Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 
Demokratie in der Wissensgesellschaft
Wie sieht die wohl aus?
 
  Ein interessantes Schlaglicht auf unsere Welt wirft der Begriff der "Wissensgesellschaft". Dass wir in einer solchen leben, liegt auf der Hand: Wissen ist zum zentralen Produktionsfaktor geworden, der in einem fort gesteigert, optimiert und "gemanagt" werden muss. "Wissen" ist entscheidend, nicht nur in der persönlichen Laufbahn, sondern gleichermaßen für Organisationen, Unternehmen, ganze Volkswirtschaften und somit auch die Politik.  
Diese ruft angesichts immer volatiler werdender Arbeitsmärkte und der unerbittlichen Logik einer globalisierten Weltwirtschaft das "lebenslange Lernen" aus und engagiert sich im technologisch-wissenschaftlichen Innovations- und Standortwettbewerb.

Bildungs-, Wissenschafts- und Technologiepolitik, vor kurzem noch eher zweitrangige Politikfelder, werden damit zu Kernbereichen gesellschaftspolitischer Richtungskämpfe.
Niedergang des Bildungsideals
Dabei bleibt das "l'art pour l'art", mit dem sich das einstige bürgerliche Bildungsideal rechtfertigte, offenbar auf der Strecke. Bildung als Selbstzweck und Lebenssinn dürfte nicht mehr so recht überzeugen.

Was sollte "Bildung" auch bedeuten angesichts einer globalen Wissensexplosion, die sich in unzählige Spezialisierungen und Separatsprachen ausdifferenziert, zu deren Verarbeitung man mittlerweile eigens entwickelte Software einsetzt.

Das angepriesene und um die Wette gelernte Wissen, um das es hier geht, ist eher praktischer Art, eine Mixtur aus Spezialisierungen, generellen "Schlüsselqualifikationen" und sozialem Kapital wie Reputation und Vernetzung, die in einer beschleunigten, globalen Wissensökonomie "anschlussfähig" bleibt.
Enttäuschte Hoffnungen
Wie ist es nun in einer solchen Welt um die Demokratie bestellt? Betrachtet man die Entwicklungen in Österreich, aber auch im gesamten europäischen Raum, bleibt man wohl desillusioniert zurück.

Denn einerseits ist das Modell liberaler, repräsentativer Demokratie durch diverse Wandlungen (etwa Europäische Integration) zwar herausgefordert, aber nicht grundsätzlich gefährdet. Im Großen und Ganzen erbringen die westeuropäischen Demokratien ihre Basisleistungen: faire Wahlen und friedliche Machtwechsel, freie Medien, Rechtsstaatlichkeit etc.

Andererseits aber scheint die klassische Annahme enttäuscht, wonach die Entwicklung einer Wissensgesellschaft zur Abflachung von Hierarchien führt, ebenso die in den 70ern noch vorherrschende Hoffnung, dass es über das Modell repräsentativer, liberaler Demokratie hinausgehend zu einer Demokratisierung weiter Gesellschaftsbereiche kommen würde.
Effizienz und Wettbewerb
Denn was sich gerade an den gegenwärtigen tiefgreifenden Umstrukturierungen der Wissensinfrastruktur des Landes, besonders in der extrauniversitären Forschung und Entwicklung sowie im Hochschulbereich abzeichnet, ist eine erhebliche Straffung und Zentralisierung von Entscheidungsabläufen

Dies geschieht zwar im Rahmen demokratisch legitimierter Kompetenzverteilungen und rechtsstaatlicher Verfahren, hat aber für die betroffenen Bereiche tendenziell eine Reduktion von Mitentscheidungs- und Teilnahmemöglichkeiten zur Folge, also, wenn man so will, ein Weniger an Demokratie.

Die Begründungsformel ist dabei stets dieselbe: die Gnadenlosigkeit des Innovationswettlaufs und die Knappheit der Mittel verlangt drastische Einschnitte zur Maximierung von Effizienz und internationaler Wettbewerbsfähigkeit.
Unbestreitbarkeit
Dem Argument kann schlechthin nicht widersprochen werden. Lediglich abwandeln lässt es sich. Man kann beispielsweise darüber streiten, wessen Effizienz eigentlich erhöht werden soll. Effiziente Kunsthochschulen etwa könnten ja einen wichtigen Beitrag für den Kulturstandort leisten.

Oder man kann fragen, ob streng hierarchische Organisationsstrukturen nicht das Ende von Diskussion, Kreativität und somit Innovation bedeuten, womit dem Innovationsstandort ja auch kein guter Dienst erwiesen wäre. Aber letztlich laufen diese Einwände doch auf das Gleiche hinaus und setzen die großen Züge der globalen Wissensökonomie als unhinterfragbar voraus.
Immerhin, wir wissen mehr
Wie sich all das auf unsere demokratische Gesellschaftsordnung auswirkt, ist Gegenstand lebhafter Diskussionen. Dass Dogmen - hier jenes vom internationalen Wettbewerb - nicht gut sind für die Demokratie, da sie das Ende der Alternativen, somit das Ende der Politik, bedeuten, ist bekannt. Das gleiche gilt wohl für die ungeheure Ausdifferenzierung und Spezialisierung des Wissens und das Schwinden einer gemeinsamen Bildungsbasis.

Welche Position aber auch immer wir in dieser Diskussion einnehmen, immerhin wissen wir nun mehr: Dass die Zunahme an gesellschaftlich verfügbarem Wissen in der Wissensgesellschaft die Grundfesten der Demokratie zwar nicht ins Wanken bringt, allerdings keineswegs automatisch mehr Mitbestimmung nach sich zieht. Dieses muss wohl stets aufs Neue erstritten werden.
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