News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Nervenkrankheit MSA: Mäuse als Modell etabliert  
  Die Multisystemathropie ist eine fortschreitende neurodegenerative Krankheit mit tödlichem Ausgang. Forscher haben nun genetisch modifizierte Mäuse hergestellt, deren Nervenzellen ganz ähnliche Eigenschaften aufweisen, wie das bei betroffenen Patienten der Fall ist. Durch das Maus-Modell sollen neue Medikamente entwickelt und getestet werden. Wissenschaftler der Royal Society warnen indes, dass die Forschung Schaden nehmen könne, wenn transgene Tiere nicht weiterhin als Studienobjekt erlaubt wären.  
Wissenschaftlern der Münchner Ludwig Maximilians Universität ist es gelungen, ein Maus-Modell für die neurologische Erkrankung Multisystemathropie (MSA) herzustellen.

Die Biochemiker schleusten ein Gen in das Erbgut der Nager, das für die Degeneration von erkrankten Nervenzellen verantwortlich zeichnet. Dadurch sollte es in Zukunft möglich sein, effektivere Medikamente zu entwickeln - denn bis dato gibt es für MSA-Patienten keine Aussicht auf Heilung.
...
"Synuclein in transgenic mouse oligodendrocytes"
Der Artikel " Hyperphosphorylation and insolubility of alpha-synuclein in transgenic mouse oligodendrocytes" von Philipp J. Kahle und Mitarbeitern erschien in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "EMBO Reports" (Vol.3, Nr.6, Seiten 583-588, 2002).
->   Zum Abstract des Artikels
...
Variables Krankheitsbild
Die Wahrscheinlichkeit, an MSA zu erkranken, liegt bei etwa vier zu 100.000. Das progressiv verlaufende Leiden umfasst eine Vielzahl von Krankheitsbildern, da die neurodegenerativen Erscheinungen nicht auf eine spezifische Hirnregion beschränkt bleiben.

Die durchschnittliche Überlebenserwartung liegt bei neun Jahren nach Erkrankungsbeginn, allerdings existieren auch Berichte von Patienten, die 15 bis 20 Jahre überlebt haben.
...
MSA - Krankheitstypen
Grundsätzlich werden zwei Typen von MSA unterschieden. Der P-Typ liegt vor, wenn so genannte Parkinson-Symptome vorherrschen: Verlangsamung von Bewegungen (Bradykinese), Steifheit (Rigor) sowie Muskelzittern (Tremor).

Beim C-Typ dominieren so genannte Kleinhirn-Symptome das klinische Bild: Gleichgewichtsstörungen, Gangunsicherheit, Koordinations- und Sprachstörungen. Die Krankheit beginnt üblicherweise ab dem 50. bis 60. Lebensjahr.
...
Molekulare Ursachen
Aus biochemischer Perspektive kann man ein bestimmtes Molekül für die tödlichen Nervenschäden verantwortlich machen. Im Zellplasma spezieller Hirnzellen, den Gliazellen, finden sich krankhafte Einschlüsse, deren Hauptbestandteil ein Protein ist. Das Protein heißt "Alpha-Synuclein" und ist auch an ähnlichen Krankheiten, wie Parkinson und der so genannten Lewy-Demenz, beteiligt.
...
Alpha-Synuclein
Die Synucleine bilden eine Familie von Proteinen, die vor allem in präsynaptischen Nervenzellendigungen zu finden sind. Insgesamt werden drei Formen unterschieden: Alpha-, Beta- und Gamma-Synuclein. Im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen hat das Alpha-Synuclein die größte Bedeutung erlangt. Fälle familiärer Parkinson-Krankheit sind zum Beispiel auf Mutationen im betreffenden Gen zurückzuführen.

Als histologische Hauptveränderung aller MSA-Formen finden sich Einschlüsse im Zellplasma spezifischer Gliazellen, den Oligodendrocyten. Gliazellen übernehmen im gesunden Nervensystem die Rolle der Isolierung und Ernährung der Neuronen.
...
Transgene Mäuse als Modell
Für die bislang unheilbare Krankheit konnte nun Philipp J. Kahle mit seinen Mitarbeitern ein Maus-Modell etablieren. Zu diesem Zweck schleusten die Forscher das menschliche Gen für Alpha-Synuclein in das Erbgut von Mäusen ein.

Es zeigte sich, dass auch in den Gliazellen von Mäusen unlösliche Einschlüsse mit dem Hauptbestandteil Alpha-Synuclein zu finden waren.

Nachdem andere Hirnzellen nicht von dieser degenerativen Veränderung betroffen waren, schließen die Forscher, dass damit die charakteristischen Eigenschaften von MSA simuliert werden konnten.
Fehlendes Symptom
Allerdings fehlte den transgenen Mäusen eine Eigenschaft, die an menschlichen Patienten zu beobachten ist. "Bei Menschen sterben die betroffenen Zellen mit fortschreitendem Alter ab. Dies konnten wir am Maus-Modell noch nicht beobachten", meint Philipp J. Kahle.

"Aber wir sind optimistisch, dass wir in Zukunft auch diesen Aspekt simulieren können. Dann hätten Forscher die Möglichkeit, mehr über die Krankheit zu erfahren und neue Medikamente gegen MSA zu entwickeln", so Kahle.
Zankapfel Versuchstiere
In Großbritannien entbrennt indes ein Disput über die Verwendung genetisch modifizierter Tiere in der Forschung. Krys Bottil, Direktorin des Fund for the Replacement of Animals in Medical Experiments (FRAME), kritisierte im Gespräch mit BBC:

"Unsere Hauptsorge betrifft die Tatsache, dass transgene Tiere mitunter deswegen verwendet werden, weil sie einfach da sind. Das ist vor allem dann abzulehnen, wenn diese Tiere gezüchtet werden, um gewisse Krankheitssymptome zu zeigen - sie werden geboren, um zu leiden."
->   FRAME
Pro und Kontra
Dem hält Patrick Bateson, Vorsitzender der Arbeitsgruppe "GM-Animals" der britischen Royal Society, entgegen: "Wir Wissenschaftler teilen die Anliegen der Bevölkerung, denen zufolge die Verwendung von Versuchstieren strengen Regeln unterworfen sein muss. Aber eine generelle Verminderung würde der Forschung schaden. Denn mit genetisch veränderten Tieren können viele neue Therapien menschlicher Erbkrankheiten erprobt werden."
->   Royal Society: GM animals - pros and cons
Mehr zu diesen Themen in science.ORF.at
->   Weltversuchstiertag: Alternativen zum Tierexperiment
->   Mehr Tierversuche durch neue EU-Chemikalienpolitik?
->   Mäuse mit menschlichen Hirnzellen gezüchtet
->   Morbus Parkinson: Placebo wirkt wie Medikament
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010