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''J.League'': Musterbeispiel einer Produkteinführung  
  Mitveranstalter Japan ist bei der Fußball-WM zwar im Achtelfinale ausgeschieden. Die gezeigte Begeisterung der einheimischen Bevölkerung könnte dem Sport, der bislang im Schatten des Baseballs stand, aber endgültig zum Durchbruch verhelfen. Damit wäre erreicht, was seit Einführung einer Profiliga 1993 ausdrückliches Ziel war - die "J.League" ist insofern nicht nur für Sportwissenschaftler von Interesse, sondern stellt geradezu ein betriebswissenschaftliches Musterbeispiel einer erfolgreichen Produkteinführung dar.  
Als am 15. Mai 1993 im Spiel zwischen Yokohama Marinos und Verdy Kawasaki vor 60.000 Zuschauern in Tokyo der offizielle Anpfiff zur J.League erfolgte, waren drei Ziele klar: Zum einen sollte sich der Profi-Fußball in Japan zu einer wirtschaftlich rentablen Sache entwickeln, zum zweiten eine Stärkung des Nationalteams erreicht werden. Und zum dritten sollte die Kandidatur zur Ausrichtung der Fußball-WM 2002 erfolgreich sein.

Den Weg zum Erreichen aller dieser drei Ziele zeichnete vor kurzem Wolfram Manzenreiter nach, Professor am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien.
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Teil einer Ringvorlesung der Uni Wien
Wolfram Manzenreiter, Professor an der Abteilung für Japanologie am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien, sprach im Rahmen der Ringvorlesung "Global Players. Ökonomie, Politik und Kultur des Fußballs" im Juni dieses Jahres an der Uni Wien zum Thema "Japan und der Fußball im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit". science.ORF.at bringt in diesem Artikel eine Zusammenfassung des Vortrags.
->   Abteilung für Japanologie am Institut für Ostasienwissenschaften Uni Wien
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Marktanalyse und Drei-Phasen-Einführung
Bei der Einführung des Produkts "J.League" wurde nichts dem Zufall überlassen: Hakuhodo, die zweitgrößte Marketingagentur des Landes, führte eine großformatige Marktanalyse durch, die das Potenzial eines professionellen Sportbetriebs ermitteln sollte - mit erfolgsverheißenden Ergebnissen. Danach wurde die Liga in einem Drei-Phasen-Modell installiert.

In der ersten Phase (ab 1989) wurde vor allem der Markenname der J.League popularisiert, aber auch die finanzielle Basis des Unterfangens abgesichert. Exklusivverträge mit Hauptsponsoren für das Unternehmen J.League und offiziellen Sponsoren für die Veranstaltungen wurden abgeschlossen.
Neue Zielgruppe: Junge Frauen
Phase zwei begann 1992 mit der Vorstellung der nominierten Teams und ihrer Trikots in der Öffentlichkeit. Wie Manzenreiter in dem parallel zur Ringvorlesung erschienenen Buch schreibt, zielte die Marketingstrategie von Anfang an auf die Kaufkraft einer Klientel, die traditionell weniger mit Fußball zu tun hatte: Junge Frauen in den Zwanzigern mit eigenem Einkommen, aber ohne eigenen Haushalt - dieses "Ideal der Marketingindustrie" war in den Stadien Japans während der Fußball-WM tatsächlich auch weit häufiger zu beobachten als in vergleichbaren europäischen.

Zur Konsumkraft gesellt sich bei dieser Zielgruppe noch die hohe Konsumbereitschaft und ihre Sogwirkung auf andere, nicht nur weibliche, Konsumentenschichten. Hakuhodo gewann Sony Creative Products als Exklusivpartner für die Gestaltung der Klublogos, Maskottchen und die Komposition von Team-Songs und eingängiger Slogans, die "den weiblichen Fans die Identifikation mit dem Sport oder den Teams erleichtern sollten".
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Zu der Veranstaltung sind zwei Bücher erschienen:
Michael Fanizadeh, Gerald Hödl and Wolfram Manzenreiter (Hg.): Global Players. Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs. Frankfurt/Wien: Brandes&Apsel/Südwind 2002. ISBN 3-86099-236-8
John Horne und Wolfram Manzenreiter (Hg.): Japan, Korea and the 2002 World Cup. London: Routledge 2002. Pb ISBN 0-415-27563-6
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Namenswahl ...
Wichtig war schließlich noch die Wahl von zugkräftigen Namen, wie etwa bei Shimizu S-Pulse, Urawa Red Diamonds oder Nagoya Grampus Eight, wo Österreichs Ivica Vastic ab Herbst sein Geld verdienen wird.
... und ''Volksaufklärung''
Die eigentlichen Akteure, die Spieler und ihre Klubs, traten in der dritten Phase erstmals in Aktion. Im Rahmen eines Cup-Bewerbs, der als Pilot-Event ein halbes Jahr vor dem offiziellen Start der Liga ausgetragen wurde, präsentierten sie sich der Öffentlichkeit.

