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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
Hormonell wirksame Stoffe im heimischen Wasser?  
  Ursache für eine in England beobachtete "Verweiblichung" männlicher Fische sind Industriechemikalien, die wie Sexualhormone wirken. Nun werden heftige Diskussionen um diese Substanzen geführt - auch Österreichs Gewässer werden unter die Lupe genommen.  
Österreichische Wissenschaftler haben deshalb ein ehrgeiziges Projekt gestartet. Seit knapp eineinhalb Jahren sind zwölf Forschungseinrichtungen dabei herauszufinden, ob das heimische Trink- und Klärwasser mit so genannten Xenohormonen verseucht ist. Mitte 2003 soll das Projekt abgeschlossen sein.
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Xenohormone
Xenohormone sind Umweltchemikalien mit hormoneller Wirkung. Sie gelangen durch menschliche Aktivitäten in die Umwelt und greifen in die Funktionskreise des Hormonsystems ein. Die Effekte können sowohl androgener als auch östrogener Wirkung sein und zwar bereits in sehr niedrigen Konzentrationen.

Zu dieser Gruppe zählen Industriechemikalien und deren Abbauprodukte wie zum Beispiel chlorierte Pestizide, synthetische in Arzneimitteln verabreichte Hormone und natürliche Hormone menschlicher, tierischer oder pflanzlicher Herkunft. Xenohormone weisen ein hohes Produktionsvolumen, vielfältige Anwendungsgebiete, weite Verbreitung aber relativ geringe Abbaubarkeit auf.
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Fische als Messinstrumente
Die Forscher haben dafür ein neuartiges und vor allem lebendiges Messinstrument entwickelt, das viel genauer misst als jedes Hightechgerät.

Der kleine unscheinbare Aitel, ein Fisch, der in allen europäischen Gewässern heimisch ist, soll helfen festzustellen, ob das Wasser aus Kläranlagen und das Trinkwasser in Trinkwasseraufbereitungsanlagen frei von hormonell wirksamen Substanzen sind.
Vom Fluss ins Labor
Bevor Abwasser in den Fluss strömt, macht es einen bedeutenden Umweg - über die Kläranlage. Genau an der Mündungsstelle, wo das gereinigte Wasser von der Kläranlage in den Fluss fließt, werden Fische elektrisch betäubt und abgefischt.

Ihr Job ist es aufzuzeigen, ob im Flusswasser Spuren von östrogen wirksamen Substanzen vorhanden sind. Wenn ja, gibt es mehrere Quellen: Entweder aus der Kläranlage, aus pflanzlichen Östrogenen oder aus landwirtschaftlichem Einsatz.
"Dotterhormon" zeigt Verweiblichung
Um geeignete "Vergleichsinstrumente" zu haben, werden Aitel im Labor gezüchtet und während eines bestimmten Zeitraums mit einer gewissen Menge an östrogen wirksamen Industriechemikalien konfrontiert.

Die männlichen Fische produzieren nun ein Dotterhormon, wie es eigentlich nur bei weiblichen erwachsenen Fischen vorkommt - sie verweiblichen. Damit steht fest ab welcher Konzentration östrogen wirksame Substanzen tatsächlich auf diese Weise wirken.
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Der Weg durch die Kläranlage
Im Belebungsbecken der Kläranlage findet die eigentliche Reinigung des Abwassers statt. Bakterien stürzen sich über die braune brodelnde Brühe wie über ein reichhaltiges Buffet. Aber nicht alles, was da angerichtet ist, wird auch aufgefressen.

Rund 150 Umweltchemikalien zählen zu den östrogen wirksamen Substanzen: Dazu gehören menschliche und tierische Östrogene, künstliche, wie das der Antibabypille und pflanzliche Östrogene. Und nicht zuletzt jene Industriechemikalien mit ihrer fatalen Wirkung.

Kleinsten Konzentrationen dieser riesigen Menge an hormonellen Stoffen gelingt es wahrscheinlich doch, sich dem chemischen Reinigungsprozess in der Kläranlage zu entziehen. Und von dort gelangen sie in die Gewässer. Aber neuerdings nicht mehr unbemerkt.
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Aitel im verdünnten Klärwasser
Für einige Wochen schwimmen frisch und munter ein paar Aitel im geklärten Wasser herum. Die Fische, die vorher im Fluss gefischt wurden, leben nach einer kurzen "Erholungs- und Neutralisierungsphase" im Labor - im hochverdünnten Wasser der Kläranlage.

Sie werden nach diesem Einsatz genau untersucht, vermessen und anschließend mit den hormonell präparierten Fischen aus dem Labor verglichen werden.
Suche nach dem verweiblichenden Protein
Um mögliche Veränderungen des Geschlechts feststellen zu können, werden auch Leber und Geschlechtsdrüsen (Gonaden) geprüft. Was aber vor allem gesucht wird, ist das Dotterprotein im Blut der männlichen Fische aus dem geklärten Wasser der Kläranlage.

In aufwendigen histologischen Untersuchungen unter dem Mikroskop lässt sich genau erkennen, ob es zu Veränderungen in den Geschlechtsdrüsen gekommen ist.

All diese Untersuchungen beantworten letztlich eine Frage: Sind die verdächtigen Substanzen tatsächlich vorhanden? Und wenn ja, sind sie in solchen Konzentrationen vorhanden, dass sie zu messbaren Veränderungen an den Fischen führen?
Männliche Aitel - oder Zwitterwesen?
Bleiben die männlichen Aitel aus dem geklärten Wasser voll geschlechtsfähig und unversehrt, so gelangen keine hormonell wirksamen Stoffe aus der Kläranlage in die Umwelt und wenn doch, dann in kleinsten, unschädlichen Mengen.Fsl
Auch das Trinkwasser wird geprüft
Mit den Fischen in der Kläranlage ist es somit gelungen, ein geeignetes Mess- und Kontrollinstrument für die Qualität des Klärwassers und des nahen Flusswassers zu finden. Aitel sind aber auch im Einsatz, wenn es um das Trinkwasser geht.

Hormonell wirksame Schadstoffe in gesundheitsschädlichen Konzentrationen werden auch hier nicht erwartet, aber man möchte sich absichern. In Modellversuchen wird vorbeugend untersucht, ob und wie diese Stoffe auf die chemische Trinkwasseraufbereitung reagieren.

Martina Schmidt, Modern Times
Mehr zu diesem Thema am Freitag (14. Juni 2002) in Modern Times, 22.35 Uhr, ORF 2
->   Modern Times
 
 
 
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01.01.2010