Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Über Bürgerkonferenzen  
  Nachdem die Idee der Bürgerkonferenz vor bald 20 Jahren in Dänemark geboren wurde, absolvierte sie im vergangenen Jahrzehnt eine internationale Karriere. Ähnliche Veranstaltungen wurden bislang in den meisten EU-Ländern, in Kanada, Australien und Ostasien durchgeführt - und nun ist es auch in Österreich so weit. Einige Überlegungen zum demokratiepolitischen Stellenwert dieses Verfahrens.  
Wider das Expertenmonopol
Bei einer Bürgerkonferenz lässt man die Bürgerinnen und Bürger zu Fragen neuer Technologien - darunter prominent: die Biotechnologie - konferieren. Zum einen begründet man das mit der besonderen Kompliziertheit der Materie. Diese erfordere eigene, neue Verfahren, um in einen öffentlichen Diskurs Eingang zu finden.

Die Idee ist, das Monopol der Experten, die solche Bereiche üblicherweise besetzen, zu brechen. Man möchte unter Beweis stellen, dass Laien bereit und in der Lage sind, sich mit technischen Problemmaterien auseinanderzusetzen und zu Lösungen auf Basis des "common sense" zu gelangen.
Legitimation durch Konsens und Öffnung
Daneben hängt die Attraktivität des anfangs "Konsens-Konferenz" genannten Verfahrens aber auch mit der Konfliktträchtigkeit dieser Materien zusammen. Die Gentechnik ist dafür exemplarisch. Wiederholt hat sie in den vergangenen drei Jahrzehnten für heftigste Kontroversen gesorgt, welche die Politik erheblich unter Druck setzten.

So setzte man Vertrauens- und Legitimationskrisen - gewissermaßen als Präventivmaßnahme - Konsens-Verfahren entgegen. Man will den Konfliktstoff ausdiskutieren, bevor es zu gröberen Kontroversen kommt, damit es gar nicht dazu kommt. Dabei signalisiert die demonstrative Einbeziehung von Laien die "Öffnung des Systems". Wenn alle mitreden dürfen, sollten sie auch mit den Ergebnissen einverstanden sein.

Demokratie in Reinkultur also? Nicht ganz. Wenn man die Bürgerkonferenz als Zugewinn an Demokratie anpreist, bleiben doch einige Fragen offen. Zunächst: Welchen Einfluss auf substanzielle Entscheidungsprozesse haben solche Beratungen? Unterm Strich vermutlich einen geringen.
Öffnung?
Das hat einerseits rechtliche Gründe. Die Philosophenköniginnen und -könige auf Zeit haben schließlich selbst keinerlei Entscheidungsbefugnis. Die liegt, wie man weiß, bei den Regierungen oder in den von diesen beauftragten Gremien und Ministerialbürokratien (also den Experten). Zweitens zeigen aber auch empirische Analysen vergangener ähnlicher Veranstaltungen deren geringfügige realpolitische Wirkung.

Außerdem: Selbst wenn auf Seiten nationaler politischer Eliten und Entscheidungsträger Bereitschaft bestünde, Ergebnisse aus den Bürgerberatungen ernst zu nehmen, ist deren eigener Entscheidungsspielraum zunehmend durch supra- und internationale Regelungskorsetts (EU, WTO) und Handlungszwänge beengt. Diese ziehen jedem lokalen Projekt enge Grenzen.

Nicht selten ist auf diesen Ebenen längst entschieden, was später in den Staaten auf Bürgerkonferenzen durchdiskutiert wird.
Der "öffentliche Diskurs"
Aber man kann den Anspruch natürlich auch herabsetzen. Dann will man Bürgerkonferenzen nicht, weil man unmittelbare Mitbestimmung will; die ist in einer repräsentativen Demokratie sowieso nicht zu haben. Sondern man will dem ach so nötigen "öffentlichen Diskurs" nachhelfen.

