Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Leben .  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Biotechnologie und Öffentlichkeit  
  In der Biotechnologie ist die Grundlagenforschung heute nur noch Beiwerk einer großtechnischen Wissensfabrikation. Diese unterwirft sich vorrangig den Ambitionen global disponierender Life Science-Konzerne, die in einem permanenten Wettlauf um Forschungsergebnisse, Anwendungen und Patente stehen. Dagegen steht jedoch immer wieder der "Störfaktor Öffentlichkeit", die öffentliche Meinung wird zum Machtfaktor im Konflikt zwischen Biotechnologie und Gesellschaft.  
Globale Wettbewerbszwänge
Der globale Konzentrations- und Expansionsprozess in der
Biotechnologie-Industrie, an dessen Ende eine Handvoll marktbeherrschender, globaler Akteure stehen, ist unmittelbares Resultat globaler Wettbewerbszwänge. Im Wettlauf stehen indes nicht nur Industrien. Eingespannt in die Konkurrenz der Innovationsstandorte sind ebenso nationale Volkswirtschaften, ja ganze Erdteile.

Das Motiv des Wettlaufs ist in die Entwicklung der Biotechnologie eingeschrieben. Dessen Kern, die Angst, die anderen könnten schneller sein, garantiert deren fortgesetzte Beschleunigung und gleichsam automatische Realisierung. So mutet ihr Fortschritt geradezu unaufhaltsam an. Wenn alle die ersten - oder wenigstens mit dabei - sein wollen, ist die Realisierung des Projekts nahezu gewiss. Was auch immer dessen Nutzen und Risiko sein mag.
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Folgen der Höchstgeschwindigkeit
Wettläufe verengen das Kalkül der Teilnehmer auf einige wenige Zielgrößen, auf Machbarkeit, Effizienz, Geschwindigkeit. Das gilt ebenso für im Wettlauf befindliche Wissenschaftler. Selbst in der Grundlagenforschung entspringen die Triebkräfte hinter der Fortentwicklung der Biotechnologie lange schon nicht mehr der arglosen Neugier der Forscher. Wissenschaftliche Neugier entfaltet sich allein da, wo sie sich vom Wettbewerbsimperativ in Dienst nehmen lässt.
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Doch stehen dem globalen Wettlauf zwei fundamentale Widerstände entgegen. Zum einen ist das die Widerspenstigkeit des Lebens selbst. Dessen Undurchschaubarkeit und Komplexität lässt Bemühungen zu seiner Nutzbarmachung fortgesetzt scheitern.

Zum anderen ist es ein Widerstand gesellschaftlicher Art, eine soziale Größe, die die Wettbewerbslogik stört, mitunter sogar durchbricht, die "Störgröße" Öffentlichkeit
Debatte um Entwicklung der Gentechnik
Diese Störgröße begleitet die Entwicklung der Gentechnik von ihrer Geburtsstunde an. Schon die legendäre Asilomarkonferenz im Jahr 1973 zog eine heiße Mediendebatte nach sich, die rasch die Politik erfasste.

Mehr als zehn Jahre darauf brachen ähnliche Kontroversen in europäischen Ländern, in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz auf.
Konflikt in Österreich
Scheinbar als hoffnungsloser Nachzügler kam dann, ausgelöst von einem Medienskandal um eine ungenehmigte Versuchsfreisetzung, im Frühjahr 1996 der Konflikt in Österreich. Die heimische Kontroverse kam allerdings so spät, dass sie ihrer Zeit schon wieder voraus war.
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Europaweite Kontroverse
Durch eine Kombination von Auslöseereignissen, allen voran die BSE-Krise, brachen ab 1997 in zahlreichen europäischen Öffentlichkeiten Gentechnik-Konflikte aus: in Frankreich, Großbritannien und Italien, sowie in Griechenland und Irland. Als Folge dieser erstmals europaweiten Kontroverse um die Gentechnik kamen Genehmigungen für Versuchsfreisetzungen zum Stillstand, auch wurde die weltweit wohl schärfste Gentechnik-Kennzeichnung eingesetzt.
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Öffentliche Meinung als Machtfaktor
Die "öffentliche Meinung" wird in solchen Konflikten zum Machtfaktor. Den Gesetzen einer "Politik der Gefühle" unterworfen, gibt ihr die Politik nach, betont Handlungsfähigkeit und Verantwortlichkeit, indem sie Restriktionen ausspricht oder Moratorien erlässt.

