Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Leben .  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Die Stammzellen-Debatte als Fall internationaler Sub-Politik  
  Mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß nicht nur die Wirtschaft sondern auch die Politik globalisiert. Auch die gegenwärtige Stammzellen-Debatte liegt in diesem Trend. Ist aber auch in wesentlichen Aspekten eine Ausnahmeerscheinung.  
Sub-Politik
Entgegen eingebürgerter Wahrnehmungsgewohnheiten werden politische Entscheidungen kaum mehr auf nationalen sondern auf supra- und internationalen Niveaus getroffen. GATT, WTO, EU und NAFTA bezeugen: Auch Politik globalisiert.

Und auch ansonsten ist Politik nicht immer das, was der offizielle Duktus als solche ausgibt. Andere Sphären beherbergen, was Ulrich Beck "Sub-Politik" genannt hat. In unseren Gesellschaften, deren Existenzgrundlage zunehmend in Wissen, Innovation und Technologie liegt, sind das u.a. die Sphären von Wissenschaft und Technologie.

An der Debatte über Stammzellen lassen sich einige Charakteristika dieser Sub-Politik illustrieren.
Lokal-globale Beratungen
Zunächst sei auf die Orte hingewiesen, an denen die Debatte stattfindet: Experten-Gremien. Experten-Gremien eignen sich besonders für komplexe Entscheidungen. Sie mobilisieren Sachkompetenz, ermöglichen eingehende Beratungen und neigen zu Konsens. Gremien haben aber auch ihre Schattenseiten. Expertise schließt aus, Entscheidungsverläufe werden undurchsichtig.

Die Stammzellen-Debatte zeigt eine weitere Besonderheit dieser sub-politischen Sphäre. Trotz ihrer Kleinheit sind sie (nicht etwa Medien oder Bevölkerungen) die eigentlichen Orte, an dem "internationale Debatten" geführt werden. Ihre Beratungen folgen internationalen Leitlinien.

So vollzieht auch ein Österreichisches Bioethik-Komitee im Wesentlichen eine internationale Diskussion nach. Für eine solche ausschlaggebend sind internationale Autoritäten. In unserem Fall etwa das amerikanische NIH. Seine Positionen wurden in Europa und anderswo oft übernommen.
Globale Synchronisierung und Standardisierung
Das offizielle Bild von nationalen Ausschüssen, die die Entscheidungen einer nationalen Politik vorbereiten, ist somit irreführend. Realitätsnäher ist das Bild eines internationalen Geflechts von Komitees und Ausschüssen, in dem die eigentlichen Entscheidungen fallen.

Tatsächlich ist das Gros der die Gentechnik betreffenden Sub-Politik dieser Art. Lange bevor die offizielle Politik (also Parlamente, Regierungen u.s.w.) zur Gentechnik entscheidet, haben internationale Expertengeflechte diese Entscheidungen vorweggenommen. Unmerklich werden so nationale Regelungsprozesse standardisiert und synchronisiert.
Normalerweise unsichtbar
Andererseits ist die Stammzellen-Debatte ein Sonderfall. Denn sie steht im Scheinwerferlicht der Medien, ist in hohem Maße öffentlich. Das Motiv des technischen Tabubruchs eignet sich seit jeher zur Mediensensation. Und bietet sich damit der Politik an, die mit großer Geste Beratungen und Verbote inszeniert.

Im Gegensatz dazu bleiben Entscheidungsprozesse in den unzähligen anderen lokal-globalen Gremiengeflechten unsichtbar. In der sozialen Realität sind diese Entscheidungsprozesse indes nicht weniger relevant. Sie betreffen mitunter das Schicksal ganzer Produktionszweige und Bevökerungsgruppen.

Auch eilen diese sub-politische Entscheidungsprozesse der öffentlichen Wahrnehmung weit voraus. So werden in internationalen Expertennetzwerken Positionen etwa zu Gentechnikrisiken entwickelt, Jahre bevor diese Risiken in Massenöffentlichkeiten thematisiert werden.
Bleibende Sensibilitäten
Das hier vorgestellte Stratum internationaler Sub-Politik erscheint unendlich weit entfernt von jeder demokratischen Mitbestimmung. Ist es wohl auch.

Allerdings sind diese Ebenen heterogener und gegenüber möglichem öffentlichen Widerstand sensibler, als man annehmen würde. In Fragen wie Freisetzungsrisiken und Kennzeichnung war in über zehn Jahren internationaler Debatte keine Konsens zu erzielen. Trotz ihrer Abgehobenheit kann auch internationale Sub-Politik nationale Empfindlichkeiten nicht ignorieren.
Aktuelles zur Stammzellen-Forschung und Debatte in Science.orf.at:
->   Menschliche Stammzellen in Affen-Gehirn eingebaut
 
 
 
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