Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 
Konsumentenpolitik und Demokratie  
  Daß der Lebensmittelkonsument an politischem Gewicht gewonnen hat, gilt vielen als Triumph der Demokratie. Aber bei dieser Einschätzung ist Vorsicht geboten.  
Eine steile Karriere
Konsumentenpolitik hat Hochkonjunktur. Im Gefolge der großen europäischen Lebensmittelkrisen seit 1996, allen voran BSE, haben Behörden im Dienste von Transparenz und Nahrungssicherheit eine beträchtliche Aufwertung erfahren.
Ursachen
Der erste Grund für diese steile politische Karriere der Lebensmittelpolitik liegt in der schieren Masse der Konsumenten. Massenöffentlichkeiten sind für die Politik seit jeher relevant. Sind sie es doch, die - bei den nächsten Wahlen - über ihre Zukunft entscheiden.

Weiters ist Massenkonsum zur tragenden Säule der modernen Ökonomie geworden. Was bedingt, daß Akteure wie Lebensmittelhandel, Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft mitunter zu einflußreichen politischen Fürsprechern der Konsumenten werden.
Symbolik
Auch ist Massenkonsum zum Zentrum kultureller Sinnproduktion geworden. Eine Aufgabe, die die Werbeindustrie übernommen hat.

Sie sorgt etwa dafür, daß Bioprodukte als "natürlich", Energy-Drinks als "beflügelnd", Bier als "ehrlich" wahrgenommen werden. Der symbolisch aufgeladene Lebensmittelkonsum kann so zum Kulturkampf mit handfesten Rückwirkungen auf Wirtschaft und Politik werden.
Mehr Demokratie?
Schließlich haben die Lebensmittelkrisen der vergangenen Jahre die politischen Eliten auf nationaler, europäischer sowie transatlantischer (bzw. WTO-) Ebene unter Druck gesetzt und zum Handeln gezwungen.

Dies mutet wie ein Sieg der Demokratie an. Bislang galt die "schweigende Masse" der Konsumenten als chronisch desorganisiert und von schmächtigem Einfluß. Endlich wird sie von der Politik ernst genommen. Diese verspricht ihr Sicherheit, Transparenz und Wahlfreiheit.
Neue Chancen
Tatsächlich könnte dieser Schub den Weg zu neuen Formen der Politik eröffnen. Spezialisierte Märkte und verbesserte Kennzeichnung könnten etwa "ethisches" Kaufverhalten (z.B. von "Dritte Welt Produkten") oder "Konsumentenboykotts" unterstützen.

Eine solche "Demokratie mit dem Einkaufskorb" könnte aus Globalisierung und Individuali-sierung entstandene Mängel gutmachen.
Globalisierung und Individualisierung
Sie könnte etwa machtvolle multinationale Akteure treffen, die sich der Kontrolle des Nationalstaats (und damit demokratischer Mitbestimmung) entzogen haben, oder könnte alternative Produktionsformen (wie Biolandbau) unterstützen.

Sie erlaubt rasches, massenhaftes Engagement abseits mühsamer Parteipolitik, was den individualisierten Politikformen unserer Tage entgegen kommt.
Ambivalenzen
Andererseits geschieht all dies bislang nur sporadisch. Konsumenten als solche sind eben nicht, oder nur äußerst selten "politisch" aktiv. Dies sind immer andere an ihrer statt, jene, die glaubhaft machen, Konsumenteninteressen zu vertreten.

Zwar reagieren bestimmte Wirtschaftssegmente, seit Neuerem eben auch die Politik, höchst sensibel auf die Stimmungsschwankungen der Konsumenten. Aber der Zuwachs an Sicherheit und Wahlfreiheit für die Verbraucher darf nicht mit deren Gewinn an Mitentscheidung verwechselt werden.
Verwechslungsgefahr
Die allseits spürbare Ausweitung von Marktregimes mag zwar die Optionsvielfalt steigern. Genuine Mitbestimmung (etwa von Arbeitnehmern) kann indes gleichzeitig zurückgenommen werden.

Konsumenten und Bürger koinzidieren zwar, sind aber nicht ident. Beanspruchen Marktregimes alleinige Geltung, kann die Verwechslung dieser beiden Begriffe sogar zum unmerklichen Verschwinden des demokratischen Bürgers beitragen.
Lesen Sie mehr dazu in science.orf.at:
->   Leopold März: Der Konsument im Paradigmenwechsel
->   Lebensmittel in der Diskussion
->   Strategien zur Lebensmittelsicherheit
 
 
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick