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Psychoaktive Substanzen und Verkehrssicherheit  
  Substanzen, die auf Wahrnehmung und Denkvermögen eines Menschen wirken, stellen eine große Gefahr im Straßenverkehr dar, wie Experten immer wieder warnen. Neue Daten aus Österreich, die nun anlässlich des Symposions "Arzneimittel und Drogen im Straßenverkehr" der Tiroler Apothekerkammer vorgestellt wurden, zeigen einmal mehr die Bedeutung von umfassender Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen solcher Substanzen.  
Am häufigsten fand sich Alkohol in den Blutproben von Patienten, die im Rahmen eines Verkehrsunfalles an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Innsbruck aufgenommen wurden. Erst danach kommen gewisse Medikamente - und ganz am Ende der Skala illegale Drogen. All diese Substanzen gelten als psychoaktiv.
Psycho-Substanzen: Beeinflussung im Gehirn
Unter psychoaktiven Substanzen versteht man Wirkstoffe, die Stimmung, Verhalten, Wahrnehmung und Denkvermögen einer Person beeinflussen. Die Substanzen wirken, indem sie biochemische oder physiologische Abläufe im Gehirn beeinflussen.
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Wie wirken psychoaktive Substanzen?
Psychoaktive Substanzen verändern die Reizübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle im Gehirn: Die sich dort findenden Milliarden von Nervenzellen bilden lange Fortsätze (Axone), die elektrische Impulse mit einer Geschwindigkeit von bis zu 150 Metern pro Sekunde zur nächsten Zelle weiterleiten.

Die Axone übermitteln ihr Signal an die nächste Nervenzelle. Dabei müssen sie jedoch den so genannten synaptischen Spalt überbrücken. Dies geschieht mithilfe einer chemischen Substanz, eines Neurotransmitters, der den Spalt überspringt und in der zweiten Zelle eine "neue" elektrische Erregung in Gang setzt.

Psychoaktive Substanzen verändern die Funktionsweise dieser Neurotransmitter - meist wirken sie entspannend und beeinträchtigen damit das Urteilsvermögen bzw. die motorische Kontrolle.
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Alkohol weit an der Spitze
Wie auf dem Symposion berichtet wurde, steht - wenig überraschend - Alkohol nach wie vor an der Spitze der bei Verkehrsunfällen festgestellten psychoaktiven Substanzen.

Eine deutsche Metastudie hat etwa ergeben, dass bereits ab 0,3 Promille Alkohol im Blut Wirkungen nachweisbar sind - bis 0,5 Promille hängen diese jedoch stark von den untersuchten Personen und Situationen ab.

Erst ab dieser Grenze zeigt Alkohol eine deutliche Wirkung in Verkehrssituationen, die ein hohes Maß von Kontrollprozessen verlangen. Weniger deutlich war demnach der Einfluss von Alkohol in Standardsituationen wie Überholen oder Abbiegen.
Reduktion der Psychomotorik
Wie gut Alkohol von einer Person aufgenommen wird, hängt von der Nahrungszusammensetzung und -menge sowie vom Geschlecht ab. Schon in Mund und Speiseröhre gelangen geringe Mengen davon ins Blut, der Rest folgt über den Magen sowie über den Dünndarm.

Über die Blut-Hirn-Schranke landet der Alkohol schließlich im Gehirn. Dort reduziert er vor allem die Psychomotorik, denn er besetzt zahlreiche Rezeptoren des Zentralnervensystems und verlangsamt dadurch die Rückmeldungen: Aufmerksamkeit, Konzentration, Selbstkontrolle etc. lassen nach.
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Handys am Steuer: Gefährlicher als Alkohol
Neben den psychoaktiven Substanzen wie Alkohol gibt es im Straßenverkehr allerdings auch noch andere Gefahren. Vor allem das Telefonieren mit dem Handy gilt als gefährlich, wie ein Teilnehmer des Symposions berichtete.

Eine im März veröffentlichte britische Studie hat beispielsweise ergeben, dass die Reaktionszeiten telefonierender Autofahrer um 30 Prozent langsamer sind, als die von betrunkenen Fahrern. Zudem hatten die Probanden Schwierigkeiten, eine konstante Geschwindigkeit und den richtigen Sicherheitsabstand zu dem Auto vor ihnen zu halten.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte im vergangenen Jahr eine Innsbrucker Studie, der zufolge diese Beeinträchtigungen auch bei Freisprechanlagen zu beobachten waren. Hier wurde zudem festgestellt, dass Telefonieren - wie bisher nur von alkoholisierten Autofahrern bekannt - das Gesichtsfeld einschränkt.
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Risiko Medikamente
Ein Risiko im Straßenverkehr bergen aber auch bestimmte Medikamente. Laut den beim Symposion vorgestellten Daten konnten bei 5,2 Prozent der getesteten Patienten so genannte Benzodiazepine wie Valium - auch bekannt als Tranquilizer - nachgewiesen werden.

Die Benzodiazepine sind die derzeit am häufigsten verwendeten starken Schlafmittel. Zudem haben sie eine angstlösende bzw. beruhigende Wirkung. Für die Orthopädie sind Benzodiazepine wichtige Präparate gegen massive Krämpfe und Muskelverspannungen.

Die Wirkung solcher Medikamente: Schläfrigkeit, Verwirrtheit, mangelnde Urteilsfähigkeit, Beeinträchtigung der Motorik und des Bewusstseins. Auch eine Verlangsamung des Herzschlags sowie Blutdruckabfall wurden beobachtet. "Grenzwerte" wie bei den Promille gibt es nicht.
Kein prinzipieller Risikofaktor
Auch andere Medikamente, die etwa gegen psychische Leiden eingenommen werden - beispielsweise Antidepressiva, können erheblichen Einfluss auf das Bewusstsein eines Patienten haben. Hier allerdings ist abzuwägen zwischen notwendiger bzw. optimaler Behandlung von Krankheiten und der Verkehrstüchtigkeit.

So wies beim Symposion der deutsche Experte Hans-Peter Krüger vom Interdisziplinären Zentrum für Verkehrswissenschaften der Universität Würzburg auch darauf hin, dass Arzneimittel keinesfalls prinzipiell als "Risikofaktor" für die Verkehrstauglichkeit zu bewerten seien.

Auf die Frage, wie es denn mit der Verkehrssicherheit eines Menschen mit einer schweren Depression und ohne entsprechende medikamentöse Behandlung aussehe, antwortete der Experte trocken: "Schlecht!". Medikamente dürften in vielen Fällen erst zur Verkehrssicherheit beitragen.
Mehr zu diesem Thema im Internet:

Das Psychologische Institut der Universität Würzburg bietet Zugang zu einer Reihe von Studien, Meta-Analysen und laufenden Forschungsprojekten zur Thematik (unter Forschung/ Psychoaktive Substanzen).
->   Psychologische Institut der Universität Würzburg
 
 
 
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01.01.2010