Gleichzeitig besteht unter Entscheidungsträgern aber niemals ein Zweifel: der Wettlauf muss weitergehen. Keine Volkswirtschaft kann sich den Ausstieg aus der Schlüsseltechnologie erlauben, selbst wenn es das im Medienkonflikt heraufbeschworene "Volk" so will.
Politik setzt auf Zeitgewinn
So setzt die unter Druck geratene Politik auf Symbolismen und Zeitgewinn. Sie setzt Ethik-Komitees zu spektakulären
aber wirtschaftlich unbedeutenden Problemfeldern ein oder greift simplifizierende Medienkontraste auf wie jenen, wonach die landwirtschaftliche Gentechnik böse, die Gentechnik in der Medizin hingegen gut sei.
Am Feld der Biotechnologie ist die Öffentlichkeit der Politik gefürchtete Unwägbarkeit, unberechenbare Störgröße. Im Jargon der EU-Entscheidungsträger hat sich die Redewendung von den sogenannten "public concerns" durchgesetzt. Mit diesen Sorgen der Öffentlichkeit ist sensibel umzugehen.
Meinungsforschung als Seismograph
Teil eines solchen Umgangs war von früh an der Einsatz der
Meinungsforschung. Seit es die Gentechnik gibt, gibt es öffentliche Kontroversen um die Gentechnik, seit es diese Kontroversen gibt, soll die Meinungsforschung als deren Seismograf fungieren.
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Eine neue Wissensindustrie
Es ist kein Zufall, dass erste Umfragen zur Gentechnik in Europa schon in den Siebzigern angestellt wurden, Jahre bevor breite Kontroversen ausbrachen. Mittlerweile hat sich die Meinungsforschung zur Gentechnik in eine wahre Wissensindustrie ausgewachsen. Das von der EU-Kommission finanzierte Eurobarometer etwa erfasst pro Durchlauf 16.000 bis 20.000 Probanden. Zu seiner Analyse werden ganze Stäbe von Sozialwissenschaftlern unterhalten.
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Demokratie-Rhetorik
Zur besonderen Sensibilität im Umgang mit der Öffentlichkeit zählt auch die die Gentechnik-Diskussion aureolenhaft begleitende Demokratie-Rhetorik. Gerne sprechen Entscheidungsträger von einer Technologie, die uns alle angeht und daher besonderer Mitbestimmung bedarf.

Sie lancieren Aufklärungskampagnen, verlangen den gesellschaftlichen Diskurs, installieren Ethik-Komittees, parlamentarische Enquêten und Konsensus-Konferenzen. Dabei wissen Realisten der Politik, wie sehr solch besonderer Aufwand der Legitimationsbeschaffung dient und wie unbedeutend dabei der Grad bürgerlicher Mitbestimmung tatsächlich ist.
Akzeptanz-Beschaffung?
Die Darlegungen der Kommissionen bleiben unverbindlich. Zumeist kommen sie Jahre, nachdem die Entscheidungen gefallen sind. Politikbestimmend bleibt das Motiv des internationalen Wettlaufs. Bürgerliche Mitbestimmung stört hier bloß, es sei denn, sie schafft die gewünschte Akzeptanz für eine wettbewerbsorientierte Politik.
Doch all dem zum Trotz: Weder taugten Umfragen jemals als Konflikt-Seismografen, noch war die Störgröße Öffentlichkeit je durch plakative Bemühungen um Demokratie, Ethik oder Konsens zu beschwichtigen.

