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Physikerinnen an der Universität Wien  
  Die Tradition von Frauen in der Physik gehört in Österreich zu den vielfach vergessenen Kapiteln der Wissenschaftsgeschichte. Nach der Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium (1897) promovierten bis zum Jahr 1938 viele Physikerinnen. Lise Meitner wurde später die international bekannteste. Die Physikerin Brigitte Bischof hat zu diesem Thema eine Ausstellung gestaltet und zeigt in ihrem Gastbeitrag für science.ORF.at, dass Frauen in den Naturwissenschaften immer noch zu wenig sichtbar sind.  
Österreichs Mme Curie's
Von Brigitte Bischof

Im März fand die erste Konferenz der internationalen Vereinigung für Physik und angewandte Physik (IUPAP) zum Thema "Frauen in der Physik" statt. In "dieUniversität.at" berichtete Kerstin Weinmeier über die Situation in Österreich: Obwohl ca. 20 Prozent der Physik-StudentInnen weiblich sind, gibt es nur einen ordentlichen Lehrstuhl der Physik, der mit einer Physikerin besetzt ist (Monika Ritsch-Marte an der Universität Innsbruck).

Aus einem historischen Blickwinkel betrachtet, erscheint die heutige Situation in einem besonders düsteren Licht. An der Universität Wien können Frauen seit 105 Jahren studieren.

Im Vergleich zur sechs mal so langen Tradition der "Alma Mater Rudolphina" ist dies vergleichsweise kurz, doch bereits unter den ersten Frauen, die an der philosophischen Fakultät promoviert haben, sind auch Physikerinnen zu finden.
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Ausstellung "Physikerinnen. 100 Jahre Frauenstudium"
Beispiele dieser weiblichen Tradition in der Physik an der Universität Wien werden in der Ausstellung "Physikerinnen. 100 Jahre Frauenstudium an den Physikalischen Instituten der Universität Wien" vorgestellt. Sie haben alle, wie die Hälfte der ca. 350 Promoventinnen, vor 1938 ihr Studium absolviert.
->   Informationen über die Ausstellung
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Im Jahr des Nobelpreises
Im selben Jahr (1903), als Marie Curie den 1901 erstmals verliehenen Nobelpreis für Physik überreicht bekam, promovierte an der Universität Wien Olga Steindler, verheiratete Ehrenhaft, als erste Frau im Fach Physik.

Sie war später als Gründerin und Direktorin der ersten Handelsakademie für Mädchen in der Förderung der Mädchen- und Frauenbildung aktiv.
Lise Meitner: Die höchste Auszeichnung blieb ihr versagt

Lise Meitner
Zwei Jahre später beendete die wohl bekannteste Physikerin österreichischer Herkunft, Lise Meitner, ihre Physikstudium und widmete ihre weitere Forschung der Kernphysik.

Meitners Beiträge zu diesem neuen Gebiet der Physik waren und sind weltweit anerkannt, sie erhielt zahlreiche Ehrungen, allein der Nobelpreis blieb ihr versagt.
Physikerinnen an Instituten
Ende des ersten Weltkrieges bzw. in den ersten Jahren danach tauchen Physikerinnen auch in Wien als Assistentinnen, wissenschaftliche Hilfskräfte oder freie Mitarbeiterinnen an den Instituten auf. Zwei Vertreterinnen dieser Generation sind Hilda Fonovits und Marietta Blau. Erstere war von 1919 bis 1922 als Assistentin am Wiener Institut für Radiumforschung angestellt.

