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Gentech-Pflanzen: Risiken und Nebenwirkungen  
  Vom landwirtschaftlichen Einsatz gentechnisch modifizierter Pflanzen erhofft man sich höhere Erträge, geringeren Bedarf an Pflanzenschutzmitteln sowie Resistenzen gegen Schädlinge. Zwei neue Studien zeigen, dass im Zweifelsfall mit unerwarteten Nebenwirkungen gerechnet werden muss. So reagieren Schadinsekten der gentechnisch veränderten Baumwolle mit Anpassungen, aufgrund derer nun erst recht Insektizide zum Einsatz gebracht werden müssen. Und modifizierte Kartoffeln verlieren durch die Einbringung eines zusätzlichen Abwehr-Gens Teile ihrer natürlichen Schutzmechanismen.  
Gentech-Baumwolle in China
Der Einsatz gentechnisch veränderter Baumwolle in China hat einer neuen Studie zufolge umweltschädliche Auswirkungen. Nach der chinesischen Analyse gerät durch die mit einem Insektengift-Gen ausgestatteten Pflanzen das natürliche Gleichgewicht der Insektenwelt durcheinander.

Die Wahrscheinlichkeit neuer Plagen erhöhe sich, und die Schädlinge würden immer widerstandsfähiger, so dass die Schutzwirkung nach acht bis zehn Jahren verloren gehe.

Das sind nach Angaben vom Dienstag die Ergebnisse der Studie, die der bekannte chinesische Experte Xue Dayuan vom Nanjinger Institut für Umweltwissenschaften der Staatlichen Umweltschutzbehörde (SEPA) in Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation Greenpeace veröffentlichte.
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"BT Cotton in China"
Die Studie "A summary of research on the environmental impacta of BT cotton in China" von Dayuan Xue ist als pdf-File im Internet abrufbar.
->   Zur Studie
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1,5 Millionen Hektar Anbaufläche
Zwei Drittel aller Gentech-Baumwolle weltweit wachsen in China. Die Baumwolle, die durch den Einbau eines Gens aus dem Bacillus thuringiensis (Bt) den Baumwollkapselwurm abwehrt, wird in China auf 1,5 Millionen Hektar angepflanzt, das sind 35 Prozent der gesamten Baumwollanbaufläche und entspricht in etwa der Fläche Schleswig-Holsteins.

Vom Gentech-Konzern Monsanto stammen zwei Drittel dieser Bt-Baumwolle, ein Drittel sind lokal in China veränderte Sorten. Seit dem ersten Einsatz 1997 in China wurden die Auswirkungen untersucht. Xue Dayuan fasste in seiner Studie die Erkenntnisse von vier renommierten wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen.
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Bacillus thuringiensis
Das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis bildet ein so genanntes Protoxin, das, sobald es von Insektenlarven gefressen wird, durch die Darmsäfte der Larve zu dem giftigen Delta-Endotoxin (DET) aufgespalten wird. Das DET bewirkt bei der Larve eine Fresslähmung, an der sie eingeht. Das Gen für das DET ist in verschiedenen Kuturpflanzen (z.B. Mais, Baumwolle) eingeführt worden.

Von den solcherart hergetellten transgenen Pflanzen erhoffte man sich Fraßresistenz gegen bestimmte Schädlingslarven. Durch exzessiven Einsatz von Bacillus thuringiensis traten jedoch in neuerer Zeit vor allem auf Hawaii, später auch in Südostasien und den USA immer häufiger resistente Insektenstämme auf, die den Wirkungskreis dieses natürlichen Insektizids zunehmend einschränken.
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Schädlings-Anpassung bedingt Insektizid-Einsatz
Wegen der entstehenden Schädlings-Resistenzen gebe es bereits nach drei oder vier Generationen keinen vollständigen Schutz mehr. So müssten doch wieder Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Der Forscher rechnet bereits in vier bis fünf Jahren mit dem Auftreten "großer Mengen des Baumwollkapselwurms" in China.

"Dann wird es große Verluste geben", sagte Xue Dayuan in Peking. "Laborexperimente und Feldversuche haben gezeigt, dass mit dem Anbau von Bt-Baumwolle schädliche Umweltauswirkungen verbunden sind", fasst die Studie zusammen.

