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Karin Steiner
Forschungsinstitut abif (Analyse Beratung und interdisziplinäre Forschung)
 
ORF ON Science :  Karin Steiner :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Barrieren für Karrieren
Wieso Bildungsferne nicht von Weiterbildung profitieren
 
  Von jeder zweiten Plakatwand flöten uns faltenfreie Werbegesichter zu: Wir sind erfolgreich - dank Weiterbildung. Ein Kurs hier, ein Lehrgang dort und schon stehen alle Karrieretüren offen. Österreich macht sich auf den Weg in die Wissensgesellschaft und keiner bleibt zurück. Schön wär's.  
Der Hype um die berufliche Qualifizierung übertüncht, dass Aus- und Weiterbildung hierzulande der Mittel- und Oberschicht vorbehalten bleibt: Das fehlende Kleingeld ist nur eine von mehreren Barrieren, die sogenannte Bildungsferne - also Menschen mit geringem Bildungsniveau - daran hindert sich weiterzubilden.
Ältere und MigrantInnen bilden sich selten weiter
Die Bildungsschere öffnet sich immer weiter: Je niedriger die Erstausbildung ist, desto weniger wird in Weiterbildung investiert. Menschen, die Deutsch nicht als Umgangssprache benutzen und die Volksschule nicht in Österreich besucht haben, bilden sich kaum weiter. Je geringer der Grad der Integration desto bildungsferner, lautet die einfache Formel.

Zwischen 25 und 45 Jahren ist die Weiterbildungsteilnahme am höchsten, darunter und darüber fällt sie deutlich geringer aus. Neben einem höheren Alter wirken sich auch Betreuungspflichten für Angehörige und eine dezentrale Wohngegend negativ auf die Nutzung entsprechender Kurse aus.
Unzureichende Weiterbildungsförderung
Die Probleme sind bekannt: Laut Schätzungen sind in Wien etwa 200.000 Personen als bildungsfern einzustufen. Das Arbeitsmarktservice (AMS), der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF) aber auch die Länder suchen deren Weiterbildung zu fördern. So finanziert das AMS zwei Drittel der Kosten zur Qualifizierung von älteren und niedrig qualifizierten Beschäftigten mit Hilfe von EU-Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds, aber nur dann wenn der Betrieb den Restbetrag übernimmt.

In der größten europäischen Erhebung zu betrieblicher Weiterbildung (CVTS) zählt Österreich zu den Schlusslichtern: Etwa 33 Prozent der Beschäftigten nehmen an betrieblicher Weiterbildung teil, wobei Männer, Beschäftigte in großen Betrieben und höher Gebildete bevorzugt werden. LeiharbeiterInnen, die prekäre Erwerbsbiographien mit häufigen Arbeitslosigkeitsphasen aufweisen und bei denen das Bildungsniveau und der Verdienst niedriger sind, erhalten gar keine betriebliche Weiterbildung.
Einzelne Kurse bringen wenig
Das mangelnde Engagement der Betriebe ist nicht die einzige Barriere: Diese Form der Weiterbildung führt selten zu betrieblichem Aufstieg und nicht immer zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Auch die Weiterbildung von Arbeitslosen wird erst dann wirklich wirksam, wenn sie einen Berufsabschluss in Verbindung mit Berufserfahrung vermittelt.

Der einzelne EDV-Kurs oder irgendeine Schmalspurausbildung bringt im Wettbewerb mit anderen Arbeitskräften hingegen gar nichts. Auch die mit 50 Prozent der Kosten aber maximal 200 Euro durch WAFF oder gar nur 100 Euro durch die Arbeiterkammer limitierte Kursförderung hat allenfalls symbolische Funktion. Sonstige Kursförderungen sind häufig nur Teilförderungen und stellen damit für Bildungsferne eine doppelte Hürde dar: sich zur Weiterbildungsteilnahme zu motivieren und auch noch das Geld dafür aufzubringen.
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Bildungsferne sind sozial gefährdet
Bildungsferne verdienen weniger, haben ein höheres Risiko arbeitslos zu werden und früher zu invalidisieren (Stichwort: Frühverrentung). Der schlechte Gesundheitszustand und die geringe Pension reduzieren im Alter die Lebensqualität der Bildungsfernen im Vergleich zu den Bildungsnahen beträchtlich. Folglich sterben sie im Durchschnitt auch beträchtlich früher als die höher Gebildeten.
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Was fehlt: punktgenaue Investitionen
Bildungsferne brauchen keine Förderung nach dem Gießkannenprinzip. Die Menschen sollten vielmehr gezielt für die Chancen sensibilisiert werden, die ihnen eine Weiterbildung bietet.

Damit sie diese Chancen längerer Bildungsphasen dann tatsächlich wahrnehmen können, müssen die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen werden - inklusive anschließender berufsbegleitender Weiterbildung.
Gute Rahmenbedingungen sicherstellen
Österreich sollte gemäß EU-Vorgabe bereits seit der Publikation des Weißbuchs für lebensbegleitendes Lernen 1995 dieses Lifelong Learning gezielt fördern. Eine entsprechende landesweite Strategie, bestimmten Gruppen gezielt zu schulen, qualifizieren oder weiterzubilden fehlt aber bisher. Es bräuchte etwa ein dezentrales Angebot, das speziell auf die Bedürfnisse von Bildungsfernen zugeschnitten ist.

Bildung sollte mit Spaß am Lernen verbunden werden, ein Motto, das bereits in der Schule zum Tragen kommen sollte. Barrierefreie Weiterbildung beinhaltet flankierende Kinderbetreuungsangebote sowie Bildungskarenz, die nicht nur vom Good Will des Arbeitgebers abhängt.
Für Aufschwung sorgen
Gerade in Zeiten der ökonomischen Krise wird es für die Politik vermehrt darum gehen, jugendliche und erwachsene Arbeitslose, aber auch Menschen, die gefährdet sind ihren Job zu verlieren, verstärkt auszubilden und damit bereits jetzt für qualifizierte Arbeitskräfte, die im Aufschwung wieder gebraucht werden, zu sorgen. Das würde sowohl den Menschen als auch den Betrieben zugute kommen.

Die Verantwortung dafür liegt sicher nicht nur bei arbeitsmarktpolitischen Einrichtungen wie AMS oder WAFF, sondern auch beim zuständigen Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur. Statt eines stark segmentierten Weiterbildungssystems (Intransparenz der Angebote, Monopolstellungen einzelner Anbieter) sollte eine zentrale Stelle Motivations- und Beratungsarbeit leisten und gleichzeitig auch Lernen mithilfe innovativer Methoden für diese Zielgruppe ermöglichen.

[27.3.09]
->   Zusammenfassung "Berufliche Weiterbildung in Wien"
->   Tagungsband "Zwischen Lifelong Learning, Qualitätsdebatte und Werkvertrag"
->   Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen: Vergleichende Analysen und Strategievorschläge für Österreich
 
 
 
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