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Bilder als Argumentationshilfen in der Wissenschaft  
  Was leisten Bilder in einem Wissenschaftsbetrieb, dessen Leitmedium nach wie vor der Text ist? Dieser Frage geht Wolfgang Coy, Professor für Informatik an der Humboldt-Universität in Berlin, am Montag in einem Vortrag am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien nach. Der Wissenschaftler beschreibt in einem Originalbeitrag für science.ORF.at die Rolle "technischer Bilder" wie etwa Röntgen- oder Ultraschallaufnahmen in der "visuellen Argumentation" der Natur- und Technikwissenschaften.  
Visuelle Argumentationen - Technische Bilder als Argumentationshilfen
Ein Originalbeitrag von Wolfgang Coy

Ein Kern wissenschaftlicher Tätigkeit besteht aus Überzeugungsarbeit: Erkenntnis so aufzubereiten, dass andere ihr zustimmen; sie mit klaren Argumenten zu vermitteln, möglicher Kritik begegnen.

In der Gutenberg-Galaxis der modernen Wissenschaft nimmt dies vor allem die Form wissenschaftlicher Texte an. Zwar ist der gesprochene Vortrag, besonders in der Lehre, nicht ausgestorben, doch gilt der schriftliche Text als die abschließende Form der Darstellung.

Bilder werden daher in vielen Wissenschaften als nebensächliche, illustrative Elemente angesehen, deren epistemologischer Status eher unsicher scheint. Doch in Mathematik, Natur- und Technikwissenschaften haben Bilder stets eine wesentliche argumentative Funktion bewahrt.
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Informationen zum Vortrag
Wolfgang Coy: " Visuelle Argumentationen - Technische Bilder als Argumentationshilfen"
Zeit: Montag, 3. Juni 2002, um 18 Uhr
Ort: am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien,
Reichsratsstraße 17, 1010 Wien, Tel. +1-504 11 26, ifk@ifk.ac.at
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien
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Was sind "Technische Bilder"?
Unter dem Namen "Technische Bilder" sollen Bildnotationen wie geometrische Zeichnungen, Schaubilder, Pläne oder Diagramme ebenso wie Abbilder mittels sensorischer Transformation oder durch Berechnung verstanden werden.

Fotos, Filme, Röntgen-, Infrarot-, Ultraschall- oder Radarbilder entstehen mittels erweiterter sensorischer Aufnahmebereiche. Magnet-Resonanz- und computertomografische Verfahren oder moderne Radartechnik sind Ergebnisse programmierter bildgebender Verfahren.

Der logische und semiotische Gehalt solcher Technischen Bilder ist klärungsbedürftig. Erklärt ein Bild wirklich "so viel wie tausend Worte"? Sind Bedeutungen von Bildern den abgebildeten Objekten so ähnlich, dass Bilder unmittelbar verständlich sind, während Worte der Übersetzung bedürfen?
Was können "Technische Bilder"?
Bildlichen Darstellungen wird häufig vorgeworfen, sie seien unpräzise. Idealtypisch kommt die Formelsprache der Logik ohne weitere Erläuterung aus, um aus Definitionen, Axiomen und Regelanwendungen neue Erkenntnisse in Form von Theoremen zu beweisen.

Dies unterstellt freilich einen geschulten theoretischen Interpretationsrahmen. Stellt man die gleiche Anforderung an das Verständnis bildlicher Darstellungen, so können diese ebenso präzise und eindeutig sein.

Ein geometrischer Beweis kann ohne Textelemente auskommen; die Formensprache der euklidischen Geometrie ist ein mehr als zweitausend Jahre altes Beispiel präziser Bildnotation.
Beispiel Geometrie
Geometrie beruht auf der Darstellung theoretischer Einsicht. Visualisierung des Denkens ist aber nicht auf dürre geometrische Figuren beschränkt. Baupläne, Schaltpläne oder auch Schnittmusterbögen sind handfeste Realisierungen geometriehafter Vorstellungen.

