verantwortlich, wie Wissenschaftler kürzlich berichteten.

Warum der Mensch im Gehirn - im Gegensatz zum Schimpansen - einen größeren Teil seines Erbgutes in Proteine umsetzt, ist allerdings ungeklärt. Denn in anderen Körperbereichen wie Leber oder Leukozyten konnten solche Unterschiede nicht festgestellt werden.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
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Ähnlichkeiten zu menschlichen Vorfahren
Die Größe der Steine, die Form der Abschlagsplitter und die vielen kleinen Trümmer ähneln zudem jenen Steinen, die einige unserer frühen Vorfahren in Ostafrika in der so genannten Oldovan-Zeit (vor 2,5 bis 2 Millionen Jahren) hinterlassen haben.

Darüber hinaus gleichen die Anzahl der Steine pro Quadratmeter und die Größe der Steinhaufen einigen Sammlungen aus dieser Epoche. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass es sich um "Nussknackerstellen" unserer Vorfahren handelt, meinen die Wissenschaftler.
Neue Perspektiven für viele Disziplinen
Außerdem deute ein Teil der Artefakte aus den höher entwickelten Oldovan-Sammlungen darauf hin, dass diese frühen Hominiden "harte Nahrung" zu sich genommen haben.

Nach Ansicht des Forscherteams eröffnen die Ergebnisse neue Perspektiven für viele Disziplinen - einschließlich Primatologie, Archäologie und Paläoanthropologie.

"Unsere Arbeiten verdeutlichen, wie viel mehr wir noch über den Schimpansen als unseren nächsten lebenden Verwandten lernen müssen, um die Einzigartigkeit der Menschheit zu verstehen", erklärte dazu der Primatologe Christophe Boesch.
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
->   Wild Chimpanzee Foundation
 
 
 
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01.01.2010