Die Öffentlichkeit stört weiterhin. Mitunter wird sie dabei auch zum Instrument. Wiederholt bedienen sich Apologeten wie auch Feinde der Gentechnik der sozialen Hebelwirkung von Massenöffentlichkeiten.
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Aktien-Kurse
Als beispielsweise der Biotech-Unternehmer Craig Venter im April 2000 verkündete, seiner Firma Celera Genomics sei die komplette Sequenzierung des menschlichen Genoms gelungen, schossen die Aktienkurse des Unternehmens in die Höhe. Und genau das war es auch, was Venter mit seiner Ankündigung bezweckt hatte.
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NGO's beherrschen das Medien-Spiel
Noch mehr als die Industrie ist freilich die Gegnerseite auf Medienresonanz angewiesen. Tatsächlich ist das ihr wirkmächtigstes politisches Instrument. Und auf dessen Bedienung verstehen sich die professionalisierten, in den jüngsten Phasen des Gentechnik-Konflikts federführenden NGOs geradezu virtuos.
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Neue Kampagnen
Als im Sommer 1996 bekannt wurde, dass bald erste Schiffsladungen von gentechnisch modifiziertem Soja und Mais in Europa einlangen würden, entschied sich Greenpeace, das bisher zur Gentechnik so gut wie kein Engagement gezeigt hatte, zu einer europaweiten Anti-Gentech-Kampagne. Der Zeitpunkt war strategisch gewählt: Vor dem Hintergrund der BSE-Krise bot dieses Geschehen beste Mobilisierungsschancen. Und in der Tat kam mit der Skandalisierungswelle Ende 1996 die europäische Wende. Das zum Feinbild aufgebaute Biotech-Unternehmen Monsanto erlitt in den Folgejahren nicht zuletzt durch diese Wende empfindliche wirtschaftliche Niederlagen.
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Klon-Schaf Dolly: Unerwünschte Nebenwirkungen
Doch die Störgröße Öffentlichkeit bleibt eigenwillig. Ihre
Instrumentalisierung klappt nicht immer, die Manipulationen auch gewitzter Öffentlichkeitsakteure zeitigen mitunter unerwünschte Nebenwirkungen.

Als Ian Wilmuth im Frühjahr 1997 die Klonierung des Schafs Dolly bekannt gab, bescherte das dem Roslin Institut zwar den beabsichtigten Börsenaufschwung. Gleichzeitig aber löste er eine weltweite moralische Panik über das Heraufdämmern des geklonten Menschen aus.
Schwer zu steuern
Selbst jenen also, die mit großem Geschick auf den Wellen öffentlicher Empörung oder Begeisterung reiten, diese Wellen zu dem Zweck mitunter sogar auslösen, kann das Geschehen leicht entgleiten. Am aller wenigsten kann die Politik die Stimmungsschwankungen der Öffentlichkeit vorhersehen, geschweige denn sie steuern.
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Daher spricht die Politik auch gerne von der "demokratischen Gestaltung" der Gentechnik. Indes bleiben ihre Gestaltungsversuche meist symbolischer Art, Beschönigungen des handlungsleitenden Imperativs internationalen Wettbewerbs.
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Ein wenig Sand im Getriebe
Ganz ungebrochen bleibt der Wettbewerbsimperativ aber nicht. Die Störgröße Öffentlichkeit mag instrumentalisierbar, unberechenbar und demokratiepolitisch höchst ambivalent sein, aber sie konstituiert die wohl stärkste Gegenmacht zum Wettbewerbsimperativ und sorgt so zumindest für ein
wenig Sand im Getriebe der beschleunigten Nutzbarmachung des Lebens.
->   Sämtliche Artikel von Franz Seifert in science.orf.at
 
 
 
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