Das Anliegen, auch Wissenschafts- und Technologiepolitik einer breiten öffentlichen Debatte zuzuführen, ist aus demokratiepolitischer Sicht absolut zu begrüßen. Schließlich stellen diese Bereiche wichtige Entscheidungsmaterien dar. Sie werden durch den Umbau der Wirtschaft zu einer im globalen Innovationswettlauf konkurrenzfähigen Wissensökonomie immer wichtiger.

Freilich, diese großen Fragen stehen in einer Bürgerkonferenz nicht zur Debatte. Vielmehr geht es da um die "gesellschaftlichen Implikationen" einer bestimmten Technologie. Allzu weit können sich die Erörterungen von den "Implikationen" zum "Gesellschaftlichen" allerdings nicht versteigen.
Stell Dir vor, es ist Diskurs ...
Wichtig ist auch, auf einen weiteren Umstand hinzuweisen. Eigentlich offensichtlich: Bei einer Bürgerkonferenz reden keineswegs "alle" mit - sondern nur eine zufällig ausgewählte Gruppe von Laien. Um diese allein kann es aber, will man den "öffentlichen Diskurs", wohl kaum gehen.

Worum es offenbar geht, ist das Drumherum, die Demonstrations- und Breitenwirkung, das Echo des breiten Publikums. Das wäre dann der eigentliche "öffentliche Diskurs": Die Präsenz des Themas in den Massenmedien und - vor allem - in Bewusstsein und Gesprächen der Menschen.
... und keiner geht hin
Dieser Breiteneffekt aber folgt seinen eigenen Gesetzen, nämlich - wir haben es mit den Massenmedien täglich vor Augen - Marktgesetzen. Man kann also einen "öffentlichen Diskurs" wollen. An diskussionswürdigen Themen mangelt es ja nicht.

Nur passiert es nicht. Der schlichte Grund: Es interessiert niemanden. (Bzw. nur eine Minderheit unorganisierter und ungehört bleibender Betroffener.) Spannender als das demokratiepolitisch Diskussionswürdige ist schließlich bald etwas.

So kann es bei Bürgerkonferenzen durchaus zu dem kommen, was bei diversen Anstrengungen zur Anregung des "öffentlichen Diskurses zur Gentechnik" in Österreich schon bisher der Fall war. Zum Ausbleiben breiten Interesses.
Öffentlichkeit ist nicht steuerbar
Freilich, massenmediale Präsenz kann durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit durchaus erzielt werden. Angesichts der Einbindung der Veranstaltung in die Imagekampagne - www.innovatives-oesterreich.at - und der Professionalität der Veranstalter - profilierter PR-Agenturen - besteht am gekonnten Umgang mit der Größe Öffentlichkeit auch kein Zweifel.

Aber die Rezeption des breiten Publikums und das Verhalten von Massenöffentlichkeiten sind nun einmal nicht steuerbar. Öffentlichkeiten sind zweifelsohne beeinflussbar. Und diese Beeinflussung bildet das tägliche Geschäft von Politik und Reklame. Aber steuerbar sind sie nicht.

Der "vernünftige" und dialogbereite Diskurs sind damit ebenso wenig zu verordnen wie das Positivimage einer ungeliebten Technologie. Ironischerweise gehört gerade diese Eigenwilligkeit von Öffentlichkeit zu den wesentlichen Voraussetzungen jeder Demokratie.
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Bürgerkonferenzen: Wenn Laien mitsprechen dürfen
Lesetipps
Eine eingehendere Behandlung der Thematik findet sich im jüngst erschienen Artikel: "Demokratietheoretische Überlegungen zum österreichischen Gentechnik-Konflikt", SWS-Rundschau, Heft 1, 2003

Eine umfassende und detaillierte Darstellung des internationalen und jüngsten österreichischen Gentechnik-Konflikts - darunter eine eine Geschichte der Bürgerkonferenz - ist ebenfalls kürzlich erschienen. Titel: "Gentechnik - Öffentlichkeit - Demokratie. Der österreichische Gentechnik-Konflikt im internationalen Kontext." Profilverlag: München. ISBN 3-89019-546-6
->   Sämtliche Beiträge von Franz Seifert in science.ORF.at
 
 
 
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