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"Gen-Inseln" machen Krankenhauskeime resistent  
  Immer häufiger zeigen sich Bakterien gegen die gängigsten und wirkungsstärksten Antibiotika resistent - ein Problem, mit dem vor allem Spitäler zu kämpfen haben. Denn die so genannten "Krankenhauskeime" können gefährliche Infektionen hervorrufen, bei Intensivpatienten enden diese manchmal tödlich. Nun sind Forscher der effektiven Bekämpfung dieser Erreger einen Schritt näher gekommen: Sie entdeckten eine "Gen-Insel", die für die Resistenz verantwortlich sein könnte.  
Ein Forscherteam der University of Oklahoma hat einen der gefährlichsten Bakterienstämme mit einem harmlosen Verwandten aus dem menschlichen Darm verglichen.

Dabei entdeckten die Wissenschaftler Mutationen in der DNA des Erregers, die für die gefährlichen Resistenzen verantwortlich sein könnten. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher im Fachmagazin "Nature".
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"Modulation of virulence within a pathogenicity island"
Der Artikel "Modulation of virulence within a pathogenicity island in vancomycin-resistant Enterococcus faecalis" ist erschienen in "Nature", Bd. 417, Seiten 746 - 750, vom 13. Juni 2002.
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
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Tödliche Infektionen durch Krankenhauskeime
Krankenhauskeime sind multi-resistente Erreger, gegen die kaum ein gängiges Antibiotikum noch hilft. Bei Patienten mit einem stark geschwächten Immunsystem kann eine solche Infektion tödlich verlaufen.

Michael Gilmore vom Department of Microbiology & Immunology der University of Oklahoma hat nun zusammen mit seinen Kollegen das Bakterium Enterococcus faecalis genauer unter die Lupe genommen.

Der Erreger verursacht Infektionen des urinalen Traktes, kann jedoch auch Operationswunden befallen und zu lebensgefährlichen Blutinfektionen führen. 1980 führten etwa gegen das Antibiotikum Vancomycin resistente Stämme zu einer Infektionswelle in einem US-Krankenhaus.
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Vancomycin - Letzte Hoffnung der Medizin
Das ist insofern von besonderer Bedeutung, weil Vancomycin als "Reserve-Antibiotikum" der Medizin gilt: In Spitälern kommt es dann zum Einsatz, wenn alle anderen Antibiotika versagen, da die Keime bereits resistent gegen diese Mittel sind. Patienten der Intensivstationen erhalten Vancomycin bei schweren Infektionen wie Sepsis oder Lungenentzündung.
->   Mehr Informationen zu Vancomycin
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DNA macht Enterococcus faecalis so gefährlich
Im Vergleich mit seinem harmlosen Verwandten, dem Darmbakterium Enterococcus faecium - Michael Gilmore spricht von einem "bakteriellen Jekyll und Hyde" -, kamen die Wissenschaftler schließlich dem Geheimnis des lebensgefährlichen Erregers auf die Spur.

Innerhalb der bakteriellen DNA konnten die Forscher ein von ihnen als "Pathogenitäts-Insel" bezeichnetes DNA-Stück identifizieren. Einige der dort liegenden 150 Gene sind möglicherweise auch für die Entwicklung von Resistenzen verantwortlich.
Schlüsselrolle bei Infektionen
Die Gene kodieren nach Angaben der Forscher beispielsweise für ein Toxin, das Zellwände durchbricht. Andere wiederum sind für Moleküle verantwortlich, die dem Bakterium dabei helfen, an Oberflächen zu haften. Beides Eigenschaften, die eine Schlüsselrolle bei Infektionen durch Enterococcus faecalis spielen.

Ähnliche DNA-Stränge wurden bereits in anderen gefährlichen Bakterien-Stämmen, die normalerweise ebenfalls harmlos sind, gefunden. Doch wie die Wissenschaftler erklären, geben Bakterien solche "Informationen" - in Form von DNA - weiter. Dies kann auch zwischen verschiedenen Arten geschehen.

Gilmore und sein Team untersuchten zwei verschiedene Stämme von Enterococcus faecalis - und fanden tatsächlich beide Male sehr ähnliche Patogenitäts-Inseln. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass die DNA von einem Stamm auf den anderen übergegangen war.
Neuer Ansatzpunkt für Bekämpfung
Die Forscher hoffen nun, mit Hilfe ihrer Ergebnisse alternative Methoden zur Bekämpfung der Bakterien entwickeln zu können - die möglichst ohne Antibiotika auskommen sollen.

Die "Insel" enthält nämlich auch Gene, welche sich nur in den gefährlichen Stämmen des Erregers finden. Genau hier könnten in Zukunft Medikamente oder Impfstoffe ansetzen, ohne das harmlose und notwendige Darmbakterium anzugreifen.
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Keine Antibiotika in der Tiermast - keine Resistenzen?
Die Zunahme von Antibiotika-Resistenzen bei Infektionserregern hat nach Meinung der meisten Experten hauptsächlich mit dem unkontrollierten Einsatz von Antibiotika zu tun - beispielsweise auch in der Tiermast: Die Dosis ist so gering, dass Krankheitskeime nicht abgetötet werden. Doch Rinder, Schweine oder Geflügel nehmen um fünf bis 15 Prozent schneller zu und verbrauchen gleichzeitig weniger Futter.

Eine belgische Studie stützt diese Theorie: Seitdem die Beigabe eines mit Vancomycin verwandten Antibiotikums im Tierfutter EU-weit untersagt wurde, sind entsprechende resistente Keime beim Menschen drastisch zurückgegangen, so das Ergebnis der belgischen Wissenschaftler. Die EU berät gegenwärtig noch darüber, auch die letzten vier noch zugelassenen Antibiotika in der Tiermast zu verbieten.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
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Immense Kosten durch Resistenzen
Dass eine Strategie zur Bekämpfung der Resistenz-Zunahme dringend notwendig ist, zeigt im Übrigen schon ein Blick auf die dadurch im Gesundheitssystem anfallenden Kosten.

Alleine in den USA werden durch die resistenten Keime nach Schätzungen vier bis fünf Milliarden Dollar zusätzlich pro Jahr benötigt - in Europa dürften die Ausgaben etwa gleich hoch liegen.

Alleine in Österreich etwa sind nach Expertenschätzungen rund ein Viertel aller Staphylokokken-Stämme - besonders weit verbreitete Infektionserreger - mittlerweile gegen herkömmliche Antibiotika-Therapien resistent.
Wettlauf mit den Erregern
Der Kampf gegen die Resistenzen gleicht allerdings einem Wettlauf. Denn sobald Erreger von Infektionskrankheiten medikamentös bekämpft werden, beginnen diese die Entwicklung von Resistenzmechanismen.

In den vergangenen Jahren sind diese Resistenzen allerdings so sprunghaft gestiegen, dass inzwischen sowohl WHO als auch EU Resolutionen verabschiedet haben, in denen sie vor dem globalen Gesundheitsproblem durch resistente Erreger warnen.
->   Department of Microbiology & Immunology der University of Oklahoma
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   "Young Science" Auf der Spur neuer Antibiotika
->   Neuer Weg der Resistenz-Übertragung entdeckt?
->   Weltweite Zunahme von Antibiotika-Resistenzen
->   Österreich-Studie zu Bakterien-Resistenzen
 
 
 
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01.01.2010