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Seriously Deutsch: Die Anglifizierung der Wissenschaft  
  "English is not an international language - broken English is" lautet ein bekanntes Bonmot unter Kongress- und Tagungsteilnehmern. Zwei Fürstreiter der deutschen Sprache meinen, in der Anglifizierung der Wissenschaftssprache Gefahren zu erkennen: Die Kommunikation unter Fachleuten lasse durch mangelnde Englischkenntnisse zu Wünschen übrig - und auch die Kreativität und Wissenschafts-Popularisierung seien abseits der Muttersprache eingeschränkt, so die kritischen Stimmen.  
In einem offenen Brief regten bereits letztes Jahr 39 Wissenschaftler an, Kongresse in Deutschland künftig zweisprachig abzuhalten - und dadurch die "Sprache der Dichter und Denker" offiziell in den Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Die Reaktionen seitens der angesprochenen Kollegen waren indes eher verhalten.
Verlust der Muttersprache?
Ist der Verlust der deutschen Sprache der Preis für die steigende Internationalität in der Wissenschaft? Experten warnen davor, sich auf diesen Handel einzulassen. In der Praxis der meisten deutschsprachigen Wissenschaftler hat sich der Trend zum Wissenschaftsenglisch durchgesetzt.

Wer seinen Forschungsergebnissen internationale Anerkennung verschaffen will, kommt ohne Englisch nicht aus. Immer häufiger werden aber auch wissenschaftliche Veranstaltungen ausschließlich in Englisch abgehalten - sogar, wenn sie sich hauptsächlich an ein deutschsprachiges Publikum richten.
Internationalität des Englischen
Fraglos bietet die englische Sprache Vorteile: Keine andere Sprache kann ihr den ersten Rang als Weltverkehrssprache streitig machen. Sollte Englisch dann nicht auch zur dominierenden Wissenschaftssprache in Deutschland und Österreich werden?

Doch manche Wissenschaftler sehen mit Sorge, wie ihre Landessprache nach und nach von einer Kümmerform des Englischen verdrängt wird, die nur sehr wenig mit der Sprache Shakespeares und Churchills gemein hat.
Linguistic Leitkultur?
"Ist Deutsch als Wissenschaftssprache 'out'?" fragt das Leibniz-Journal in seiner aktuellen Ausgabe die beiden Experten Gerhard Stickel und Hermann H. Dieter.

Ohne die Bedeutung des Englischen im internationalen Austausch schmälern zu wollen, sind sich beide Forscher darin einig, dass Deutsch als eine unter vielen Sprachen der Wissenschaft unverzichtbar ist und bleiben muss.

"Inspiration kommt über die Muttersprache", glaubt Gerhard Stickel, Direktor des zur Leibniz-Gemeinschaft gehörenden Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache (IDS).
->   Leibniz-Journal
->   IDS
Verlust der Ideenvielfalt
Er ist davon überzeugt, dass Fortschritt aus Ideen erwächst, die in der Sprache der Eltern gedacht werden. Stickel fürchtet, dass der Wechsel zum Englischen in der Wissenschaft mit einem Verlust von Ideenvielfalt und Kreativität einhergeht.

Er warnt vor einem zu großen Übergewicht der englischen Sprache in der Wissenschaft. Fremdsprachigkeit schaffe Barrieren, wo Brücken zwischen Gesellschaft und Wissenschaft geschlagen werden müssten.
Englisch radebrechen
Stickel bewertet die Anglophilie vieler seiner Kollegen kritisch und verweist auf eine Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten. Viele Wissenschaftler, so gibt der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache zu bedenken, sprechen und schreiben ein wesentlich schlechteres Englisch, als sie selbst glauben.
"Modeanglizismen"
Hermann H. Dieter, Toxikologe am Umweltbundesamt und Mitglied des Bundesvorstandes des Vereins Deutsche Sprache e.V., sieht einen Grund für die Popularität der englischen Sprache bei den Deutschen selbst: "Keine leistungsfähige Wissenschaftssprache kommt ohne ständigen Rückgriff auf den Wortschatz und die erklärenden Bilder ihrer Muttersprache aus."

Aber die habe sich in den letzen Jahren drastisch verändert. Seine gestrenge Diagnose: "Unsere Sprache strotzt vor Modeanglizismen. Ist es da erstaunlich, dass gerade Wissenschaft, Technik und Ökonomie lieber gleich auf richtiges Englisch setzen?"
->   Verein Deutsche Sprache
Schlechte Wissenschafts-Popularisierung
Dieter setzt dem entgegen, dass Deutsch im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft eine entscheidende Scharnierfunktion übernehme.

Durch die um sich greifende Anglifizierung schneide sich die "scientific community" vom gesellschaftlich-kulturellen Umfeld ab. Sollten Forscher künftig ausschließlich in englischer Sprache kommunizieren, dann würden Wissenschaftsthemen nur noch sehr eingeschränkt in die Gesellschaft Eingang finden.

Und auch der Rückfluss aus der Gesellschaft werde versiegen. Dann drohe ein Verlust von Vielfalt und Innovationskraft. Denn oft erwüchsen neue wissenschaftliche Erkenntnisse schlicht daraus, dass Antworten auf Fragen gesucht werden, "die normale Menschen stellen", so Dieter.
Offener Brief: Zweisprachige Kongresse
Dieter und Stickel stehen nicht allein mit ihren Gedanken und Befürchtungen: In einem offenen Brief an alle Kultus-, Bildungs- und Wissenschaftsminister der sechzehn deutschen Bundesländer mahnten bereits im vergangenen Jahr 39 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen die Sicherung und den Ausbau von Deutsch als Wissenschaftssprache an.

Sie regten an, internationale Kongresse in Deutschland grundsätzlich zweisprachig abzuhalten und Deutsch neben Englisch immer als offizielle Sprache festzulegen. Die Initiative fand allerdings nur ein mäßiges Echo.
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Englisch ist in EU die vorherrschende Zweitsprache
->   Eurozine: Mehrsprachige Web-Kulturzeitschrift
->   Deutsch als Wissenschaftssprache
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01.01.2010