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Neues "Wundermittel" gegen Neurodermitis  
  Milchschorf, endogene Dermatitis oder atopisches Ekzem sind nur einige der Synonyme für Neurodermitis. 15 Prozent aller Kinder in Österreich leiden mittlerweile an einer mehr oder weniger ausgeprägten Form dieser Erkrankung - Häufigkeit steigend: Im letzten Jahrzehnt wurde eine Verdoppelung der Zahl erkrankter Menschen beobachtet. Ab 1. Juli 2002 ist nun "Tacrolimus", das erste Medikament einer neuen Generation von Immunmodulatoren ohne Kortison, auch in Österreich erhältlich.  
Im Jahr 1997 gelang der Durchbruch - die erste wirksame, kortisonfreie Substanz wurde gefunden und durchlief seitdem viele klinische Studien. "Wir haben wirklich sehnsüchtig auf die Zulassung dieser Wirksubstanz gewartet", so Walter Stögmann, ärztlicher Direktor des Gottfried von Preyer'schen Kinderspitals in Wien.
Hoffnung auf effektive, kortisonfreie Behandlung
"Die Erfahrungen aus jenen Ländern, in denen Tacrolimus bereits zugelassen ist, lassen uns hoffen, endlich eine effektive Behandlungsmöglichkeit gegen Neurodermitis in der Hand zu haben, die eine Alternative zu Kortison darstellt", so der Mediziner. Das Medikament wird in Form einer Salbe vertrieben.
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Neurodermitis - juckende Qual
Starker Juckreiz - besonders beim Schwitzen, trockene und oft schuppende Haut, Hautentzündungen im Ellenbogen- und Kniebeugenbereich oder Gesicht, Überempfindlichkeitsreaktionen auf viele Lebensmittel und schlaflose Nächte für die Eltern und das schreiende, übermüdete Kind - das sind nur einige Stichworte zum Leben mit einen Kind, das an Neurodermitis leidet.

Neurodermitis ist eine allergische Erkrankung, deren Ursachen bislang nicht vollständig geklärt sind. Das Immunsystem von Betroffenen reagiert übermäßig stark auf verschiedene Auslöser, und die Haut zeigt dann die beschriebenen Symptome.

Typischerweise tritt diese Erkrankung beim Säugling zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat zum ersten Mal auf. Der quälende Juckreiz während eines Schubes lässt betroffene Kinder sich sprichwörtlich die Haut von den Knochen kratzen. Etwa 30 Prozent der Betroffenen leiden auch als Erwachsene weiter unter dieser unangenehmen Hauterkrankung.
->   Mehr zu Neurodermitis
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Die Sache mit dem Kortison
Das bisherige Therapiekonzept gegen Neurodermitis bestand in allgemeinen hautpflegenden Maßnahmen und der spezifischen entzündungshemmenden und juckreizstillenden Therapie. Wobei hier Antiallergika und Kortison eine wichtige Rolle spielen.

Während Ärzte beharrlich darauf hinweisen, dass Kortison richtig angewendet ein wirksames und sicheres Medikament sei, fürchten sich viele Menschen ebenso beharrlich davor.
Bodenpilz liefert Wirksubstanzen
Die Debatte um die Behandlung mit Kortison und den Einfluss psychischer Faktoren oder Diäten auf Neurodermitis hat in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreicht. Bioresonanz, anthroposophische Ansätze, Psychotherapien, Homöopathie etc. wetteiferten um das erfolgreichste Behandlungskonzept.

Nun scheint die geschmähte Schulmedizin die Nase vorne zu haben: Zwei aus einem im japanischen Boden vorkommenden Pilz gewonnene Substanzen versprechen geradezu sensationelle Besserungen - und das noch dazu weitgehend nebenwirkungsfrei.
Tests erwiesen 1997 Wirksamkeit
"1997 war ein wichtiges Jahr für uns Dermatologen", erzählt Fritz Gschnait, Vorstand der Hautabteilung und ärztlicher Direktor des KH Lainz sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie. "In Düsseldorf hat ein Kollege erstmals Tacrolimus bei Neurodermitis getestet und siehe da - es wirkte."

Dies sei die erste bedeutende Innovation für die Behandlung der Neurodermitis seit 40 Jahren, so der Fachmann. "Tacrolimus ist eine Substanz, die aus dem in Japan im Boden vorkommenden Pilz Streptomyces tsukubaensis gewonnen wird."
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Als Immunsuppressivum bereits eingesetzt
Tacrolimus wird unter dem Namen "Prograf" bereits seit einigen Jahren zur Verhinderung der Abstoßungsreaktion nach Leber- und Nierentransplantationen eingesetzt. In Japan erfolgte die Zulassung als Medikament zur Behandlung der Neurodermitis bereits 1999, in den USA im Jahr 2000.
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Neue Therapiepläne - Alternative zu Kortison
"Wir haben also bereits ausreichend Daten", so Fritz Gschnait, "um wirklich voller Hoffnung sein zu können. Bei mittelschwerer und leichter Neurodermitis stellt Tacrolimus eine echte Alternative zur Kortisonanwendung dar".