Gleichzeitig unterrichteten die Medien mit Spielberichten, Schautafeln und Schlagwortverzeichnissen die gesamte Nation in grundlegenden Fußballregeln.
Es begann 1873
Natürlich, so Manzenreiter, stellte die J.League nicht den Beginn des Fußballs in Japan dar. Ähnlich wie in Afrika und Amerika war die Verbreitung des Sports auch in Asien eine Folge des britischen Empire. 1873 widmeten sich englische Seeleute im Hafen von Yokohama erstmals dem Spiel mit dem runden Leder.
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Mehr zu Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Afrika und Südamerika in science.ORF.at.
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Firmenamateure bei Werkssport
Während Baseball aber schon zwischen den beiden Weltkriegen professionell gespielt wurde, blieb Fußball auch nach 1945 eine Angelegenheit des Werkssports - "Firmenamateure" etwa von Mitsubishi oder Nissan spielten in einer Amateurliga gegeneinander.

Die Spitzenteams aus dieser Liga dominierten zunächst auch das Geschehen in der J.League: Verdy Kawasaki gewann die ersten beiden Meisterschaftstitel; das ehemalige Nissan-Werksteam Yokohama Marinos holte sich seinen ersten und letzten Titel 1995.

Ab Mitte der 1990er Jahre beherrschten Kashima Antlers (Hauptsponsor: Sumitomo Metal) und Jubilo Iwata (Yamaha) die Spitzenplätze in der Tabelle.
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Leichte Regeländerungen
Einige Regeln wurden den lokalen Traditionen oder den Verwertungsinteressen der Sponsoren (Spannungsmaximierung, bessere Planbarkeit der Spielpausen für Werbeunterbrechungen) angepasst: So gewinnt am Ende einer Saison nicht die punktstärkste Mannschaft, sondern der Titel wird zwischen den Herbst- und Frühjahrsmeistern ausgespielt. Ein Unentschieden als Spielendstand gab es anfangs ebenfalls nicht: War nach einer halbstündigen Verlängerung noch immer kein Gewinner ausgespielt, folgte ein Elfmeterschießen, 1999 wurde das Unentschieden zwar eingeführt, aber nur, wenn nicht in der obligatorischen Verlängerung ein Golden Goal das Spiel entschieden hatte.
->   J.League
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Wirtschaftsstruktur: Hybrid-Modell mit drei Elementen
Das wirtschaftliche Muster der neu entstandenen Clubs bezeichnete Manzenreiter als "Hybrid-Modell", das aus drei Elementen - allesamt Vorbilder der globalen Sportwirtschaft - besteht.

Zum ersten auf der Vereinsidee der europäischen Fußballnationen: Die Vereine dürfen nicht bloß aus der Profimannschaft bestehen, sondern müssen sich auch in der Nachwuchsförderung und anderen Unternehmungen engagieren.

Zweites Element ist das amerikanische Franchise-System, bei dem die Klubs als Franchise-Partner der J.League auftreten. Drittes Element ist die Marketingstruktur der großen internationalen Sportorganisation wie jene des Internationalen Olympischen Komitees: TV-, Foto- oder Merchandising-Rechte werden hier zentral an offizielle Partner vergeben und nach einem Schlüssel unter den Vereinen verteilt.

Die J.League selbst operiert als eigenständiges, aber nicht profitorientiertes Unternehmen.
Zukunft ungewiss
Trotz dieses "Best of" der internationalen Sportökonomie bleibt die Zukunft des Fußballs in Japan ungewiss. Nach einer ersten Phase der Begeisterung und dramatischen Zuschauerrückgängen in den Jahren danach, kam es erst in der Saison 2001 im Vorfeld der WM wieder zu einem Anwachsen des Publikumsinteresses (durchschnittlich 17.000 Zuseher pro Spiel).

Eine Reihe struktureller Probleme (u.a. hohe Abhängigkeit der Teams von ihren Hauptsponsoren) werden auch in Hinkunft bestehen. Das gute Abschneiden des japanischen Nationalteams könnte das - von der J.League wie auch vom Weltfußballverband FIFA - gewünschte Ausbreiten des Fußballs aber zweifellos begünstigen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   FIFA
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01.01.2010