News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Deutschland: Jede dritte Schülerin leidet an Essproblemen  
  Mediziner warnen immer wieder davor: Essstörungen wie Magersucht, Bulimie oder Adipositas nehmen seit 20 Jahren beständig zu. Gerade Mädchen und Frauen sind davon betroffen, zunehmend erkranken jedoch auch Männer an diesen - oft als "Frauenkrankheiten" bezeichneten - psychosomatischen Störungen. Nun hat eine deutsche Studie ergeben, dass im Nachbarland bereits jede dritte Schülerin Frühformen einer Essstörung zeigt, das Risiko einer tatsächlichen Erkrankung ist hoch.  
Wissenschaftler des Instituts für Medizinische Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben insgesamt 736 Personen im Alter von 12 bis 32 Jahren aus Ost- und Westdeutschland befragt. Laut dem Ergebnis der nun veröffentlichten Studie weisen 29 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer Frühsymptome einer Essstörung auf.
Alarmierende Ergebnisse bei Schülerinnen
Besonders alarmierend sind laut Studie die Ergebnisse bei den Schülerinnen, während der Anteil bei den ebenfalls befragten Studentinnen weitaus niedriger lag:

35 Prozent der befragten Gymnasiastinnen zeigen Vorformen der Erkrankungen (Studentinnen: 23 Prozent), bei 14 Prozent besteht demnach sogar ein sehr hohes Risiko, eine Essstörung wie Bulimie oder Magersucht zu entwickeln.
...
Die Situation in Österreich
In Österreich leiden etwa 200.000 Personen an Essstörungen wie Adipositas, Bulimie oder Anorexie. Derzeit geht man davon aus, dass schon fünf Prozent der Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren davon betroffen sind - Tendenz steigend.

Geschätzt wird, dass derzeit rund 2.500 Mädchen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren an ausgeprägter Magersucht, mindestens 5.000 in diesem Alter an einer sich entwickelnden Anorexie leiden. Von Bulimie dürften 6.500 Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren betroffen sein. Und jedes Jahr kommen rund 600 neue Anorexie- und 900 Bulimie-Erkrankungen dazu.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
...
Suche nach Risikofaktoren
Da weder die Ursachen noch die Risikofaktoren aufgeklärt sind, die zu den Essstörungen führen, hat das Jenaer Team die Vorformen und Frühsymptome untersucht.

Diese so genannten subklinischen Essstörungen waren bisher nur wenig erforscht, sind aber auf jeden Fall gekennzeichnet durch ein gestörtes Essverhalten, die ausgeprägte Sorge um das Gewicht und die Figur.
Chronische Diäten, Fressanfälle, exzessives Sporttreiben ...
Nach Angaben von Studienleiter Bernhard Strauß zeigt sich bereits eine deutliche Tendenz, das Gewicht kleinlich zu regulieren. "Erreicht wird dies beispielsweise durch chronisches Diäthalten, Fastentage, Erbrechen, Fressanfälle, exzessives Sporttreiben oder die Einnahme von Medikamenten zum Abnehmen wie Appetitzüglern, Abführ- oder Entwässerungsmitteln", beschreibt der Psychologe die Anzeichen.
...
Anorexie - "frei von Begierde"
Der Begriff "Anorexis" kommt aus dem Griechischen und bedeutet "frei von Begierde, frei von Hunger sein". Anorektikerinnen richten ihr gesamtes Streben auf die Unterdrückung des Hungertriebes. Und gerade deshalb beherrscht das Thema "Nahrung" ihr ganzes Denken. Die irrationale Furcht davor, dick zu werden, führt zu einem streng ritualisierten Umgang mit Nahrung: So werden nur noch ganz bestimmte Dinge gegessen oder die Nahrungsaufnahme wird auf ganz bestimmte Zeiten beschränkt. Mehr als 40 Prozent der Magersüchtigen leiden gleichzeitig noch an bulimischen Symptomen.
->   Mehr Informationen zu Magersucht
...
Gestörte Körperwahrnehmung
Psychologische Auffälligkeiten und Störungen der Körperwahrnehmung sind eine Ursache für die Essstörungen, die nur schwer therapierbar sind.

42 Prozent der Schülerinnen schätzten sich selbst als übergewichtig ein, obwohl nur acht Prozent tatsächlich Übergewicht hatten. Andererseits waren 33 Prozent der Probanden in Wirklichkeit untergewichtig, nur sechs Prozent schätzten sich so auch ein.

"Mit zunehmendem Risiko für die Entwicklung einer Essstörung gelang es den Versuchspersonen immer seltener, ihr Gewicht realistisch einzuschätzen", ermittelte der Studienmitarbeiter Florian Aschbrenner - ein wichtiger Hinweis auf den Schweregrad der Essstörung, meinen die Psychologen.
Studie zeigt keinen Zusammenhang mit Leistungssport
Während internationale Forschungsergebnisse belegen, dass Leistungssport mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Essstörungen einhergeht, konnte die Jenaer Studie dies aber nicht bestätigen.

Zwischen den Schülern, die im Sportgymnasium regelmäßig Leistungssport absolvierten, und denen ohne sportliche Aktivitäten, zeigte sich laut den Ergebnissen keine unterschiedliche Veranlagung zu gestörtem Essverhalten.
...
Bulimie - "der Ochsenhunger"
Auch der Begriff "Bulimia" entstammt dem Griechischen und bedeutet "Stier- oder Ochsenhunger". Bei einem "Essanfall" nehmen Betroffene bis zu 10.000 Kalorien (der Tagesbedarf eines Erwachsenen liegt bei ca. 2.500 Kalorien) zu sich. "Fressperioden" wechseln sich mit Phasen der "Entleerung" durch Erbrechen ab. Meist stellt der Ess-Brech-Kreislauf ein Ventil für Frustrationsgefühle, Enttäuschungen, Ärger, Wut, Einsamkeit und Langeweile dar. Ess-Brech-Sucht tritt bedeutend häufiger auf als Magersucht.
->   Mehr Informationen zu Bulimie
...
Vorformen von Essstörungen: "Ein häufiges Phänomen"
"Wir konnten feststellen, dass subklinische Essstörungen ein sehr häufiges und ernstzunehmendes Phänomen bei jungen Menschen darstellen. Die Störungen können im weiteren Verlauf in schwere Erkrankungen wie die Anorexie oder Bulimie übergehen", fasst Forschungsleiter Strauß zusammen.

Der Psychologe fordert daher, dass "dringend wirksame Konzepte zur Prävention und geeignete Screening-Methoden zur Früherkennung von Personen mit einer subklinischen Essstörung entwickelt werden müssen".
Mehr Aufmerksamkeit in den Schulen
Ebenfalls hält Strauß es für notwendig, dass dem Problem bereits in den Schulen stärkere Aufmerksamkeit zuteil wird. "Schulen stellen als zentraler Aufenthaltsort der Jugendlichen einen geeigneten Ort dar, um Maßnahmen der Aufklärung, Prävention, Früherkennung und erste Hilfestellungen durchzuführen", unterstreicht der Psychologe.
...
Fettsucht
Fettsucht (Adipositas) ist die vom Normalgewicht um mehr als 20 Prozent (oder Body-Mass-Index größer als 30) abweichende Vermehrung der Körpermasse durch Zunahme des Depotfetts. Am verbreitetsten ist die Adipositas infolge von Überernährung und Bewegungsmangel. Zu Grunde liegt der Adipositas vermutlich eine erbliche Veranlagung. Nach heutiger Auffassung besteht das Wesen der Fettsucht in einer Störung des normalen Hunger-Sättigungsrelationsmechanismus, der zu einer positiven Energiebilanz führt: Es wird mehr Energie aufgenommen als verbraucht, die überschüssige Energie wird in Form von Fett im Gewebe gespeichert.
->   Mehr über Fettsucht in science.ORF.at
...
Appetitzügler nur noch auf Rezept?
Alarmierend war in der Studie die häufige Benutzung von Arzneimitteln zum Abnehmen durch die Jugendlichen. Als Konsequenz fordert Psychologe Strauß: "Entwässerungsmittel, Appetitzügler und Abführmittel sollten rezeptpflichtig und nicht frei verkäuflich für die jungen Menschen sein".
Das mediale Schlankheitsideal
Nicht zuletzt stellt das, auch durch die Medien geformte, Schlankheitsideal ein großes Risiko dar. "Viele Frauen haben die realistische Wahrnehmung ihres eigenen Körpers und die Zufriedenheit mit ihrer Figur verlernt", hat Strauß erfahren.

"Besonders für weibliche Jugendliche besteht in der sensiblen Phase der Pubertät die Gefahr, dass von der Diskrepanz zwischen realem Körperbild und dem idealen Körperbild eine krisenauslösende Funktion ausgehen kann", sagt der Medizinpsychologe von der Universität Jena - und hofft darauf, dass entsprechenden Ansätzen von Freunden, Eltern und Mitschülern frühzeitig begegnet wird.
->   Institut für Medizinische Psychologie der Universität Jena
Mehr über Essstörungen im Internet:
->   www.beratung-therapie.de
->   Hotlines, Ambulanzen und Selbsthilfegruppen (Wien)
->   Beratungsstellen in Österreich
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010