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Elfmeterschießen: Keine Frage des Glücks  
  Für Österreichs Fußballer ist es eher ein Randproblem: Schlechte Leistungen im Elfmeterschießen entscheidender Spiele bei Welt- oder Europameisterschaften. Ihre Englischen Sportskameraden haben auf diese Weise aber schon eine Reihe von Wettbewerben vorzeitig beendet. Um diesem Übel schon im Vorfeld der am Freitag beginnenden WM zu begegnen, haben Landsleute das Phänomen nun wissenschaftlich untersucht. Ihr Schluss: Gute Torhüter erkennt man an ihren Augenbewegungen. Und: Elfmeter sind kein Glücksspiel, sondern eine Frage des Trainings.  
Mark Williams von der John Moores University hat die Penalties studiert. Er fand heraus, dass erfahrene Torhüter signifikant besser als Anfänger einschätzen können, in welcher Ecke ihres Tores der Ball landet.

Der Grund: Sie können die versteckten Signale des Torschützen beim Torschuss besser "lesen" und somit seine Absichten und die richtige Ecke erraten.
Training hilft
Die Forschungsergebnisse könnten dazu führen, dass Elferschützen ihren Torschuss mit noch mehr Täuschung durchführen - oder den Torhütern, sie noch besser abzuwehren.

"Die Wissenschaft rät sowohl Elferschützen als auch Torhütern zum Training, um den Einfluss des Glücks zu minimieren", so Williams in der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature".
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Die beiden in diesem Artikel zitierten Studien stammen aus dem "Journal of Sports Sciences", jene von Williams u.a. erschien unter dem Titel "Visual search, anticipation and expertise in soccer goalkeepers" im Band 20, S. 279 - 287 (2002), die weiter unten zitierte von McGarry unter "On winning the penalty shoot-out in soccer" im Band 18, S. 401 - 406, (2000).
->   Journal of Sports Sciences
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Vergleich Profis vs. Amateure ...
Williams verglich eine Gruppe Torhüter, die in der Nationalliga Hollands spielte, mit einer Gruppe Amateure. Diesen Torhütern wurden Videofilme aus Tormann-Sicht gezeigt, in denen Spieler des PSV Eindhoven Penalties schossen.

Sie mussten voraussagen, in welcher Ecke des Tores der Ball landen würde, und am PC-Monitor einen Joystick bewegen, noch bevor der Ball die Torlinie überquerte.
... mit signifikanten Unterschieden
Das Ergebnis: Die Profis "wehrten" mehr als ein Drittel aller Bälle "ab", die Amateure nur etwa ein Viertel.

Und auch wenn sie den Ball nicht erreichten, bestand bei den Profis eine weit höhere Wahrscheinlichkeit, den Joystick zumindest in die richtige Richtung zu bewegen.
Drei Möglichkeiten für Torhüter
Wie es dazu kommt, erklärt Williams folgendermaßen. Prinzipiell haben Torhüter drei Möglichkeiten: Sie können erstens raten, in welche Ecke sie sich werfen sollen. Sie können zweitens abwarten, bis der Elfmeterschütze geschossen hat, und dann versuchen, den Ball zu parieren. Oder sie können drittens versuchen, den Schützen zu analysieren und die Schussrichtung des Balles vorherzusagen.
Augenbewegungen machen den Unterschied
Letzteres ist, was die Profi-Torhüter machen. Um dies zu beweisen, filmte Williams ihre Augenbewegungen: Während die Augen von Anfängern über den gesamten Platz schwenken, und nervös über Körper, Arme und Beine des Schützen streichen, sind die Blicke der Profis weit fokussierter - sie fixieren einzig die Beine des Gegenübers.
Eine halbe Sekunde Zeit ...
Die Schützen ihrerseits versuchen bis zum letztmöglichen Moment, die Torhüter zu täuschen. Seine wahren Absichten gänzlich zu verbergen, ist aber kaum möglich, so Williams.

Sobald der Elferschütze nach dem Anlauf sein Standbein fixiert und das Schussbein zum Torschuss ansetzt, hat der Torhüter etwa eine halbe Sekunde Zeit, die Richtung des Balles zu erraten. Entscheidendes Kriterium dafür ist die Stellung des Standbeins.
... und entscheidende Millisekunden
Ein harter Schuss legt die elf Meter schneller zurück als die normale Reaktionszeit eines Torhüter-Gehirns beträgt. Profi-Torleute scheinen durch die wiederholten Elfmeter-Situationen die Beinstellung kurz vor dem Schuss immer besser interpretieren zu lernen.

"Je länger diese Entscheidung dauert, desto weniger Zeit bleibt für die Reaktion und die Bewegung", meint McGarry. Durch Training und Übung können diese Zeiten um die möglicherweise entscheidenden Millisekunden reduziert werden.
Ratsam: Bester Spieler als letzter Elferschütze
Williams ist nicht der einzige Forscher, der Fußballtrainern Rat in Sachen Verhalten bei Elfmetern anbietet. Tim McGarry von der University of New Brunswick in Kanada stellte eine mathematische Analyse auf, in welcher Reihenfolge die Spieler zu den entscheidenden fünf Elfmetern antreten sollen.

Sein Schluss: Der beste Spieler soll als letzter schießen, da mit jeder Runde die Situation wichtiger und entscheidender wird.
England hat historischen Nachholbedarf
Die Motivation für die Forschung von McGarry stammt übrigens von der letzten WM - damals verlor England sein Viertelfinalspiel gegen Argentinien im Elfmeterschießen.

Das Team rund um den damaligen Teamchef Glenn Hoddle hatte die alles entscheidende Technik angeblich nicht geübt. "Historisch betrachtet, hat England sowohl auf Nationalteam- als auch auf Klubebene zu wenig trainiert", meinte McGarry.

Und das kann ein folgenschwerer Fehler sein - immerhin wird statistisch fast die Hälfte aller WM-Semifinalspiele im Elferschießen entschieden.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   John Moores University
->   University of New Brunswick
->   Nature Science Update
->   Die offizielle WM-Site der FIFA
 
 
 
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01.01.2010