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Chemische Gleichungen für Asteroiden-Bahnen  
  Asteroiden und Kometen fliegen auf verschlungenen Bahnen durch das All. Berechnungen zu ihren Routen rund um Planeten und Sterne sind schwierig und beruhen meist auf hochkomplexen Computermodellen. In den USA hat sich nun ein ungewöhnliches Team zusammengefunden - Chemiker und Astrophysiker entwickelten gemeinsam eine neue Methode, die diese Berechnungen vereinfachen könnte: Dem Modell zugrunde liegt eine chemische Reaktionsgleichung.  
Dabei beruhte die Zusammenarbeit der beiden Forscherteams auf einem skurrilen Zufall, wie die American Physical Society berichtet, in deren Fachmagazin "Physical Review Letters" die Wissenschaftler ihre Ergebnisse nun präsentieren.
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"Statistical Theory of Asteroid Escape Rates"
Der Artikel "Statistical Theory of Asteroid Escape Rates" der beiden Wissenschaftlergruppen wurde online bereits veröffentlicht und wird in der nächsten Print-Ausgabe der "Physical Review Letters", Bd. 89 vom 1. Juli 2002 erscheinen.
->   Abstract des Artikels
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"Gestohlene Gleichungen"
Als nämlich Charles Jaffe, Chemiker an der West Virginia University, einen Bericht von Physikern des California Institute of Technology (CIT) betrachtete, in dem es um Bahnberechnungen des Kometen Oterma ging, war er überrascht von der Ähnlichkeit zu seinen eigenen Gleichungen.
Moleküle und Kometenbahnen
"Es sah aus, als ob sie einige unserer Gleichungen gestohlen hätten", erinnert sich Jaffe. Sein Team hatte kurz zuvor Studienergebnisse publiziert, in denen es um die verschiedenen Stadien eines Moleküls während einer chemischen Reaktion ging.

Jerry Masden dagegen, Physiker am CIT, hatte zusammen mit Kollegen Berechnungen zur Flugbahn des Kometen Oterma angestellt, die immer wieder wechselt: Einmal liegt sie innerhalb des Orbits des Planeten Jupiter, dann wieder außerhalb.
->   3D-Simulation der NASA zur gegenwärtigen Bahn von Oterma
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Zwei Teams - gleicher Ansatz
Um den Übergang zu bewerkstelligen, passiert der Komet eine Stelle, die als Lagrange- oder Librations-Punkt bezeichnet wird: Hier befindet sich ein kleiner Körper wie der Komet im Gleichgewicht mit den Bahnen zwei großer Körper - Anziehungs- und Fliehkräfte sind also aufgehoben. Die Astrophysiker um Jerry Masden hatten herausgefunden, dass sie den komplizierten Bahnwechsel des Oterma mathematisch beschreiben konnten, indem sie eine Grenzlinie zwischen Anfangs- und Endstadium der Kometenbahn einführten.

Das Chemikerteam dagegen hatte ionisierte Atome untersucht und die konventionelle Theorie zum Übergangszustand eines Moleküls während des Wechsels vom Reaktant zum Produkt einer chemischen Reaktion ausgeweitet. Was recht unterschiedlich klingt, beruhte dennoch - wie Jaffe berichtet - auf dem gleichen Ansatz, den auch die Astrophysiker für die Lösung ihres Problemes verwendet hatten.
->   Mehr Informationen zum Lagrange-Punkt
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Der Mars im Blickpunkt
Die Ähnlichkeit beider Studienansätze führte schließlich zu der ungewöhnlichen Kooperation - zusammen mit den Chemikern nahmen sich die CIT-Wissenschaftler noch komplizierterer astrophysischer Szenarien an.

Über erste Ergebnisse berichten die beiden Forscherteams nun in den "Physical Review Letters": Objekt der gemeinsamen Forschungen waren die rund um den Planeten Mars kreisenden Asteroiden, deren Bahnwechsel (bzw. die Häufigkeit derselben) sie mit Hilfe einer chemischen Reaktionsgleichung berechneten.
Vergleich zeigt den Erfolg
Wie das Team schreibt, zeigte ein Vergleich mit den gängigen numerischen Simulationen eine Abweichung von lediglich einem Prozent - ein selbst für die Forscher überraschender Erfolg ihrer Methode, die damit ihrer Ansicht nach einen simplen Ersatz für die bisher aufwändigen Berechnungen bieten könnte.
Anwendung auf alle Objekte im Weltall?
Die Forscher glauben, dass dieser Mechanismus auf alle möglichen Objekte angewendet werden könnte, die im All kreisen - von Kometen über Asteroiden bis hin zu Weltraumsonden.

Wie Marsden etwa erläutert, könnten die Berechnungen auf die laufende Genesis-Mission der NASA umgelegt werden. Die Sonde sammelt Partikel aus den Solarwinden und macht sich dabei ähnliche Librationspunkte zu Nutze wie etwa Omerta bei seinen Bahnwechseln.
Kritik am Ansatz: Zu simpel
Es gibt allerdings bereits kritische Stimmen zu den Ergebnissen des chemisch-astrophysischen Gemeinschaftsunternehmens: Martin Duncan, Astrophysiker an der Queen's University im kanadischen Kingston glaubt beispielsweise nicht, dass die Theorie sich auf komplizierte Weltallregionen anwenden lässt.

Seiner Meinung nach sind Bereiche wie der Kuiper-Gürtel (eine Häufung von Kometen knapp hinter dem Planeten Neptun), die sich durch eine relativ große Menge an "Trümmern" auszeichnen, für die Methode zu komplex.
Eine Methode für die Zukunft?
Das Team um Jaffe und Marsden gibt selbst zu, dass die Technik für so "reale Probleme" wie die Berechnung zu Asteroiden nahe der Erde noch nicht reif ist. Doch die Wissenschaftler glauben, dass in Zukunft genau dies erreicht werden könnte.

So meint Marsden zum Vergleich mit Computersimulationen: "Die Theorie beginnt, sehr viel tiefere Einblicke in die Bewegungen von Kometen und Asteroiden zu liefern - und zu allen möglichen Dingen, die im Sonnensystem herumschweben."
Mehr zu Kometen und Asteroiden im science.ORF.at-Archiv
->   "Physical Review Letters"
->   American Physical Society
->   West Virginia University
->   California Institute of Technology
 
 
 
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01.01.2010