Nach einer mehrjährigen Pause übernahm sie die wissenschaftlichen Aufgaben im Physikalischen Labor der Sonderabteilung für Strahlentherapie im Krankenhaus Lainz.
Marietta Blau war ab 1923 als freie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wiener Institut für Radiumforschung tätig.
Die "photographische Nachweismethode"
Ihre physikalische Forschung widmete sie, ab 1932 gemeinsam mit Hertha Wambacher, der "photographischen Nachweismethode". 1938 mußte Blau Österreich verlassen und emigrierte über Norwegen und Mexiko in die USA. Auch ihr Name wird in Zusammenhang mit dem Nobelpreis genannt, wurde sie doch zweimal von Erwin Schrödinger dafür vorgeschlagen.
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Die Folgen des Anschlusses
Gerade in der Zwischenkriegszeit haben besonders viele Frauen Physik studiert. In den Dreißigern erreichte das Physikstudium an der Universität Wien, bezogen auf die Promotionszahlen, seinen Höhepunkt. Der "Anschluss" Österreichs an das faschistische Deutsche Reich brachte auch auf diesem Gebiet einschneidende Auswirkungen mit sich. Diese Auswirkungen sind nicht nur in den Biografien der Betroffenen zu finden, sondern spiegeln sich auch in der Entwicklung der Promotionszahlen. Der Anteil von Frauen an den PhysikdissertantInnen, vor 1938 lag er bei ca. 35 Prozent, sank beträchtlich ab.
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Das Jahr 1938 als Bruch
Dies bedeutet aber auch, dass sich die ersten Jahrzehnte des Frauenstudiums die Fächerwahl der Studentinnen anders verteilte, als heute. So beträgt in den ersten Jahren nach Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium der Anteil der Studentinnen, die physikalische Lehrveranstaltungen belegen, ca. 30 Prozent.

Obwohl 1938 einen klaren Bruch in der Entwicklung des Physikstudiums bedeutete, vermitteln gerade die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ein besonderes Bild bezüglich des Geschlechterverhältnisses an der Universität Wien.
Zwei Karrieren
Die große einführende Hauptvorlesung für Physik wurde für einige Semester von einer Physikerin gehalten und zwei Institute wurden, jedoch vorläufig nur interemistisch, von Frauen geleitet. Diese beiden Physikerinnen, Franziska Seidl und Berta Karlik, konnten sich in den Dreißiger Jahren habilitieren und eine wissenschaftliche Laufbahn an der Universität antreten.

Seidl widmete sich schwerpunktmäßig der Ausbildung der LehramtskandidatInnen und war über lange Jahre Präsidentin des Vereines zur Förderung des physikalischen und chemischen Unterrichtes.
Das erste Ordinariat
Berta Karlik hatte seit 1945, zuerst provisorisch und später definitiv, das Wiener Institut für Radiumforschung geleitet. Sie profitierte von den Neubestellungen im Rahmen der "Entnazifizierung", die zu ihrer Ernennung zum "ordentlichen Professor" führten.

Das erste weiblich besetzte Ordinariat an der Universität Wien ist demnach in der Physik zu finden. Jedoch auch diese beiden Physikerinnen, die durchaus eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn aufweisen, konnten die weibliche Tradition in der Physik an der Universität Wien nicht fortsetzen.
Ideologische Wende
Die äußerst positive Entwicklung in der Zwischenkriegszeit wurde durch den Zweiten Weltkrieg im Allgemeinen, aber besonders durch das nationalsozialistische Frauenbild, nicht nur gebremst, sondern auf das Niveau der Jahrhundertwende zurückversetzt.

Diese ideologische Trendwende wurde noch dadurch verschärft, dass viele der Physikerinnen von der rassistischen Gesetzgebung des Faschismus betroffen waren und emigrieren mußten.
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Zur Autorin
Brigitte Bischof beendete ihr Physikstudium an der Universität Wien mit einer Diplomarbeit zum Thema "Frauen am Wiener Institut für Radiumforschung". Sie organisierte und gestaltete die Ausstellung "Physikerinnen, 100 Jahre Frauenstudium an den Physikalischen Instituten der Universität Wien¿, die im Rahmen von university meets public vom 10.-14. Juni 2002 erneut an der Zentralbibliothek für Physik in Wien zu sehen sein wird. Momentan forscht sie in einem von Prof. Fleck und Prof. Zeilinger geleiteten Projekt zur Physikemigration aus Österreich. Davor bearbeitete sie an der iwk-Dokumentationsstelle Frauenforschung das biografia modul Naturwissenschafterinnen. Aktuelle Veröffentlichung: Naturwissenschafterinnen an der Universität Wien, Ariadne 41, Mai 2002
->   Brigitte Bischof
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->   Mehr über Marie Curie (Nobelpreis)
->   Tagung der Internationalen Vereinigung für Physik und angewandte Physik (IUPAP) zum Thema Frauen in der Physik
->   Projekt "science exile" (Naturwissenschafts-Emigration, Biografie Victor Weißkopf)
Aktuelle Veröffentlichungen von Brigitte Bischof
->   Naturwissenschaftlerinnen an der Universität Wien
->   Brigitte Bischof: Vergessene Vorbilder? Naturwissenschafterinnen in Österreich
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01.01.2010