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Adulte Stammzellen: Vielseitiges Entwicklungspotenzial nachgewiesen  
  Stammzellen aus dem Knochenmark können sich zu fast allen Gewebearten des Körpers wie Nerven-, Muskel- oder Leberzellen entwickeln. Diese in Tierversuchen gefundene Ergebnisse beschreibt ein US-Forscherteam um Catherine Verfaillie von der Universität Minnesota. Damit verbunden ist die Hoffnung, künftig körpereigene Zellen zur Züchtung von Gewebe, Organen und dem Heilen von Krankheiten zu verwenden, wie auch die Forschung an den umstrittenen embryonalen Stammzellen überflüssig zu machen. Denn bisher waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass nur embryonale Stammzellen diese Vielseitigkeit besitzen.  
Catherine Verfaillie und ihr Team hatten bereits Anfang dieses Jahres ihre Entdeckung angedeutet, sich jedoch mit wissenschaftlichen Publikationen zurückgehalten.

Neben dem eigenen Anspruch, nur abgesicherte Ergebnisse zu veröffentlichen, wurden auch kommerziellen Beweggründe vermutet - entsprechende Patentanträge für die neue Zelle wurden bereits damals eingereicht.

Nun, nach Prüfung durch ein Expertengremium, wurden die Ergebnisse der Arbeit im Forschungsmagazin "Nature" veröffentlicht.
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Die Ergebnisse der Studie wurden unter dem Titel "Pluripotency of mesenchymal stem cells derived from adult marrow" im britischen Fachmagazin "Nature", Bd. 417, doi:10.1038/nature00870
(20. Juni 2002), online veröffentlicht.
->   Der Artikel (kostenpflichtig)
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Seltene Zellsorte identifiziert
"Wir haben eine seltene Zellsorte unter humanen mesenchymalen Knochenmarkzellen identifiziert, die man mehr als 80 Mal vermehren kann. Diese Zellen entwickeln sich nicht nur in mesenchymale Zellen, sondern auch zu Zellen des Endothels und des Endoderms", schreiben Verfaillie und ihre Co-Autoren. Bisher wurde eine solche Fähigkeit ausschließlich den embryonalen Stammzellen zugeschrieben.

Allerdings, so schränken die Forscher ein, seien noch viele Tests nötig, um das Potenzial dieser so genannten multipotenten adulten Vorläuferzellen (Multipotent Adult Progenitor Cells/MAPC) aus dem Knochemark genau zu untersuchen.
Adulte Stammzellen - unbegrenzte Möglichkeiten?
Doch was Wissenschaftler wie der Vorsitzende der österreichischen Bioethik-Kommission, Johannes Huber, seit längerem erwartet haben, dürfte wirklich der Fall sein: Auch adulte Stammzellen besitzen offenbar noch eine Plastizität, welche an die embryonalen Stammzellen heran reicht.
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Embryonale und adulte Stammzellen
Embryonale Stammzellen sind Stammzellen von Embryonen im so genannten Blastozytenstadium. Sie können sich unentwegt weiter teilen und im Körper noch zu mehr als 200 Geweben heranwachsen. Die Zellen werden unter anderem aus überzähligen Embryonen gewonnen, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung entstehen und nicht mehr für eine Schwangerschaft benötigt werden.

Adulte Stammzellen finden sich in mehreren Organen und im Knochenmark von Erwachsenen. Sie sind teilungsfähige Zellen, können sich im Vergleich zu embryonalen Stammzellen aber eigentlich nur begrenzt vermehren und in andere Gewebe entwickeln. Zum Einsatz dieser adulten Stammzellen gibt es keine ethischen Bedenken.
->   science.ORF.at: Die ethisch unbedenkliche Stammzelle
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Verschiedene Gewebearten aus Knochenmarkzellen
Die US-Wissenschafter kultivierten jedenfalls Knochenmarkzellen von Mäusen und Ratten aus der mesenchymalen Zell-Linie. Laborversuche zeigten, dass sich einige der so gewonnenen Zellen unbegrenzt teilen - sie wachsen, ohne zu altern.

Des Weiteren injizierten die Wissenschaftler die Zellen aus Ratten in Mäuseembryos. Dabei wies das Team nach, dass sich die adulten Stammzellen aus dem Knochenmark in die meisten - wenn nicht gar alle - Gewebearten der Maus entwickelten.

So konnten die Wissenschaftler etwa nachweisen, dass aus den hinzu gefügten adulten Stammzellen nicht nur Knochen-, Fett- und Muskelzellen entstanden, sondern dass diese Zellen auch zu anderen Gewebetypen der Tiere beitrugen.
Ähnliche Kapazität wie jene der embryonalen Stammzellen
"Bei einigen der Tiere stammten bis zu 40 Prozent der Zellen von den Knochenmarkzellen ab. Das deutet darauf hin, dass sie zur Entstehung einer ganzen Reihe von verschiedenen Organen beitrugen. Das ist ganz ähnlich der Kapazität, die man von embryonalen Stammzellen erwartet", erklärte die Wissenschaftlerin.
Vorteil: Keine Bildung embryonaler Krebstumore
Doch die multipotenten adulten Vorläuferzellen könnten sogar Vorteile gegenüber embryonalen Stammzellen besitzen: Ihnen geht offenbar die Fähigkeit ab, embryonale Krebstumore (Teratome) zu bilden.
"Wissenschaftlicher und ethischer Durchbruch"
Für den Vorsitzenden der österreichischen Bioethik-Kommission, Johannes Huber, stellen die Ergebnisse der US-Forscher einen "wissenschaftlichen und ethischen Durchbruch" dar.

Anlässlich der Ergebnisse übt Huber aber auch scharfe Kritik an der bisherigen Stammzellen-Politik der EU. Ihm sei immer unverständlich gewesen, dass Wissenschaftler und die Brüsseler Forschungspolitik das Potenzial der adulten Stammzellen ignoriert hätten.

"EU-Forschungskommissar Philippe Busquin hat sich offensichtlich bei den Wissenschaftern viel zu wenig erkundigt", spart Huber auch nicht an Kritik an der höchsten politischen EU-Ebene.
Mangelndes Interesse der EU an adulten Stammzellen?
"Ich hatte den Eindruck, dass adulte Stammzellen aus welchen Gründen auch immer für diese Herrschaften überhaupt nicht existent waren", sagte Huber, der nun, nach Veröffentlichung der neuen Forschungsergebnisse, gerne die Meinung jener hören würde, die auf europäischer Ebene immer nur das embryonale Stammzellen-Programm forciert hätten.

Es sei auch für den Nichtmediziner leicht nachvollziehbar, dass adulte Stammzellen interessanter seien als jene, die aus Embryos gewonnen werden: "Wenn das Ziel der Gewebsersatz ist, dann ist der Weg zum fertigen Organ viel näher, wenn ich schon bei einer ausdifferenzierten Zelle anfange, die aber noch die Möglichkeit hat, viel zu machen, und nicht beim Embryo beginne, von wo es eine lange Reise ist", so Huber.
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01.01.2010