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Fußball als Werkzeug des (Post-)Kolonialismus  
  Die völkerverbindende, friedensstiftende Wirkung des Fußballs wird von seinen Apologeten gerne in den Vordergrund gestellt. Multikulturelle Inszenierungen mit universalistischem Anspruch standen schon bei der Fußball-WM in Frankreich vor vier Jahren im Mittelpunkt, bei der erstmaligen Austragung eines "World Cups" in Asien wird dies nun fortgesetzt. Übersehen wird dabei oft die Geschichte des Fußballs als einer Technik des Kolonialismus und Postkolonialismus, die dazu diente, nationale Identitäten zu konstruieren und Körper zu disziplinieren - wie das Beispiel der historischen Entwicklung in Afrika beweist.  
Soldaten und Missionare
Waren es zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem Soldaten, Matrosen und Siedler die das Spiel mit dem runden Leder in Afrika verbreiteten, so übernahmen diese Aufgabe in den 20er Jahren Missionare, Lehrer und Kolonialbeamte.
Disziplinierung der kolonialen Subjekte
Fußball diente als Methode zur Disziplinierung der "kolonialen Subjekte": Diesen laut der Konstruktion der Kolonialherren "von Natur aus faulen Eingeborenen" wurde so unter anderem Disziplin "beigebracht".

Wissenschaftler bezeichneten die Verbindung der christlichen Botschaft und der moralischen Erziehung auf diesem Wege als "Ethik des muskulären Christentums".
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Teil einer Ringvorlesung der Uni Wien
Kurt Wachter vom Vienna Institute for Development and Cooperation (VIDC) sprach im Rahmen der Ringvorlesung "Global Players. Ökonomie, Politik und Kultur des Fußballs" im April dieses Jahres an der Universität Wien zum Thema " Fußball in Afrika. Vom Kolonialismus zum Postkolonialismus". science.ORF.at bringt in diesem Artikel eine Zusammenfassung des Vortrags, weitere Berichte folgen.
->   VIDC
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Fußball als Beweis der Überlegenheit der Weißen
Dass Fußball ein Mitbringsel des britischen Empire ist, ist an der konkreten Ausbreitung des Spiels rund um den Globus abzulesen. Excelsior heißt der erste afrikanische Fußballklub, der 1903 von Studenten der Government School an der britischen Goldküste (Ghana) gegründet wurde. 1907 folgte Al-Ahly in Ägypten, der vor einem Jahr zum afrikanischen Fußballverein des Jahrhunderts gekürt wurde.

Das britische "Mutterland" begnügt sich nicht damit, die wirtschaftliche, politische und militärische Hegemonie inne zu haben. Fußball dient als weiterer Beweis für die physische und organisatorische Superiorität des Weißen.
->   Mehr dazu in: Wie ein englisches Spiel die Welt eroberte
->   Al-Ahly
Fußballer als Arbeitsmigranten
Mit Ausnahme von Fußball-Weltmeisterschaften wie in diesen Tagen wird der afrikanische Fußball medial kaum wahr genommen. Dabei kann man sich in nahezu jeder europäischen Liga von der Qualität der Fußballer überzeugen: Arbeitsmigration ist das wohl auffälligste Bindeglied zwischen europäischem und afrikanischem Fußball.
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Buchttipps
Zu der Ringvorlesung sind zwei Bücher erschienen:
Michael Fanizadeh, Gerald Hödl and Wolfram Manzenreiter (Hg.): Global Players. Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs. Frankfurt/Wien: Brandes&Apsel/Südwind 2002. ISBN 3-86099-236-8

John Horne und Wolfram Manzenreiter (Hg.): Japan, Korea and the 2002 World Cup. London: Routledge 2002. Pb ISBN 0-415-27563-6
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Erster afrikanischer Profi ...
Diese Arbeitsmigration begann bereits 1889, als der Ghanaer Arthur Wharton als Torhüter des Preston North End FC, einem damaligen britischen Spitzenklub, der erste afrikanische Profifußballer in Europa wurde.