Bei schweren Formen ist aber nach wie vor Kortison das Mittel der Wahl, wie der Experte erklärt, "da es bei den - ja wirklich geplagten - Kindern meist rasch zu einer Verbesserung der Beschwerden führt. Die richtige Anwendung vorausgesetzt." Tacrolimus könne auch in Kombination mit Kortison angewendet werden.
Experte: "Geringe Nebenwirkungsrate"
Zudem scheint nach Angaben von Gschnait die Nebenwirkungsrate des neuen Medikamentes sehr gering zu sein: "Viele Patienten berichten nach der Erstanwendung über Brennen und Rötungen. Beide Nebenwirkungen lassen aber in der Regel rasch nach. Tacrolimus ist für die Behandlung von Kindern ab dem 2. Lebensjahr zugelassen."
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Wie wirkt Tacrolimus?
Tacrolimus ist die erste Substanz einer neuen Klasse von so genannten topischen Immunmodulatoren. Es gehört zur Gruppe der Makrolide. Die lokale Wirkung von Tacrolimus auf die Haut der Patienten mit atopischer Dermatitis wird über verschiedene Zelltypen des Immunsystems, wie z.B. T-Zellen, antigen-präsentierenden Zellen und inflammatorische Zellen vermittelt. In der Zelle selbst inhibiert Tacrolimus das Calcineurin, eine Serin-Threonin-Phosphatase - in der Folge kommt es zu einer Verringerung der Produktion von Zytokinen durch die T-Zellen.
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Bald auch zweite Wirksubstanz zugelassen
Für jüngere Kinder soll es bald eine Alternative geben: Das Medikament "Pimecrolimus" wurde in Wien entwickelt. Im Forschungszentrum von Novartis wurden etwa 200 Varianten des Tacrolimus-Moleküls entwickelt und auf ihre Wirkung auf menschliche Haut getestet - das Ergebnis: Pimecrolimus.

Diese Substanz unterscheidet sich chemisch etwas von Tacrolimus, ist daher lipophil und darf außerdem bei Kindern bereits ab dem 3. Lebensmonat verwendet werden.
Pimecrolimus wird wahrscheinlich ab Anfang 2003 in Österreich erhältlich sein.
Leben mit Neurodermitis
Glücklicherweise verlieren sich die Symptome der Neurodermitis bei 30 Prozent der betroffenen Kinder in den ersten Lebensjahren, bei weiteren 30 Prozent in der Pubertät. Die anderen, die weniger Glück haben, leiden auch als Erwachsene unter dieser unangenehmen Hauterkrankung.

Die Devise lautet dann: Die Haut schonen und pflegen. Eine erfolgreiche Behandlungsstrategie ruht auf vier Grundpfeilern: Auslösende Faktoren reduzieren, Feuchtigkeits- bzw. Wasserentzug vermeiden, den quälenden Juckreiz bekämpfen sowie eine konsequente Basispflege der Haut durchführen.

Christoph Leprich, Ö1-Radiodoktor
Mehr zum Thema Neurodermitis können Sie in der Sendung "Der Radiodoktor" am Montag, 24.6.2002 um 14.05 Uhr in Österreich 1 erfahren.
->   Österreich 1
->   Österreichische Gesellschaft für Dermatologie
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Tipps für Betroffene
- Selten baden (max. zwei Mal pro Woche, besser duschen, Wassertemperatur nicht über 32-34 °C)
- Seifen und Shampoos meiden (nur rückfettende Zusätze oder Öle)
- Nicht trockenrubbeln, besser mit einem weichen Handtuch vorsichtig trockentupfen
- Nach dem Waschen gut eincremen (bei Säuglingen auch den behaarten Kopf)
- Bei der Wäsche gilt: Kein Weichspüler, Waschmittel exakt dosieren, Wäsche immer gut ausschwemmen
- Leichte Baumwollkleidung tragen
- Für Säuglinge gibt es spezielle 'Neurodermitis-Strampler' aus Baumwolle
- In der Nacht kann man bei Säuglingen das Schlafleibchen an den Ärmeln zubinden, Kleinkinder können Baumwollhandschuhe tragen
- Nägel kurz schneiden
- Im Sommer die Haut kühl halten, gut belüften
- Vorsicht im Schwimmbad: Chloriertes Wasser reizt die Haut
- Gute Sonnencreme nicht vergessen, bewusst im Schatten aufhalten
->   Mehr zum Thema Neurodermitis in science.ORF.at
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01.01.2010