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Die Benes-Dekrete differenziert betrachtet  
  Die umstrittenen Benes-Dekrete sind das Thema einer derzeit in Wien stattfindenden internationalen Konferenz. Sie versucht, die Dekrete differenziert zu betrachten - losgelöst von tagespolitischen Emotionen.  
Eine Grundfrage bei dem Symposion des Wiener "Demokratiezentrums" ist: Entschieden die Alliierten, dass die Deutschen die neu zu gründende Tschechoslowakei zu verlassen hatten, oder war es ausschließlich das Betreiben des bürgerlich-nationalen Politikers Edvard Benes, das zur Vertreibung führte?
Vertreibungsgedanke spielte eine Rolle in der Politik
Vertreibungsgedanken hatten ja schon nach 1918 eine Rolle in der tschechoslowakischen Politik gespielt. "In einer gewissen Weise", sagt der renommierte Professor für Osteuropäische Geschichte an der New Yorker Columbia University Bradley F. Abrams.
Alliierten in einer Falle gefangen
In einer gewissen Weise waren die Alliierten in einer Falle gefangen. Keiner der so genannten "Großen Drei", Churchill, Roosevelt oder Stalin hatte je ausdrücklich von einer Vertreibung aller Deutschen gesprochen - der Exilpolitiker Benes spielte geschickt den Ball zwischen den drei hin und her, und gab zuerst vor, zumindest 800.000 Deutsche im Land belassen zu wollen.
Benes Vorhaben unklar
Bradley F. Adams über dieses politische Schaukelspiel: "Ich bin nicht restlos sicher, ob Benes wirklich konzipiert hatte, 800.000 Deutsche innerhalb der tschechoslowakischen Grenzen zu belassen, aber er behielt diese Linie beständig bei.

Zwar: Er sprach in Planspielen darüber, dass die Deutschen keine nationale Minderheit mit dementsprechenden Minderheitsrechten mehr sein würden, wie sie der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg erlassen und wie sie die UNO seit 1948 bekräftigt hat. Benes hat also sicher nicht vorgehabt, deutsche Schulen oder deutsche Wegweiser zu gewähren."

Benes sei ein schlauer Politiker gewesen, und hätte zuerst einmal daran arbeiten müssen, selbst als Präsident einer Tschechoslowakei anerkannt zu werden - was erst 1941 geschah, als seine Exil-Regierung voll anerkannt wurde, so Adams weiter.

Die Briten hätten das aber nur deshalb gemacht, weil sie Wind davon bekommen hätten, dass die Sowjets es auch tun wollten. 1945 wären dann die tschechischen Kommunisten - unterstützt von den Russen - sehr dafür gewesen, dass die Deutschen zu gehen hätten, sagt Abrams.
Zur Rolle der Alliierten
"De facto war es so, dass in jenem südwestlichen Teil der Tschechoslowakei, der von den Amerikanern besetzt war, die US-Truppen die so genannte 'wilde Vertreibung' behinderten und die Deutschen dort behielten, wo sie waren - bis zu einer endgültigen Entscheidung, die im November 1945 dann auch wirklich kam, als die Alliierte Kontrollkommission ihren Bericht veröffentlichte.

Die Sowjets hingegen halfen den Tschechen dabei, Deutsche über die Grenze abzuschieben. Das war übrigens der einzige Grund, warum die Rote Armee bei den Tschechen damals populärer war, als die US-Army, weil sie ihnen erlaubte, diese Deutschen zu vertreiben - und weil sie natürlich das zurückbehaltene Vermögen und den Besitz der Deutschen unter sich verteilen konnten, oder auch unter jenen Slowaken, die hereingeholt wurden, die von den Deutschen verlassenen Grenzregionen zu besiedeln."
Pro-Sudetendeutsche Stimmen unterlegen
Die alliierte Politik - und hier besonders die Briten waren jedenfalls während des Krieges in dieser Frage hin- und hergerissen. Pro-Sudetendeutsche Stimmen im britischen Exil, wie die des Sozialdemokraten Wenzel Jaksch waren letztlich unterlegen.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft
->   Demokratiezentrum Wien: Sudentenfrage/Benes-Dekrete
->   Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010