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Die Rolle von Ethik-Kommissionen in der Biopolitik  
  Ethik-Kommissionen analysieren, beraten, empfehlen. Sie sind ein Versuch, mit je nach Auftrag unterschiedlicher Intensität und unterschiedlicher Wirksamkeit auf die Komplexität anstehender politischer Entscheidungen zu reagieren. Dabei werden sie immer wieder als politisch abhängig oder demokratisch nicht legitimiert kritisiert.  
Zwischen unabhängigem Beratungsgremium ohne politische Entscheidungsmacht und Organ zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für ethisch heikle Fragen versucht etwa die österreichische Kommission ihre Rolle in der Biopolitik erst noch zu finden und zu definieren.
Politisches Experiment
Der Politologe Herbert Gottweis von der Universität Wien bezeichnet Ethik-Kommissionen als politisches Experiment. Bei den Fragen der modernen Biomedizin reichen die klassischen Methoden repräsentativer Demokratie nicht mehr aus, um Entscheidungen zu finden. So überlegt sich die Politik, was sie sonst machen kann.
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Beratergremien: Prototyp USA
Eine Möglichkeit sind Beratergremien. Ein Prototyp für die neue Idee entstand in den USA - schon in den 1970er Jahren wurde dort das nationale Bioethik-Komitee eingesetzt. "Weil Fragen der modernen Medizin mit den klassischen Methoden nicht mehr lösbar waren, war die Idee, mit der Bioethik eine Art neutraler Technik zu schaffen. Ein Gremium von Experten, das imstande wäre, zu sagen, was richtig und was falsch ist", so Herbert Gottweis. Ein Anspruch, dem sich freilich nur schwerlich genügen lässt. Viele andere Länder sind seither dem Vorbild gefolgt und haben mit unterschiedlichen Modellen experimentiert.
->   US National Bioethics Advisory Commission
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Österreich: Expertengremium
In Österreich wurde vor knapp einem Jahr von der Regierung eine Bioethik-Kommission ins Leben gerufen. Durch den Bundeskanzler ernannt sollen neunzehn Experten aus Medizin, Naturwissenschaft, Recht, Philosophie, Soziologie und Theologie unter der Leitung des Gynäkologen Johannes Huber die Entwicklungen in der Biomedizin verfolgen und aus ethischer Sicht beratend dazu Stellung nehmen.
Zwei Kommissionen in Deutschland
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass auch andere Formen möglich wären. In Deutschland etwa gibt es den nationalen Ethikrat des Bundeskanzlers - ähnlich der österreichischen Kommission.

Außerdem arbeitet eine im Parlament angesiedelte Enquete-Kommission zu Ethik und Recht in der Medizin. Die Mitglieder sind von den Parteien proportional zu ihrer Größe entsandte Parlamentarier, die ihrerseits zusätzlich beratende Experten benennen konnten.
->   Nationaler Ethikrat
->   Enquete-Kommission zu Ethik und Recht in der modernen Medizin
Parlament noch kaum aktiv
Die österreichischen Parlamentarier hingegen scheinen in Sachen Bioethik kaum aktiv zu sein. Das mag daran liegen, dass gegenwärtige Fragen wie Embryonenschutz oder Stammzellen in der heimischen Forschung noch keine aktuelle Rolle spielen, da entsprechende Forschungsanträge noch nicht gestellt wurden.

Selbstverständlich wäre es aber wünschenswert, meint etwa Herbert Gottweis, wenn auch hierzulande das Parlament antizipativ tätig würde. Bedarf an gesetzlichen Regelungen wird es künftig reichlich geben, das zeigen auch schon die bisherigen drei Stellungnahmen der Bioethik-Kommission.
Stellungnahmen zu europäischen Regelwerken ...
Die Stellungnahmen beschäftigten sich alle mit der Umsetzung europäischer Regelwerke (Biomedizin-Konvention, Biopatentrichtlinie und 6. Rahmenprogramm). Die Kommission sei aber gar nicht gut beraten, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, meint der Politologe Herbert Gottweis.
... anstelle grundsätzlicher Diskussionen
Langfristig solle es der Kommission viel mehr darum gehen, sich mit grundsätzlichen Fragen wie der Stellung des Embryos oder der Haltung zum therapeutischen Klonen zu beschäftigen und möglichst unantastbar zu bleiben.

Sie sollte ihre Reputation als Expertengremium dafür nützen, eine gewisse Autorität zu entwickeln, mit der sie Orientierungspunkte in schwer überschaubaren Debatten schafft.
Bioethik und Biopolitik nicht trennbar
Als untrennbar bezeichnet der evangelische Theologe und Kommissionsmitglied Ulrich Körtner, der auch als science.ORF.at-Host tätig ist, bioethische und biopolitische Fragen.

Es stelle sich daher die viel mehr die Frage, wie diese Verflechtungen transparent gemacht werden könnten. Einen Ansatz sähe er darin, eine Kommission beim Parlament einzurichten.
->   Sämtliche Artikel von Ulrich Körtner in science.ORF.at
Monatliche Beratungen mit politischen Prioritäten
Seit Anfang 2002 trifft sich die Bioethik-Kommission regelmäßig einmal pro Monat zu Beratungen. Worüber gesprochen wird, bestimmen die Mitglieder selbst - zumindest theoretisch.

Zwei der bisher drei offiziellen Stellungnahmen waren explizit von der Regierung angefordert worden. Diese sind dann auch vorrangig behandelt worden. Die letzte etwa, die Stellungnahme zum 6. EU-Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung, war von der Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer beantragt worden.

Konkret ging um die Haltung Österreichs zu Forschung an embryonalen Stammzellen, die im Rahmen dieses Programm, und damit auch mit österreichischen Geldern, gefördert werden soll.
Neue österreichische Position
Mit einer Mehrheit von elf zu acht hat die Kommission empfohlen, dem Programm unter bestimmten Bedingungen zuzustimmen - und gleichzeitig in Österreich an einem Embryonenschutzgesetz zu arbeiten zu beginnen.

Österreich hat dennoch - bei der endgültigen Abstimmung über das Rahmenprogramm am Dienstag in Luxemburg - mit Nein gestimmt, da die Bedingungen der Ethikkommission auf europäischer Ebene nicht erfüllt sind.
->   science.ORF.at: Ja der Bioethik-Kommission zur Stammzellforschung
->   EU-Forschungsprogramm fix - Österreich stimmt mit Nein
Biopatentrichtlinie: Klares Politikum
Natürlich bestehe die Kommission aus eigenständig denkenden und weitgehend unabhängigen Experten, sagt Kommissionsmitglied Ulrich Körtner - die Sorge, sie könnte zumindest teilweise politisch vereinnahmt werden, sei aber nicht ganz unberechtigt.

Beispiel dafür wäre die erwünschte Stellungnahme zur EU-Biopatentrichtlinie, bei der von Anfang an klar war, dass es hier auch um politische Interessen ging.
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EU-Biopatentrichtlinie
Tatsächlich hätte die EU-Biopatentrichtlinie aus dem Jahr 1998 schon im Sommer 2000 in nationales Recht umgesetzt werden sollen. In Österreich wie in vielen anderen EU-Ländern wurde allerdings mit dem Vorwurf, die Richtlinie ermöglich Patent auf Leben protestiert und Neuverhandlungen verlangt. Eine nationale Umsetzung war vielerorts auf Eis gelegt.

Auf Anfrage der ehemaligen Ministerin für Verkehr, Innovation und Technik Monika Forstinger gab die Bioethik-Kommission schließlich Anfang März die Empfehlung ab, die Richtlinie umzusetzen - und erntete dafür ihrerseits heftige Kritik, vor allem von Umweltorganisationen und der Opposition.

Kommissionsvorsitzender Johannes Huber meint dazu heute, die Kommission suche nun aktiv da Gespräch mit vielen Vertretern der Gesellschaft, wie beispielsweise auch Greenpeace, und trage damit auch zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei.
->   science.ORF.at: Kein Patent auf Leben?
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Parlament am Zug
Wenige Wochen nach Bekanntgabe der Stellungnahme der Kommission für deren Umsetzung passierte die Biopatent-Richtlinie den Ministerrat, das Parlament war wieder am Zug.

Die Freiheitlichen, vehemente Verfechter eines Nein zu Patent auf Leben, forderten kurz darauf eine parlamentarische Enquete-Kommission zum Thema, möglichst noch vor dem Sommer - der Ball liegt jetzt bei der ÖVP.
Biomedizin-Konvention
Umstritten war auch die erste Stellungnahme der Kommission im Jänner. Auch hier ging es darum, ob ein europäisches Regelwerk für Österreich geltend zu machen sei. Zur Debatte stand die Biomedizin-Konvention des Europarates und deren etwaige Ratifizierung durch Österreich.
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Ethik-Kommission und Behindertenverbände
Heikel in der Biomedizin-Konvention ist besonders ein Punkt, in dem es um die Forschung an nicht zustimmungsfähigen Personen geht. Nicht zuletzt diese Konvention war auch der Ausschlag dafür, dass einige Behindertenverbände eine eigene Ethik-Kommission für den Bundeskanzler gegründet haben, mit der sie auch auf ihre Interessen aufmerksam machen wollten.

Die Frage der Ratifizierung der Biomedizin-Konvention war ein Thema, das sich die Bioethik-Kommission des Bundeskanzler selbst gestellt hat - und sie suchte dafür intensiv das Gespräch auch mit Vertretern der Behindertenverbände.
->   Ethik-Kommission FÜR die Bundesregierung
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Ratifizierung empfohlen
Die Stellungnahme empfahl eine Ratifizierung der Biomedizin-Konvention - wiederum verbunden mit der Aufforderung, die heimischen Gesetze zum Schutz nicht zustimmungsfähiger Personen zu verbessern.
->   science.ORF.at: Biomedizin-Konvention soll unterschrieben werden
Einflussnahme von außen spürbar
Obgleich die Behandlung des Themas ein Anliegen aus den eignen Reihen der Kommission war, sei aber auch hier eine gewisse Einflussnahme von außen spürbar gewesen, meint Ulrich Körtner.

Man wollte ursprünglich vorschlagen, die nötigen Begleitgesetze im Verfassungsrang zu erstellen, hätte aber klare Signale ¿von außen¿ bekommen, dass dies nicht gewünscht sei.

Die Konvention ist bisher nicht ratifiziert, am 11. Juni soll laut der zuständigen Europartsabgeordneten Gatterer ein Hearing stattfinden, in dem noch einmal alle Stimmen gehört und Anliegen diskutiert werden.
Distanzierung von tagespolitischen Verwicklungen
Man werde sich künftig deutlicher von tagespolitischen Verwicklungen zu distanzieren lernen, dann hätte die Kommission eine Chance, wichtige Beiträge zur Diskussion um ethisch wie gesellschaftlich relevanten Themen zu leisten.

Das meinen sowohl Vorsitzender Johannes Huber als auch Kommissionsmitglied Ulrich Körtner. ¿Arbeitsmaterial¿ gäbe es schließlich genug, von Überlegungen zur Präimplantationsdiagnostik bis hin zum gläsernen Menschen.

Ein Beitrag von Birgit Dalheimer für die Dimensionen am 4. Juni um 19 Uhr 05, Programm Österreich 1.
->   Österreich 1
->   Österreichische Bioethik-Kommission
 
 
 
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01.01.2010