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Wien - die bewahrende Stadt  
  Die drohende Aberkennung des Titels "Weltkulturerbe" hat zu einer heftigen Diskussionen rund um ein geplantes Hochhausprojekt in Wien-Mitte geführt. Die Historikerin Monika Sommer, Junior Fellow am IFK in Wien, geht in einem Gastbeitrag der Frage nach: Welches Image von Wien entwirft das Historische Museum der Stadt Wien?  
Stadt-Geschichte(n). Museum - Metropole - Inszenierung.

von Monika Sommer

Die Debatte rund um die Errichtung eines neuen Hochhauses in Wien-Mitte und die damit verbundene Drohung der Aberkennung des von der UNESCO verliehenen Titels "Weltkulturerbe", den die Innere Stadt zu tragen berechtigt ist, macht eines deutlich: Im Gegensatz zu den dynamischen, pulsierenden urbanen Global-Players wie z. B. New York hat Wien in der globalen Städtekonkurrenz den Status der bewahrenden Stadt, der Metropole der Musealisierung.

Der Ruf Wiens, ein Freilichtmuseum zu sein, bildet den - auf den Kopf gestellten - Ausgangspunkt der Überlegungen des Vortrags: Welche Images von Wien entwirft das Historische Museum der Stadt Wien?
Rückschlüsse auf kulturelle Bedeutungshierarchien
Die Frage richtet sich generell an die Institution Museum, respektive Stadtmuseum. Museen sind nicht einfach nur Orte der Mimesis, der Bewahrung und Sicherung des kulturellen Erbes einer Gemeinschaft: Die Programmatik der Sammlungen und der Ausstellungen lässt vielmehr Rückschlüsse auf kulturelle Bedeutungshierarchien und einen fixierten Wertekanon zu.
Die offizielle Geschichte der Stadt
Mag das Stadtmuseum, in Wien 1887/88 angesichts der Erfahrung der beschleunigten großstädtischen Entwicklung gegründet, womit es im europäischen Vergleich zu einem der frühesten Stadtmuseen zählt, auch vielleicht nach außen eigentümlich starr und undynamisch wirken (Die Wiener Stadtzeitung "Falter" titelte in einem Bericht provokant: "Der Tod steht ihm gut"), ist es dennoch ein "contested space":

Es wird ausverhandelt, welche Personen, Ereignisse und Objekte 'wert' sind, in das Museum Eingang zu finden, bewahrt und erinnert zu werden oder vergessen werden zu können: Im Stadtmuseum wird also "die" offizielle Geschichte der Stadt erzählt, "Wir-Gruppen" geformt und Identität definiert.

Freilich werden gleichzeitig auf zahlreichen Nebenbühnen, wie es in Wien z. B. die Bezirksmuseen sind, Vertiefungen und Variationen der lokalen Geschichte entworfen, die als Ergänzung oder auch Gegenerzählung durchaus in Konkurrenz zur "Zentrale" stehen können, z. B. wurden die 1950er Jahre in Döbling oder Favoriten sicher anders interpretiert als in der Inneren Stadt, d. h. Vergangenheit different erinnert.
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Vortrag am Wiener IFK
Am Montag den 24. März 2003, um 18:00 Uhr spricht Monika Sommer über Stadt-Geschichte(n). Metropole - Identität - Inszenierung.
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr über den Vortrag
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Der Entwurf eines Images
Das Narrativ Stadtmuseum changiert zwischen unterschiedlichen kulturellen Aggregatszuständen, zwischen fest und flüssig: Mittels zweifacher Präsentationsstrategie - Dauer- und Sonderausstellung - macht das Museum Geschichte: Die historischen Themen, die es aufgreift, geben vor, authentische Wiedergaben der Vergangenheit zu sein, aber das Museum inszeniert und arbeitet dabei nicht selten mit ähnlichen Mitteln wie das Theater oder es erstellt wie im Film eine storyline: Es montiert Geschichten zu Geschichte.

Die ausgewählten und aufgeführten "Stücke", sowohl die Dauer- als auch die Sonderausstellungen, konstruieren Bilder der Stadt - entweder werden vorhandene aktualisiert und prolongiert oder aber neue entworfen. Die Themen der Sonderausstellungen können den in der Dauerausstellung fixierten Kanon erweitern, vertiefen, vorübergehend korrigieren und vor allem beleben. Ziel des Vortrags ist eine Fokussierung auf die Images der Stadt, die vom Museum sozusagen top-down entworfen werden.
Forschungsfeld: Sonderausstellung
Als konkretes Forschungsfeld dienen die Sonderausstellungen des Historischen Museums der Stadt Wien seit der Eröffnung des von Oswald Haerdtl errichteten Hauses am Karlsplatz.

War das Projekt eines Neubaus für das Stadtmuseum schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Kampfplatz zwischen Tradition und Moderne gewesen, den Otto Wagner verlor, bekamen die bis dahin im Rathaus beherbergten Sammlungen der Stadt Wien auf ausdrücklichen (Geburtstags-)Wunsch des Bundespräsidenten Theodor Körner 1959 letztlich doch ihre neue Bühne: etwa 300 Sonderausstellungen wurden hier und in den Außenstellen (Hermesvilla, Künstlerhaus etc.) mittlerweile veranstaltet.
Ein offener Prozess
Welchen Beitrag leisten sie zur Konstruktion welchen Wienbildes? Werden die Pluralitäten und Heterogenitäten, die eine Stadt konstituieren, dargestellt oder eine Synthese von einer Geschichte der Stadt Wien erzählt, die auf einem quasi leeren Zeitpfeil nur chronologisch bespielt werden muss? Und welchen Ort besetzt die Institution Stadtmuseum im sich transformierenden sozialen Raum? Wer sind die Adressaten des Museums? Welche Legitimationsstrategien werden in Anspruch genommen? Welche Selbstbilder hat das Museum?

Diesen und weiteren Fragen wird der Vortrag am IFK nachgehen.

Das Museum animiert aber nicht nur erstarrte Bilder, es ist offen für Prozesse der Neucodierung und Überschreibung. Das Museum, so wird gezeigt, ist einer jener gesellschaftlichen Orte, an denen Ideen und identitätsstiftende Leitbilder (wie etwa "Wien um 1900") verhandelt werden.
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Informationen zur Autorin
Monika Sommer studierte Geschichte mit Schwerpunkt Museums- und Ausstellungswesen in Graz und Wien. Sie ist Absolventin des Postgradualen Lehrgangs für KuratorInnen im Museums- und Ausstellungswesen am Institut für Kulturwissenschaft, Wien; Mitarbeiterin des Forschungsprojekts "Orte des Gedächtnisses" der Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2002/03 ist sie Lektorin am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Als IFK - Junior Fellow widmete sie sich dem Projekt "Stadt-Geschichte(n). Metropole - Identität - Inszenierung".

Publikationen u.a.: Zwischen flüssig und fest. Metamorphosen eines steirischen Gedächtnisortes, in: Johannes Feichtinger und Peter Stachel (Hg.): Das Gewebe der Kultur. Kulturwissenschaftliche Analysen zur Geschichte und Identität Österreichs in der Moderne (Innsbruck/Wien/München 2001), S. 105-126;
gemeinsam mit Jacques Le Rider und Moritz Csáky (Hg.): Transnationale Gedächtnisorte in Zentraleuropa (Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002)
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01.01.2010