Auch die kosmologischen und physikalischen Konzepte des Kopernikus, von Kepler, Newton oder Descartes sind durchdrungen von geometrischen Vorstellungen der pythagoreischen Schule.

Erst die Rückkoppelung theoretischer Hypothesen an gemessene Daten eröffnet die neue Dimension visualisierter Messdaten. Seekarten, Landkarten bis hin zum Stadtplan sind frühe Beispiele solcher Messdatendarstellungen, die für Technik und moderne Naturwissenschaft charakteristisch sind.
Bilder und Messdaten - und die dazugehörigen Instrumente
Die Messung selber ist aber eine problematische Kunst. Zwar gibt es einen stabilen Bereich beherrschter Messtechnik, ihre theoretische Herausforderung liegt aber stets an den Grenzen der Messtechnik. Dies gilt bereits für die Landvermessung.

Viel problematischer sind die jedoch Erweiterungen des Messens auf "unsichtbare" sensorische Daten des Fernrohrs, des Mikroskops, bei Fotografie und Film, bei Röntgen-, Infrarot- oder Radarstrahlen.

Das Instrument wird Teil der Interpretation und es schiebt sich zwischen Objekt, Sinn und Denken. Exakte, wiederholbare, zweifelsfrei interpretierbare Messung an den Grenzen der Messtechnik bleibt die große Herausforderung aller Sensortechniken.
Und nach der Gutenberg-Galaxis der Computer
Mit dem Einsatz programmierter Computer wurde eine Reihe neuer Messtechniken entwickelt, deren problematischer epistemologischer Gehalt in eigentümlichem Kontrast zu ihren äußerst exakt erscheinenden digitalisierten Visualisierungen steht.

So sind die Messdaten computertomografischer Aufnahmen nicht ohne interpretierende Computerprogramme mit einer Fülle von Bildbearbeitungsschritten nutzbar. Filteroperationen wie Kantenverschärfungen, Mittelung benachbarter Grauwerte, Differenzbilder oder Falschfarbendarstellungen suggerieren dem naiven Betrachter eine Präzision, die durch das Verfahren selber nicht gesichert wird.

Bildverarbeitende Computerprogramme sind keineswegs eine schlichte Darstellung des bis dahin Unsichtbaren, sondern immer schon eine theoriegeleitete Visualisierung.
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Informationen zu Wolfgang Coy
Wolfgang Coy ist Professor für Informatik in Bildung und Gesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und derzeit Visiting Fellow am IFK in Wien.

Er studierte Elektrotechnik, Mathematik und Philosophie an der TH Darmstadt und war an der TH Darmstadt und den Universitäten Dortmund, Kaiserslautern und Paris VI tätig. 1979-96 war er Professor für Informatik an der Universität Bremen. Er ist Gründungsmitglied des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik der Humboldt-Universität zu Berlin.

Seine Forschungsschwerpunkte: Digitale Medien, Theorie der Informatik, Informatik und Gesellschaft, Sozial- und Kulturgeschichte der Informatik.

Am IFK arbeitet Wolfgang Coy zum Thema "Visuelle Argumentationen - zur Eigenständigkeit technischer Bilder im Erkenntnisprozess".

Publikationen: Industrieroboter. Zur Archäologie der Zweiten Schöpfung (Berlin, Rotbuch 1985); Aufbau und Arbeitsweise von Rechenanlagen (Braunschweig/Wiesbaden, Vieweg, 2. Aufl. 1991); gem. mit Lena Bonsiepen: Erfahrung und Berechnung. Zur Kritik der Expertensystemtechnik (Berlin et al., Springer, 1989). Mitherausgeber weiterer Bücher, zuletzt: gem. mit M. Warnke und Ch. Tholen: HyperKult - Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien (Basel/Frankfurt, Stroemfeld 1998). Zahlreiche Veröffentlichungen zu fachlichen, philosophischen und gesellschaftlichen Themen der Informatik sowie zur Theorie digitaler Medien.
->   Wolfgang Coy im WWW
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01.01.2010