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Bessere Unterkünfte für Flüchtlinge  
  Wissenschaftler der Universität Cambridge in England haben ein winterfestes Flüchtlingszelt entwickelt, das die Zahl der Todesfälle in Flüchtlingslagern drastisch reduzieren könnte. Im kommenden Winter soll es in Afghanistan getestet werden.  
In einem ersten Schritt haben die Forscher von "Shelterproject" eine Isolierschicht für die bestehenden Zelte des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, UNHCR, entwickelt.
Watte für den Winter
Bild: Shelterproject/ Findlay Kember
Tom Corsellis, Rachel Battilana und Allan McRobie von Shelterproject mit dem Isolierzelt.
Die Isolierung besteht aus Polyesterwatte, die an den Außenseiten von einem Gewebe zusammengehalten wird, das wasserfest, atmungsaktiv und feuerfest ist.

Das Material wird üblicherweise für die Isolierung von Dächern verwendet. Aus der Watte wurde ein Innenzelt genäht, das schnell und einfach in das UNHCR-Zelt eingehängt werden kann.

Tests in der Klimakammer haben ergeben, dass die Isolierschicht selbst bei minus 20 Grad und Windstärke sechs das Zelt vor zu starker Auskühlung schützen kann.

Für das winterfeste Zelt braucht man damit nur etwa ein Viertel des Heizmaterials, das notwendig ist, um in einem nicht isolierten Zelt mindestens 15 Grad Innentemperatur zu erreichen.
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Todbringende Kälte
50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung. Viele von ihnen können oft nur notdürftig in Zeltlagern untergebracht werden. In kalten Regionen wie in Afghanistan oder im Kosovo bietet ein Zelt im Winter jedoch keinen ausreichenden Schutz.

Bei minus 20 Grad und heftigen Stürmen herrschen in einem Zelt oft nur wenige Plusgrade. Viele Flüchtlinge sterben deshalb an den Folgen von Lungenentzündungen und Erkältungskrankheiten. Flüchtlingszelte können zwar beheizt werden, doch in vielen Regionen, in denen Flüchtlinge leben, ist Heizmaterial knapp oder sehr teuer.
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Geringere Heizkosten: Mehr Geld für andere Hilfsgüter
"Bei meinen Einsätzen in Flüchtlingslagern habe ich gesehen, wie die Menschen alles im Umkreis des Lagers abgeholzt haben, um Kochen und Heizen zu können", erzählt Tom Corsellis von "Shelterproject".

Wie Corsellist weiter erläutert, wird dadurch nicht nur die Natur zerstört - und damit die Lebensgrundlage für die örtliche Bevölkerung: "Die Hilfsorganisationen geben außerdem viel Geld für Brennmaterial aus, das oft von weit her transportiert werden muss. Wenn wir 75 Prozent Heizmaterial einsparen können, steht das Geld statt dessen für Lebensmittel, Wasser oder Medikamente zur Verfügung."

Das winterfeste Zelt soll im kommenden Winter in einem Flüchtlingslager in Afghanistan getestet werden. Dabei wollen die Wissenschaftler der herausfinden, ob das Zelt tatsächlich den Anforderungen standhält und den Bedürfnissen der Flüchtlinge entspricht.
Neue Prototypen entwickelt
Neben der Entwicklung der winterfesten Innenhaut für das UNHCR-Zelt haben die Mitarbeiter von "Shelterproject" aber auch generell über den Bau von Flüchtlingsunterkünften nachgedacht und verschiedene Prototypen entwickelt.

Ziel dieser Arbeit ist es, billige Unterkünfte zu schaffen, die schnell und einfach aufgebaut werden können, lange haltbar sind und rasch in beliebiger Zahl zur Verfügung stehen.
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Ein Zelt in Tunnelform
Aufbauend auf dem Flüchtlingszelt der britischen Hilfsorganisation "Oxfam" haben sie aus Standard-Industriematerial ein Zelt in Tunnelform gebaut. Zu einem Halbkreis gebogene Wasserrohre aus Plastik bilden das Gerüst. Verbunden wird es mit Eisenstangen, die üblicherweise zur Bewährung von Beton verwendet werden. Diese Konstruktion wird mit Kunststoffseilen verspannt und mit einer starken Plastikplane überzogen. Die Plane kommt ebenfalls aus der Bauindustrie und dient normalerweise zur Verkleidung von Baugerüsten.
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Viele Vorteile
Die verwendeten Materialien sind länger haltbar als das Baumwoll-Segeltuch, aus dem Zelte üblicherweise gemacht werden. Außerdem sind sie leicht und können fast überall vor Ort gekauft werden, was Transportkosten spart.

Das "Tunnel-Zelt" ist einfach und mit wenig Werkzeug aufzubauen und kann je nach Bedarf in verschiedenen Größen errichtet werden. Ein weiterer Vorteil dieses Zeltes ist, dass das Material jederzeit umfunktioniert werden kann. Aus dem Zelt könnte später ein Dach werden, das auf eine gemauerte Wand aufgesetzt wird.

Wenn die Flüchtlinge nach Hause zurückkehren, können sie die Bestandteile des Zeltes verkaufen oder mitnehmen und daheim für den Wiederaufbau ihrer Häuser verwenden.
Hilfe für die Helfer
Weil Flüchtlinge oft jahrelang in Lagern leben müssen, bevor sie nach Hause zurückkehren können oder eine neue Heimat finden, wollen die Wissenschafter aus Cambridge jetzt auch grundlegende Richtlinien für Flüchtlingsunterkünfte entwickeln. Dabei wollen sie vor allem klären, welche Unterkünfte für welche Situation am besten geeignet sind.
Flexibler Einsatz in Notsituationen
Die Möglichkeiten sind vielfältig: Unterbringung bei Gastfamilien, in öffentlichen Gebäuden, provisorischer Wiederaufbau von zerstörten Häusern oder die Schaffung von einfachen festen Unterkünften.

Hilfsorganisationen wie UNHCR, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und Rotem Halbmond oder Oxfam sollen damit eine wissenschaftliche Basis für ihre Arbeit erhalten, die den raschen und richtigen Einsatz in Notsituationen erleichtert. "Shelterproject" wird bei dieser Arbeit auch von einem Forschungsfond der britischen Regierung unterstützt

Ein Beitrag von Sonja Bettel für die Sendung "Modern Times" am 21. Juni um 22.35 Uhr in ORF 2
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01.01.2010