Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Gen-Mais und Politik als Geschichtenerzählen  
  Die jüngsten Debatten um den Kärntner "Gen-Mais", geben Gelegenheit, eine innovative Perspektive zur Analyse politischer Prozesse vorzustellen: Politik als "Geschichtenerzählen".  
Das vorherrschende Bild
Seit dem Aufflammen der österreichischen Gentechnik-Kontroverse vor etwa fünf Jahren ist uns ein bestimmtes Bild der Gentechnik geläufig. Gefährlicher transgener Mais, drängt ins Land. Unvermittelt tauchen in Lebensmitteln und Saatgut gentechnische "Kontaminationen" auf.

Die Entdeckung der Eindringlinge erfolgt stets im Getöse des Skandals. Um dem zu entgehen, investiert der Lebensmittelhandel in Kennzeichnungsregimes, und Bioproduzenten, deren Existenz von der "Reinheit" ihrer "Naturprodukte" abhängt, tun alles, um den Ruch gentechnischer Verunreinigungen abzuwenden.
Fiktionen
In der breiten Öffentlichkeit hat sich ein Bild der Gentechnik durchgesetzt, das dem eines Gifts oder Krankheitskeims gleicht, und dieses Bild bestimmt seit Jahren auch das Handeln der Politik. Die Landeshauptleutekonferenz unlängst oder der aktuelle Beschluß "verdächtigen" Mais zu eliminieren, illustriert das.

Aus der Sicht weiter Teile der Wissenschaft ist dieses Bild fiktiv. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lautet die Lehrmeinung, dass eine gentechnische Veränderung für sich genommen keine Gefahr darstellt. Dessen ungeachtet wird sie seit den Öffentlichkeitsmobilisierungen der vergangenen Jahre von der europäischen Politik als solche behandelt.
Diskursanalyse
Weder will ich hier auf die Endlosdebatte um die Risiken der Gentechnik eingehen, noch die "Irrationalität" der breiten Masse oder den Opportunismus der Politik anprangern. Vielmehr will ich anhand dieses Beispiels auf den grundsätzlich fiktiven Charakter von Politik hinweisen.

Sozialwissenschaftler wählen oft jenen theoretischen Zugang, der ihnen am geeignetsten scheint, die betrachteten Phänomene zu erklären. Bei meiner Untersuchung des Gentechnik-Konflikts fand ich diesen Zugang u.a. in der "kritischen Diskursanalyse".
Politik als Sinnproduktion
Die Diskursanalyse konzentriert sich auf die Erzeugung von Sinn. Sinn schafft Ordnung im Chaos der Vieldeutigkeit und Ungewissheit. Und Ordnung konstituiert Macht.

In der Tradition Nietzsches und Michael Foucaults begreift die Diskursanalyse den Widerstreit von Wirklichkeitsbildern, sei es in Politik, Öffentlichkeit oder Wissenschaft, als Machtkampf. So versteht sie auch Politik v.a. als Herstellung von Sinn, oder "Geschichtenerzählen". Es sind Geschichten, die Politiken organisieren.
Viele und kein Erzähler
Dabei gibt es keine einheitlichen Erzähler. Niemand entwirft die Sinngebäude der Macht. Sie entstehen vielmehr, da sie bewohnt werden. In unserem Fall sind deren Bewohner mannigfaltig. Sie sind es, die mit Kategorien von Reinheit, Verseuchung und Gefahr operieren.

Dazu zählen Biolandbau, Lebensmittelhandel, NGOs, Kontrollbehörden, Medien, bestimmte Wissenschaftler, wissenschaftliche Institutionen u.a. Die Erwartung, dass die Wissenschaft dem Geschichtenerzählen mittels "Wahrheit" ein Ende setzt, wird enttäuscht. Wissenschaft ist in Geschichten verstrickt, beteiligt sich durch ihre Theorien, Fragestellungen und Interpretationen am Geschichtenerzählen.
Weite Anwendbarkeit
Die Diskursanalyse dürfte sich besonders für die Anwendung der Kontroverse um die Gentechnik eignen. Dafür sprechen das Gewicht von Medienöffentlichkeiten und der symbolische Charakter der Politik wie auch die hohen Ungewissheiten in der wissenschaftlichen Sphäre.

Sie eröffnet aber auch eine generelle Perspektive zur Betrachtung politischer Vorgänge. Der Kampf um Sinn, bisher als "Ideologie" eher stiefmütterlich behandelt, erhält dabei einen zentralen Stellenwert.

Die Diskursanalyse zeigt v.a. wie kontingent, das heißt nicht-notwendig, Politik ist. Schließlich können Geschichten immer auch anders erzählt werden. Umso faszinierender ist deren Anwendung daher in Bereichen, die als technische oder ökonomische Sachzwänge gelten.
Buchtip
Eine hervorragende Einführung in die Diskursanalyse hat der österreichische Politikwissenschaftler Herbert Gottweis geliefert.

"Governing Molecules. The Discursive Politics of Genetic Engineering in Europe and the United States." The MIT Press. 1998
 
 
 
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