Der Anbau reduziere auch die natürlichen Feinde des Baumwollkapselwurms. Die Zahl anderer Schädlinge dagegen - wie etwa Blattläuse, Spinnen, Fransenflügler, Heuschrecken und ähnlichen - nehme zu.
Gegenposition von Monsanto
Dies steht durchaus im Gegensatz zu den vom Monsanto-Konzern gehegten Erwartungen. In einer Produktinformation zur Bt-Baumwolle hatte Monsanto betont, dass diese "enorme ökonomische und ökologische Vorteile biete" und vor allem in China zu einer drastischen Reduktion des Insektizidverbrauches geführt habe.

Monsanto kritisierte in einer Stellungnahme, die chinesische Analyse beruhe auf Laborexperimenten, die nicht auf die Situation auf den Feldern übertragbar seien. Es existiere kein Beweis für Resistenzen gegen Bt-Baumwolle.
->   Monsanto: Produktinformation Baumwolle
Ökologischer Reigen: Anpassung und Gegenanpassung
Das Ergebnis der Studie zeigt, dass in ökologischen Konkurrenzsituationen bei jeder (künstlichen oder natürlichen) Anpassung mit einer Gegenanpassung zu rechnen ist.

Im konkreten Fall hatten die Schadinsekten gegen das eingebrachte (Fraß-)Resistenzgen ihrerseits eine Resistenz entwickelt. Womit der gentechnisch bedingte Konkurrenzvorteil der Nutzpflanzen ausgeglichen wurde.

Greenpeace wertete die Studie als Beleg dafür, dass der Einsatz von Gentechnik nicht zu weniger Schädlingen und zum Verzicht von Giften führe. "Das Gegenteil ist der Fall", hieß es in einer in Hamburg veröffentlichten Erklärung.
Problemfall Kartoffel
Auch bei einer anderen Nutzpflanze wurde kürzlich von unerwünschten Nebenwirkungen durch Genmanipulation berichtet. Wie ein schottisches Forscherteam des Scottish Crop Research Institutes in Dundee herausfand, bewirkte die Einbringung eines so genannten Lektin-Gens, dass die Knollen-Pflanze einen Teil ihres Gehalts an Bitterstoffen verlor.
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"Effect of genetic transformations"
Der Artikel "The effect of genetic transformations for pest resistance on foliar solanidine-based glycoalkaloids of potato (Solanum tuberosum)" von Nick Birch und Mitarbeitern erschien in der aktuellen Ausgabe der "Annals of Applied Biology" (Vol. 140, Nr.2, Seiten 143-149).
->   Zum Abstract des Artikels
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Modifikation schwächt natürliche Abwehr
Die Arbeitsgruppe um Nick Birch konnte zeigen, dass der Gehalt an Bitterstoffen in den Blättern der modifizierten Pflanzen nur 44 Prozent jenes der unveränderten Kartoffeln betrug. Dieser Effekt ist deshalb von Belang, da die enthaltenen Bitterstoffe - so genannte Glykoalkaloide - zur Verteidung gegen Fraßfeinde dienen.

Aufgrund von Vergleichen mit Kartoffeln, in die ein anderes Gen eingebracht worden war, vermuten die Forscher, dass nicht das Lektin-Gen selbst, sondern der getechnische Eingriff für die Verringerung des Glykoalkaloid-Gehalts verantwortlich ist
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Lektine und Alkaloide
Lektine sind lösliche Proteine, deren biologische Funktion vor allem in der Zelladhäsion und der Erkennung zwischen verschiedenen Zellen liegt. Einige in pflanzlichen Samen vorkommende Lektine sind für tierische Organismen giftig, was durch die gentechnische Schädlingsbekämpfung ausgenutzt wird. Schneeglöckchen enthalten z.B. ein Lektin, das auf bestimmte Pflanzensaft saugende Insekten, wie etwa Blattläuse, tödlich wirkt.

Alkaloide dienen in Pflanzen oft als Abwehrstoffe, Beispiele hierfür sind etwa das Atropin in Nachtschattengewächsen oder das in vielen Pflanzen enthaltene Nikotin. Kartoffeln enthalten z.B. in ihren oberirdischen Pflanzenteilen das giftige Alkaloid Solanin.
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Nebeneffekte auch bei konventionellen Züchtungen
Howard Davies vom Scottish Crop Research Institute betonte allerdings gegenüber der Zeitschrift "New Scientist", dass auch bei konventionellen Züchtungen mit unerwarteten Nebeneffekten zu rechnen sei.

Die Befunde reichen sicher nicht aus, um gentechnische Anwendungen in der Landwirtschaft als generell negativ zu beurteilen. Aber der Weisheit letzter Schluss zu einer ökologisch weitsichtigen Schädlingsbekämpfung dürften sie wohl auch nicht sein.
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01.01.2010