Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Was sind Gentechnik-Debatten?  
  Alle fordern Gentechnik-Debatten. Aber warum? Und worum handelt es sich dabei eigentlich?  
Weil wir Demokraten sind
Warum die inflationäre Forderung nach "umfassenden Gentechnik-Debatten"? Die Antwort ist einfach: Weil wir Demokraten sind und glauben, die Gentechnik demokratischer Kontrolle unterwerfen zu müssen.

Und da Debatten und Beratungen den Kern einer idealen Auffassung von Demokratie bilden, kann man mit der Forderung nach einer breiten Debatte gar nicht fehlgehen. Die, die breite Diskussion fordern, stehen immer auf moralisch sicherem Grund.
Grenzen der realen Welt
Allerdings finden politische Debatten nicht in idealen Demokratien statt. Tatsächlich mutet die Idee einer "umfassenden Debatte" realistisch betrachtet nachgerade utopisch an. Das liegt schon an der schieren Größe moderner Demokratien.

Als Faustregel gilt, daß das Ausmaß gehaltvollen Mitredens mit der Zahl der Beteiligten abnimmt. In kleinen Gruppen von, sagen wir, zehn Personen ist gleichmäßiger, argumentativer Austausch noch möglich. In Gruppen von 100 oder 1.000 Teilnehmern nicht mehr.

Daher haben Demokratien repräsentative Institutionen hervorgebracht. Während diese die Beteiligung der Normalbürger auf Wahlgänge reduzieren, finden auch in ihnen Debatten statt. Dies aber im Schoß technisch-politischer Eliten, die in Gremien, also kleinen, beratungsfähigen Gruppen zusammentreffen.
Elitenberatungen
Auch die vielbeschworenen Gentechnik-Debatten nehmen meist diese Gestalt an. Enquete-Kommissionen z.B. sind parlamentarische Veranstaltungen, Ethik-Kommissionen rekrutieren sich aus akademischen Eliten, und im Routinemodus der Politik berät eine Vielzahl technischer und administrativer Gremien zu Fragen der Gentechnik.

Teils sind solche Beratungen demokratische Zugewinne. Teils verbirgt das opake Geflecht der Gremien aber auch Sonderinteressen und technokratische Macht. Keinesfalls aber handelt es sich bei ihnen um "gesamtgesellschaftliche Debatten". Dazu müßten ja alle Bürger und Bürgerinnen beteiligt sein. Wie gezeigt, ein logisches Ding der Unmöglichkeit.
Massenöffentlichkeiten als politischer Risikofaktor
Andererseits ist die Geschichte des Gentechnik-Konflikts geprägt von Episoden, in denen eben diese Massenöffentlichkeiten zum entscheidenen Faktor werden.

Solche Massenöffentlichkeiten werden dann zwar gerne "öffentliche Debatten" genannt, bieten gehaltvollen Debatten aber wenig Raum. Weder findet in ihnen argumentative Ver-ständigung statt, noch hat das breite Publikum reale Beteiligungschancen. Konkret manifestieren sich diese Öffentlichkeiten als intensive, politisierte Medienaktivität.

Statt Foren der Verständigung tun sich mit ihnen rhetorische Arenen auf, beherrscht von Polemik, Populismus und Anschwärzung des Gegners. Der Grund dafür liegt in der politischen Hebelwirkung von Massenöffentlichkeiten.

Gelingt es Akteuren, die öffentliche Meinung zu formen, vermögen sie Druck auf das politische Zentrum auszuüben. Für die Politik zählen solche Episoden zu den größten Risiken. Nicht zuletzt, um ihnen vorzubeugen, verordnet sie breite Debatten.
Unsteuerbarkeit
Aber gerade hier sind ihre Handlungsmöglichkeiten höchst beschränkt. Mehr als Informationskampagnen und die demonstrative Einrichtung neuer Gremien stehen als Steuerungsinstrumente nicht zur Verfügung.

In der Rekonstruktion des Gentechnik-Konflikts indes wiederholt festzustellen ist die Spontaneität und Autonomie von Massenöffentlichkeiten. Stets ignorieren diese die von der Politik verordneten Debatten.

So geschehen etwa in Österreich, wo die breite Öffentlichkeit kaum Notiz von Enquete-Kommission und Gentechnik-Gesetz nahm, nur um Jahre danach eine unvermittelte Mobilisierung durchzumachen.

Während Massenöffentlichkeiten also eher zur Degeneration inhaltlicher Debatten beitragen und die Bürger in der passiven Zuschauerrolle belassen, bleiben sie der Politik ständige Unwägbarkeit und damit Machtbegrenzung.
 
 
 
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