Der in der lokalen Presse als "Othello" titulierte Spieler war zwar sehr erfolgreich, geriet in der offiziellen Geschichtsschreibung des Sports aber in Vergessenheit.
... geriet in Vergessenheit
Und zwar im Gegensatz zu einem anderen nicht-weißen Sportstar des Viktorianischen Zeitalters, des Inders Ranjitsinhji. Der Grund dafür liegt nach Wachter in dessen Sportart und dem damit verbundenen sozialen Status: Während der Inder im elitären Cricket glänzte, war Wharton ein Held des proletarischen Soccers.
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"Legionäre" - damals wie heute
Schon 1938 spielten 147 afrikanische "Legionäre" - d.h. in den Kolonien Geborene - in den beiden obersten Spielklassen Frankreichs. Im Zuge des Algerienkriegs und damit verbundenen neuen Regelungen zum "Ausländerstatus" kam es kurzzeitig zu einer Änderung dieses Bildes. Die Stammvereine der afrikanischen WM-Teilnehmer Senegal, Nigeria oder Kamerun liegen heute aber zu beinahe 100 Prozent in Europa.
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Fußball als Identitätsstifter im Postkolonialismus
Im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung Afrikas und der Neugründung der afrikanischen Staaten kam es zu einer Redefinierung des kolonialen Spiels. Fußball wurde in den urbanen Zentren von den lokalen Eliten angeeignet.

Die Führer des Kampfes um nationale Selbständigkeit erkannten die identitätsstiftende Macht des Fußballs - eine Qualität, die die ethnisch fragmentierten jungen Nationen gebrauchen konnten.

Panafrikanisten wie Kwame Nkrumah in Ghana trieben diese Entwicklung voran - etwa durch die gezielte Förderung der "Black Stars", wie das Nationalteam Ghanas bis heute heißt.
->   CAF
Erst 1970 fixer Startplatz bei der WM
Wurde der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten mit Gründung des kontinentalen Fußballverbandes CAF (Confederation Africaine de Football) 1951 Rechnung getragen - so brauchte die FIFA erheblich länger.

Erst 1970, 40 Jahre nach der ersten WM, erhielt Afrika nach Boykotts und Protesten einen fixen Startplatz vom Weltfußballverband für einen "World Cup" zugesprochen. Der bisherige Höhepunkt aus sportlicher Sicht war die Viertelfinalteilnahme Kameruns im Jahr 1990.
Heutige Probleme: Ökonomische Ungleichheit ...
Hauptproblem heute sind wirtschaftliche, ein Großteil der afrikanischen Spieler wandert in die reichen Ligen Europas ab. Dubiose Spielervermittler, die oftmals minderjährige "Talente" gegen hohe Geldsummen mit vermeintlichen Traumvereinen in Europa zusammen bringen, haftet nicht selten der Geruch von Menschenhändlern an.

Die eklatante ökonomische Ungleichheit zwischen Afrika und Europa wird diese Migration "wie auf einer schiefen Ebene" weiter befördern - daran werden auch die ästhetisch betont multikulturell ausgerichteten Live-Übertragungen aus Japan/Südkorea wenig ändern.
... lässt Talente abwandern
Einzig die Ligen in Südafrika und einiger Länder des Maghreb sind wirtschaftlich potent genug, um der Abwanderung der eigenen Spieler entgegenzutreten.

Einer der Strohhalme für den afrikanischen Fußball, die erhoffte Ausrichtung der WM 2006 in Südafrika, wurde durch den Zuschlag für Deutschland - samt mysteriöser, manche meinen "rassistischer" Vorgänge rund um die Vergabe - zunichte gemacht.

Nun hofft Afrika, die übernächste WM 2010 ausrichten zu dürfen - und von der geplanten Infrastruktur- und anderen Maßnahmen nicht nur hinsichtlich des Fußballs zu profitieren

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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01.01.2010